Sein Amt als russischer Präsident trat er am ersten Tag des neuen Jahrtausends an. Den Krieg gegen Georgien brach er am 8.8.2008 vom Damm. Und die «Spezialoperation» gegen die Ukraine befahl er am 22.2.2022. Der mutmassliche Kriegsverbrecher Wladimir Putin hat ein Flair für symbolische Zahlen. Kein Wunder also, dass die Welt am Montag gebannt nach Moskau schauen wird, wenn der Kreml-Herrscher am 77. Jahrestag des russischen Sieges über Nazi-Deutschland auf dem Roten Platz ans Mikrofon tritt.
Putin wird den 9. Mai - der wichtigste nicht-religiöse Feiertag im russischen Jahreskalender - dazu nutzen, um die laut dem «Economist» «schlechteste strategische Entscheidungen, die ein Anführer eines mächtigen Landes in den vergangenen Jahrzehnten getroffen hat», wieder gut zu machen. Selbst konservative Schätzungen gehen davon aus, dass im Ukraine-Krieg bislang mindestens 15'000 Russen ihr Leben verloren haben. Und die angekündigten 11'000 Soldaten, 131 Militärfahrzeuge und 77 Flugzeuge, die an der Weltkriegs-Parade am Montag durch Moskau ziehen werden, die dürften nicht ausreichen, um das russische Versagen in der Ukraine vergessen zu machen.
Putin muss sein 144-Millionen-Volk und vor allem seine angeblich zusehends nervösen Generäle also mit anderen Mitteln hinter sich scharen und für den Krieg (der laut russischer Diktion noch immer kein «Krieg» ist) in der Ukraine gewinnen. Ihm bleiben drei Möglichkeiten, das zu tun:
Angesichts der grossen Verluste auf der russischen Seite und des gescheiterten Sturms auf die Hauptstadt Kiew dürfte es dem 69-Jährigen zwar schwer fallen, seinen Angriff auf die Ukraine vor dem heimischen Publikum als Sieg zu verkaufen. Dennoch betont Ulrich Schmid, Professor für Kultur und Gesellschaft Russlands an der Uni St. Gallen:
Das könnte laut Schmid beispielsweise die Eroberung der gesamten Gebiete Donezk und Luhansk sein, die Putin bereits am 21. Februar als «Volksrepubliken» Donezk und Luhansk anerkannt hatte. Auch die Eroberung der Stadt Cherson, in der die ukrainische Bevölkerung bereits mit russischen Rubeln bezahlen muss, oder die Zerstörung von Mariupol, wo russische Truppen mit äusserster Brutalität versuchen, die letzten Widerstandskämpfer im Asowstal-Stahlwerk zu besiegen, könnte Putin als «Sieg» umdeuten.
Mitte dieser Woche lancierten die russischen Truppen zudem neue Grossangriffe gegen mehrere ukrainische Grossstädte und versuchten, die Bahninfrastruktur im ganzen Land lahmzulegen. Die massive Zunahme der Raketenangriffe ist ein weiteres Anzeichen dafür, dass Putin vor dem 9. Mai auf Biegen und Brechen versucht, seinen ins Stocken geratenen Feldzug voranzutreiben und den Krieg zuhause als Erfolg zu verkaufen.
Darob darf man nicht vergessen, dass Putin seinen brutalen Angriff auf die Ukraine noch immer als «Spezialoperation» verkauft und nicht von einem Krieg sprechen will. Wer den Krieg in Russland als das bezeichnet, was er wirklich ist, muss mit langjährigen Haftstrafen rechnen. Denkbar ist allerdings, dass Putin am Montag eine rhetorisch Spitzkehre einlegen und die sprachlichen Samthandschuhe ablegen wird. Eine offizielle Kriegserklärung gegen die Ukraine würde es ihm erlauben, in Russland das Kriegsrecht zu verhängen, Deserteure härter anzupacken und noch mehr Entscheidungskompetenz auf sich selbst zu vereinen. Wahlen würden bis auf Weiteres ausgesetzt. Putins Macht würde mit einem Schlag wachsen.
Anzeichen dafür, dass Putin das Verwirrspiel rund um die vermeintliche «Spezialoperation» am Montag beenden und offiziell von «Krieg» sprechen wird, gibt es einige. So hat etwa der weissrussische Machthaber Alexander Lukaschenko, Putins engster Verbündeter, am Donnerstag ganz offiziell von einem «Krieg» gesprochen. Und Tschetschenenführer Ramsan Kadyrow, ein Vasall des Kreml, verkündete Anfang Woche, es müsse jetzt eine «zweite Phase» im Kampf gegen die Ukraine eingeläutet werden.
Eine alternative Form der Eskalation wäre die Ausrufung der Generalmobilisierung, wie sie der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski in seinem Land bereits am 25. Februar angeordnet hat. Männer zwischen 18 und 60 dürfen die Ukraine seither nur noch mit wenigen Ausnahmen verlassen. Eine ähnliche Anordnung könnte auch Putin erlassen. Nebst der rund einer Million aktiven Soldaten verfügt das russische Heer über rund zwei Millionen Reservisten, die auf Putins Befehl einrücken müssten. Laut dem Telegram-Kanal von «Stories Media» sind bestimmte Reservisten zwischen 40 und 60 bereist einberufen worden. Laut dem ukrainischen Geheimdienst hat Russland zudem damit begonnen, seine Nahrungsmittelvorräte aufzustocken.
Eine Generalmobilmachung würde die russische Truppenstärke zwar massiv erhöhen, wäre in den Augen von Oleg Ignatov, Russland-Experte bei der «International Crisis Group», allerdings ein grosses Risiko für Putin. Er müsste zugeben, dass es ihm trotz militärischer Überlegenheit nicht gelungen ist, die relativ schwache Ukraine zu besiegen, sagte Ignatov gegenüber CNN. Russland-Experte Kamil Galeev geht noch einen Schritt weiter. Auf Twitter schreibt Galeev, eine Generalmobilisierung wäre eine «wirklich dumme Entscheidung» und würde das Risiko eines Regimes-Sturzes in Moskau erhöhen. Die russischen Baracken wären voller unmotivierter, schlecht trainierter aber schwer bewaffneter Rekruten unter Aufsicht von unfähigen Offizieren. Diese Kombination habe schon 1917 zur Oktoberrevolution in Russland geführt. (bzbasel.ch)
Danke!
Russland wird nie mehr genügend Soldaten haben um die eroberten Gebiete in der Ukraine zu kontrollieren.
Das wird ein Desaster für Putin.