Dass Rudy Giuliani und der Alkohol ein inniges Verhältnis haben, ist ein offenes Geheimnis. Ein Glas Scotch gehört bei ihm quasi zur Standardausrüstung. Dass er daran nicht nur nippt, ist ebenfalls bekannt. In den einschlägigen Clubs in New York oder an der Bar des Trump-Hotels in Washington machen Kollegen dem Servicepersonal ein Zeichen, wenn Rudy wieder einmal über den Durst gebechert hat. Was selten etwas nützt: Peinliche Auftritte in offensichtlich betrunkenem Zustand sind bei Rudy alltäglich geworden.
Aber weshalb interessiert sich jetzt der Sonderbeauftragte für Giulianis Alkoholproblem? Verschiedene Quellen melden, dass Jack Smith Zeugen zu diesem Thema befragt hat. Was der damit bezweckt, erläutern Matt Flegenheimer und Maggie Haberman in einer ausführlichen Reportage in der «New York Times»:
Kurze Erklärung dazu: Als in der Wahlnacht Trumps ursprünglicher Vorsprung schmolz wie ein Schneeball in der Hölle, hat ihm Giuliani geraten, vor die Kameras zu treten und sich als Sieger zu erklären, was Trump denn auch tat. Der ehemalige Bürgermeister von New York war zu diesem Zeitpunkt jedoch sturzbetrunken, wie Jason Miller, ein enger Berater des Ex-Präsidenten, vor dem Ausschuss für die Abklärung des 6. Januars 2021 zu Protokoll gab. Trump selbst trinkt bekanntlich keinen Alkohol. Er soll sich gar schon öfters über Giulianis Sucht lustig gemacht haben.
Giulianis Trunksucht ist ein öffentliches Gaudi – und eine private Tragödie. Der Grund dürfte darin liegen, dass der ehemalige Bürgermeister ein zutiefst unsicherer Mensch ist. Giuliani stammt aus einfachsten Verhältnissen. Er ist der Sohn italienischer Einwanderer, sein Vater sass gar wegen Raubs und Körperverletzung im Gefängnis.
Rudy studierte Jus an der New York University. Bald machte er sich einen Ruf als unerschrockener Mafia-Jäger beim Southern District of New York, der härtesten Strafverfolgungsbehörde Amerikas. 1994 wurde er Bürgermeister von New York und setzte seinen «Law and order»-Kurs konsequent durch. Es gelang ihm, die scheinbar unregierbar gewordene Metropole wieder zu einer blühenden Stadt zu machen.
Endgültig zum «Bürgermeister Amerikas» wurde Giuliani nach dem Terroranschlag vom 11. September 2001. Er begab sich sofort an den Ort des Geschehens, sprach den Menschen Mut zu und packte bei den Rettungsarbeiten mit an.
Giuliani befand sich auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Nach Ende seiner zweiten Amtsperiode verdiente er als Anwalt und Berater Geld wie Heu – und er gab es auch mit beiden Händen aus. Er leistete sich Appartements an bester Lage, Mitgliedschaften exklusiver Clubs und vor allem das teuerste Hobby, das ein Mann haben kann: Scheidungen. Rudy war dreimal verheiratet. Seine monatlichen Auslagen sollen sich in der Höhe von 200’000 Dollar bewegen.
Rudys Geltungssucht steht derjenigen von Trump nicht nach. Im November 2006 wollte er seiner Karriere die Krone aufsetzen, er wollte ins Weisse Haus. Verführt von guten Zahlen in ersten Meinungsumfragen, stieg er spät in die Vorwahlen ein – und stürzte brutal ab. Im Januar 2008 zog er seine Kandidatur kleinlaut zurück und begab sich zur Erholung nach Mar-a-Lago, Trumps Residenz in Florida.
Nun begann Giulianis Alkohol-Karriere ernste Formen anzunehmen. Seine damalige Frau Judith sagte später, er sei in eine tiefe Depression gestürzt. Sein Biograf Andrew Kirztman erklärt, Rudy sei immer wieder sturzbetrunken umgekippt.
Mit Trumps Präsidentschaftskandidatur hatte der Kamera-geile Giuliani plötzlich wieder eine Aufgabe gefunden. Obwohl die beiden eigentlich nie enge Freunde waren, warf sich der ehemalige Bürgermeister voll in den Kampf für den Immobilien-Tycoon. Er wurde wieder ein gefragter Mann und durfte fast täglich vor die Kameras von Fox News und anderen konservativen Medien treten.
Als Trump gar der Sprung ins Weisse Haus gelang, erlebte auch Giuliani seinen zweiten Frühling. Den erhofften Posten im Kabinett erhielt er zwar nicht – er soll mit dem Amt des Aussenministers geliebäugelt haben –, doch er gehörte als persönlicher Anwalt zum engeren Kreis um Trump. In dieser Funktion war er die treibende Kraft hinter dem Versuch, die Hunter-Biden-Ukraine-Geschichte zu einer Waffe gegen Joe Biden zu schmieden. Das ging in die Hosen, das Resultat war das erste Impeachment-Verfahren gegen Trump.
Noch verheerender gingen Giulianis Bemühungen aus, die Big Lie – die These, wonach Bidens Wahlsieg gestohlen sei – zu beweisen. Es wurde ein Debakel. In mehr als 60 Fällen wurden Giuliani und die seinen von den Richtern ausgelacht, auch von konservativen Richtern. Sie konnten keinen einzigen Beweis für die Big Lie vorlegen.
Giulianis Auftritte waren nun an Peinlichkeit kaum mehr zu überbieten. So lud er einst Journalisten zu einer Pressekonferenz in das «Four Seasons» ein, eine Luxushotelkette. Doch sein Stab verwechselte die Adresse mit «Four Seasons Landscape», einem Gartenunternehmen. Die verdutzten Journalisten fanden sich auf einem Parkplatz vor einem Pornoshop wieder. Während einer anderen Pressekonferenz lief Giuliani Haaröl über die Wangen, während einer anderen furzte er hörbar.
Giuliani war nun endgültig zu einer Lachnummer geworden. Für den pathologischen Narzissten mag dies schmerzhaft sein. Noch mehr schmerzen dürften ihn die juristischen und finanziellen Folgen seines Treibens. In Georgia gehört er zu den 19 Angeklagten im Verfahren gegen Trump & Co. Sonderermittler Jack Smith bezeichnet ihn im Verfahren gegen Trump wegen dessen Rolle beim Sturm aufs Kapitol als «unindicted co-conspirator», als noch «nicht angeklagter Mittäter». Das heisst auch, dass Giuliani jederzeit vom Sonderermittler vor den Kadi gezerrt werden könnte.
Finanziell muss Giuliani bereits ein Schmerzensgeld in der Höhe von 132’000 Dollar für zwei Wahlhelferinnen in Georgia wegen Verleumdung entrichten. Er hatte die beiden ohne Beweise beschuldigt, sie hätten Wahlmanipulation begangen. Und dies ist erst der Anfang, die Höhe dieses Schmerzgeldes dürfte noch deutlich steigen. Dazu muss sich Giuliani einem Verfahren stellen, das vom Wahlmaschinenhersteller Dominion angestrengt wurde. Dabei wird es um sehr grosse Summen gehen. Fox News musste im gleichen Fall 787 Millionen Dollar an Dominion entrichten.
Der 79-jährige Giuliani ist pleite. Sein Appartement in New York steht zum Verkauf. Sein Anwalt hat ihn auf 1,3 Millionen Dollar ausstehende Honorare verklagt. Seine Einkünfte sind minim. Freunde hat er kaum mehr. Einsam in seiner Wohnung verfasst er täglich seine Podcasts, die niemand mehr hören will. Seine Aussichten sind düster. Der ehemalige «Bürgermeister der Nation» muss damit rechnen, die paar Jahre, die ihm noch bleiben, im Knast zu verbringen.
Endgültig zum «Bürgermeister Amerikas» wurde Giuliani nach dem Terroranschlag vom 11. September 2001. Er begab sich sofort an den Ort des Geschehens, sprach den Menschen Mut zu und packte bei den Rettungsarbeiten mit an. Giuliani befand sich auf dem Höhepunkt seiner Karriere.
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2023
Einsam in seiner Wohnung verfasst er täglich seine Podcasts, die niemand mehr hören will.
Irgendwie tragisch. Vor 2001 säuberte er New York von all dem Gesindel. Ordnung kehrte wieder ein. Und dann der tiefe Fall. Irgendwie auch Opfer..