Matteo Salvini will Neuwahlen. Zuvor aber hat Italiens polternder Innenminister noch dafür gesorgt, seine Politik der Aussperrung von Rettungsschiffen im Mittelmeer in einem Gesetz zu verankern. Am Montag wurde es vom Senat in Rom verabschiedet. Es sieht Geldstrafen von bis zu einer Million Euro vor, wenn ein Kapitän mit einem Schiff unerlaubt in italienische Gewässer fährt.
Letzte Woche verweigerte Salvini sogar einem Schiff seiner eigenen Küstenwache die Einfahrt in einen italienischen Hafen. Es hatte rund 140 Flüchtlinge und Migranten gerettet, die mit zwei Schlauchbooten in Seenot geraten waren. Erst nachdem sich mehrere EU-Länder zur Aufnahme der Geretteten bereit erklärten, durften sie in Sizilien an Land gehen.
Das UNO-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) reagierte mit scharfer Kritik auf das neue Gesetz. Das Engagement und die Menschlichkeit der Retter dürften nicht kriminalisiert oder stigmatisiert werden. Laut dem Missing Migrants Project der Internationalen Organisation für Migration (IOM) sind seit 2014 etwa 18'000 Menschen im Mittelmeer ertrunken oder verschollen.
Die Europäer aber tun sich schwer damit, sich auf einen Mechanismus für die Verteilung von Flüchtlingen zu einigen. Ihre eigenen Aktivitäten zur Seenotrettung hat die EU sukzessive reduziert. Auch die Zahl der privaten Rettungsschiffe hat abgenommen, seit Matteo Salvini ihnen den Kampf angesagt hat. Nur noch wenige sind derzeit im Mittelmeer aktiv.
Salvinis rüpelhafte Art mag auf andere europäische Regierungen abstossend wirken. Insgeheim aber sind sie froh, dass der Italiener ihnen die «Drecksarbeit» abnimmt und die Mittelmeerroute mehr oder weniger «geschlossen» hat. Dabei handelt es sich um reine Symptombekämpfung. Hunderttausende würden aus (Nord-)Afrika sofort Richtung Europa aufbrechen, wenn sie könnten.
Das Wohlstandsgefälle zwischen den beiden Seiten des Mittelmeers sei «immer noch so gross, dass daraus eine immense Sogwirkung entstanden ist», heisst es im diese Woche erschienenen Buch «Maghreb, Migration und Mittelmeer». Verfasst hat es Beat Stauffer, der als freier Journalist unter anderem für die NZZ und Radio SRF arbeitet und Nordafrika seit Jahren bestens kennt.
In seinem Buch konzentriert er sich auf die vier Maghreb-Staaten Marokko, Algerien, Tunesien und Libyen. Vor Ort recherchiert hat Stauffer vor allem in Tunesien und Marokko. In Algerien ist dies wesentlich schwieriger, vom zerrissenen Libyen ganz zu schweigen. Die Migration aus den Ländern südlich der Sahara wird ebenfalls thematisiert, wenn auch eher am Rande.
Beat Stauffer hat mit Experten gesprochen. Er porträtiert Schlepper und Migranten, die es geschafft haben, die gescheitert sind und es wieder versuchen wollen, und bei denen man sich manchmal fragt, wie naiv sie waren. Doch der Traum vom besseren Leben in Europa lässt sie – vorwiegend junge Männer – alle Risiken und Negativbeispiele verdrängen.
Das Thema Migration sei auf beiden Seiten des Mittelmeers «von Heuchelei, Realitätsverdrängung, Unehrlichkeit und versteckten Agenden geprägt», schreibt Stauffer. So hätten etwa die Grossgrundbesitzer in Spanien oder Süditalien «sehr wohl ein Interesse daran», durch die irreguläre Emigration stets ausreichend billige Arbeitskräfte zur Verfügung zu haben.
Die Maghrebstaaten wiederum seien ganz froh, wenn sie einen Teil ihrer arbeitslosen und zum Teil rebellischen Jugend loswerden könnten. Eine grassierende Korruption und schlechte Regierungsführung tragen dazu bei, dass viele junge Menschen «abhauen» wollten. Das gilt auch für Tunesien, das gerne als Erfolgsmodell des «Arabischen Frühlings» gefeiert wird.
Den Migrationsdruck hat dies nicht vermindert, im Gegenteil. «Im tunesischen Hinterland hat sich die Lage in den vergangenen acht Jahren derart verschlechtert, dass mehr junge Migranten denn je das Land verlassen wollen», schreibt Stauffer und schildert die desolaten Zustände in den Regionen, die sich fern der relativ wohlhabenden Küstenstädte befinden.
Der Autor stellt klar, dass eine Öffnung der Grenzen für Migranten, wie sie etwa die deutsche Kapitänin Carola Rackete fordert, für ihn nicht in Frage kommt. Dies würde zu einer aggressiven Abwehrhaltung in der Bevölkerung führen, verbunden mit einem politischen Rechtsruck, der die liberale Gesellschaft gefährden und die Aufnahme «echter» Flüchtlinge unterbinden könnte.
Eine Abschottung im Salvini-Stil ist langfristig aber auch keine Lösung. Beat Stauffer plädiert für «griffige Rücknahmeabkommen» mit den Maghreb-Staaten und gibt gleichzeitig zu, dass die Rückführung junger Männer «sehr schwierig, oft auch chancenlos» sei. Häufig weigern sich die besagten Länder, überhaupt solche Abkommen abzuschliessen, oder sie setzen sie kaum um.
Sie haben schlicht kein Interesse an der Rücknahme gescheiterter und frustrierter Landsleute, die häufig kriminell wurden oder mit islamistischem Gedankengut in Kontakt kamen – ein Problem, mit dem besonders Tunesien konfrontiert ist. Europa müsse deshalb dem Maghreb für einen Migrationskompromiss «etwas Substanzielles» anbieten, fordert Stauffer.
Gratis ist das nicht. Es brauche massive Investitionen in ganz Nordafrika, damit die Menschen dort bleiben und gut leben könnten. Und es brauche echte Migrationspartnerschaften in Form von Visa, Stipendien, Ausbildungsplätzen oder Kontingenten für legale Arbeitsmigranten. Ein Beispiel ist die «zirkuläre» Migration, bei der Menschen einige Zeit in Europa bleiben könnten und dann zurück müssten.
«Maghreb, Migration und Mittelmeer» ist kein bequemes Buch. Es distanziert sich von einer unreflektierten «Willkommenskultur» genauso wie von einer simplen Abschottungs-Logik. Europa müsse ein neues Verhältnis zu seinen Nachbarn am Südrand des Mittelmeers finden, meint Stauffer. Andernfalls seien «schwierige Szenarien denkbar und lang anhaltende Konflikte zu befürchten».