Moskau ist dieser Tage in ein tiefes Rot getaucht. Riesige Flaggen, die über zwei Etagen reichen, hängen an den Hochhäusern zentraler Strassen. An den Brücken flattern Banner im Wind, «Pobeda» ist in Weiss auf Rot darauf gedruckt. Sieg. Es ist ein Wort und ein Wert, an die sich das Land, die Führung wie das Volk, klammert. Russland sei eine Siegernation, brüllen die Propagandisten.
Der Sieg sei heilig, sagt der russische Präsident Wladimir Putin seit Jahren. Sein Land werde immer nur Siege einfahren. So mancher Kritiker im Land wünscht sich in der Ukraine derweil eine russische Niederlage, um Russlands Kult des Sieges, den Kult der Gewalt, zu durchbrechen.
Nervosität ist in die Stadt gezogen. Gerüchte von einer Generalmobilmachung machen sich breit, auch Gerüchte, dass der Kreml womöglich ukrainische Kriegsgefangene über den Roten Platz werde treiben lassen. Das verstiesse zwar gegen die Genfer Konventionen, präzedenzlos wäre allerdings auch dieser Gräuel nicht.
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Bereits 2014 hatten die von Moskau unterstützten «Separatistenführer» im besetzten Donezk 50 ukrainische Kriegsgefangene vorgeführt. Kommentatoren, Kreml-loyale wie Kreml-kritische, fragen sich, was ihr Präsident am kommenden Montag verkünden wird. Den Sieg? Doch welchen? Am 9. Mai geht es längst nicht mehr um die Trauer um die 27 Millionen sowjetischen Gefallenen im «Grossen Vaterländischen Krieg», wie die Russen den Zweiten Weltkrieg bezeichnen.
Es geht um Pomp und Triumph. Es geht um «Wir können es wiederholen», die Losung, die Rotarmisten einst an die Säulen des Reichstags in Berlin geschrieben hatten und die durch den Krieg in der Ukraine, den Russland euphemistisch «militärische Spezialoperation» nennt, keine leere Drohung mehr ist.
Der Sieg der Roten Armee über Nazideutschland, den das Land nicht am 8. Mai feiert, weil die bedingungslose Kapitulation in Berlin in der Nacht unterzeichnet wurde und in Moskau da bereits der 9. Mai angefangen hatte, er eint die Menschen in Russland auf eine besondere, ja eine schmerzhafte Weise. Jede Familie im Land hat ihre Vorfahren zu betrauern, als Gefallene, Kriegsversehrte, als angebliche Verräter in den Gulag Gekommene.
Dieser Sieg ist ein identitätsstiftender Moment, in dem sich jeder findet, egal welcher politischer Überzeugung er ist. Bis in die späte Sowjetzeit hinein war der 9. Mai ein trauriger Tag. «Nie wieder», sagten die Überlebenden zu ihren Nachfahren mit Tränen in den Augen. «Frieden» war die Botschaft, von Kindesbeinen an.
Nun singen die Kleinen in den Kindergärten quer durchs Land Kriegslieder und lassen sich in Z-Formationen aufstellen, um der Kriegslüsternheit des Staates in entwürdigender Weise zu huldigen. In diesem Jahr zelebriert Russland keinen Frieden, es zelebriert den Krieg, verkauft ihn allerdings prächtig leugnend als Frieden.
Moskau hat die diesjährige Feier noch pompöser angelegt, auch wenn kein ausländischer Staatsgast eingeladen wurde. Es zählt die Inszenierung, das Narrativ vom stetigen Kampf der Russen gegen fremde Mächte, die ihr Land über Jahrhunderte hinweg zu knechten versucht hätten. Der Kreml kapert die Erinnerung, er macht mit dem vereinfachten Wissen über den Zweiten Weltkrieg Politik.
«1941–2022» steht derzeit auf manchen Plakaten, so als befände sich Russland immer noch im Krieg, als hätte der Kampf gegen den Faschismus nie aufgehört. Indem Moskau alle Ukrainer, die die russische Politik in Frage stellen, zu «Nazis» erklärt, missbraucht es das Gedenken an den Sieg 1945 als Rechtfertigung seines Krieges in der Ukraine und pflegt mit seiner neuen Swastika, dem Z, eine Ideologie der Zerstörung.
Leider ist dem nicht so, ich bin sprachlos.
Ich kann nicht verstehen, wie sich einige doch wirklich immer noch von diesem kriegerischen Heroismus anziehen lassen und nicht sehen wollen was gerade passiert.
Sie halten mehr von der vermeindlichen Stärke im gleichschritt marschierender Menschen unter einem Banner und Symbol des Krieges, als von Freiheit, Selbstbestimmung und Menschenwürde.