Wichtige Stimmen aus der Grand Old Party (GOP) hätten ihm verraten, Donald Trump solle nun der nächste Speaker – der Anführer der Mehrheitspartei im Abgeordnetenhaus – werden, verkündete Sean Hannity in seiner täglichen Abendsendung gestern. Zuvor hatten acht Rebellen aus den Reihen der GOP den amtierenden Speaker Kevin McCarthy gestürzt und damit die eigene Partei ins Elend geritten. Wer McCarthy als Speaker ablösen wird, steht derzeit noch in den Sternen.
Was ist vom Speaker-Trump-Gerücht zu halten? Hannity ist nach der Entlassung von Tucker Carlson wieder der unbestrittene König auf dem Fox-News-Thron. Seine Stimme hat Gewicht. Als Trump noch im Weissen Haus sass, wurde Hannity immer wieder als sein «heimlicher Stabschef» bezeichnet. Es war ein offenes Geheimnis, dass die beiden täglich, respektive nächtlich, stundenlang miteinander telefonierten. Hannity trat gar an Wahlveranstaltungen auf und – um Trump nahe zu sein – hat er auch ein Ferienhaus in der Nähe von Mar-a-Lago erworben.
So gesehen ist das Gerücht nicht so absurd, wie es auf den ersten Augenblick erscheinen mag, zumal es auch schon mal kurz im Umlauf gewesen war, bevor McCarthy nach 15 qualvollen Wahlgängen schliesslich inthronisiert wurde.
Trotzdem ist es eher unwahrscheinlich, dass Trump demnächst als Speaker das drittwichtigste Amt in den Vereinigten Staaten ausüben wird. Er hat erstens schlicht keine Zeit dazu. In den kommenden Monaten wird er einen guten Teil seiner Tage entweder in einem Gerichtssaal oder an Sitzungen mit seinen Anwälten verbringen.
Es warten nicht nur vier Strafprozesse mit 91 Anklagepunkten auf ihn. Er muss sich auch noch mit Zivilprozessen herumschlagen. Derzeit ist einer davon in New York im Gange. Dort geht es um betrügerisches Geschäftsgebaren. Trump drohen eine Busse in der Höhe von 250 Millionen Dollar und der Verlust seiner Geschäftslizenzen im Bundesstaat New York. Und es sieht gar nicht gut aus für den Donald.
Zweitens ist das Amt eines Speakers sehr anspruchsvoll. Der amerikanische Kongress ist eine äusserst komplexe Maschine. Trump hätte keine Ahnung, welche Knöpfe er drücken müsste – und die Geduld dazu hat er auch nicht.
Doch die amerikanische Politik spielt derzeit verrückt. Die Republikanische Partei ist zu einem Verschwörungskult verkommen. Das Abgeordnetenhaus ist unter ihrer Führung ein Zirkus geworden. Deshalb ist alles möglich, auch das Unmögliche, nämlich, dass Trump tatsächlich Speaker wird.
Und warum nicht? Seine Präsidentschaftskandidatur könnte er trotzdem aufrechterhalten, sein Potenzial, Chaos zu erzeugen, würde gar um eine Potenz erhöht werden. Wenn das Haushaltsgesetz wieder auf den Tisch kommt, könnte er einen Shutdown schon im November erzwingen. Einen Shutdown übrigens, den er ausdrücklich befürwortet hat.
Einen solchen Shutdown verhindert hat McCarthy buchstäblich in letzter Sekunde. Eine seltsame Koalition von rechten Hardlinern um Matt Gaetz und progressiven Demokraten wie Alexandria Ocasio-Cortez hat ihn jedoch den Kopf gekostet. Und dies ausgerechnet bei einem der wenigen Male, in denen McCarthy so etwas wie Mut und staatsmännisches Verhalten an den Tag gelegt hat.
Mitleid mit ihm ist trotzdem fehl am Platz. Die Demokraten hätten ihn zwar retten können. Doch auch sie hatten die Schnauze voll. Zu oft hat McCarthy sie hintergangen und belogen. Er hat verdiente Mitglieder aus Kommissionen vertrieben, er hat eine idiotische Impeachment-Untersuchung gegen Präsident Biden zugelassen, und er hat keinerlei konstruktive Zusammenarbeit zwischen beiden Parteien ermöglicht.
Die Demokraten haben sich auch an eine altbewährte Polit-Regel gehalten, die lautet: Stör nie einen Gegner, der sich selbst ins Unglück reitet. Tatsächlich sind die Republikaner die grossen Verlierer dieses Schmierentheaters. Sie haben nicht verhindern können, dass acht Extremisten ein Chaos veranstaltet haben, ein Chaos, das sich bei den nächsten Wahlen bitter rächen könnte. Denn gerade die unabhängigen Wählerinnen und Wähler können die Winkelzüge eines Matt Gaetz und Co. nicht nachvollziehen, und hätten stattdessen lieber konstruktive Vorschläge und Gesetze gegen reale Probleme wie die Inflation, die Kriminalität oder die Situation an der Grenze.
Gaetz ist damit zur Gefahr für die eigenen Leute geworden. In den sieben Jahren, in denen er mittlerweile im Abgeordnetenhaus sitzt, hat er keine einzige Gesetzesvorlage unterbreitet. Sein Coup gegen McCarthy ist sein bisher grösster Erfolg, den er auf Kosten der eigenen Partei errungen hat. Die Wut auf ihn ist deshalb auch in den Reihen der GOP gewaltig. Der ehemalige Speaker Newt Gingrich – weiss Gott kein Linker oder Gemässigter – bezeichnet Gaetz deshalb als Verräter und fordert dessen Ausschluss aus der Fraktion.
Das «Wall Street Journal» jammert derweil: «Das Abgeordnetenhaus ist de facto lahmgelegt. Die mutmassliche GOP-Mehrheit ist geschwächt, und die Möglichkeiten, politische Erfolge zu erzielen, sind untergraben. Die Kontrolle über die Biden-Regierung wird verlangsamt oder kommt gar zu einem Ende. Die Republikaner, die in Swingbezirken speziell verwundbar sind, werden müde sein, der Gaetz-Fraktion weiter zu vertrauen, eine Einheit in der Partei zu erreichen, wird noch schwieriger werden. Die Verrückten auf der linken und der rechten Seite frohlocken – aber sonst niemand.»
Man braucht nicht gewählter Abgeordneter zu sein, um Speaker zu werden.
Sollten dem Präsidenten und der Vizepräsidentin etwas geschehen, was sie amtsunfähig macht, wird der Speaker Präsident.