So wie der «Davos Man» Sinnbild für die globale Elite geworden ist, ist der «Florida Man» zum Symbol für besonders idiotische Taten geworden. Die obersten Richter im Sunshine State sind diesem Ruf gerecht geworden: Sie haben entschieden, dass ein sehr restriktives Abtreibungsgesetz in Kraft treten darf. Jedoch darf über ein Referendum gegen dieses Gesetz im kommenden November gleichzeitig mit der Wahl zum Präsidenten abgestimmt werden.
Freude herrscht ob dieser Entscheidung bei den Wahlkampfstrategen der Demokraten. Für sie sind diese Urteile des Supreme Courts in Tallahassee ein Geschenk Gottes. Zu Recht wittern sie, dass sie jetzt eine reelle Chance haben, nicht nur Donald Trump in Florida zu bezwingen, sondern auch den republikanischen Senator Rick Scott in den Ruhestand zu schicken.
Seit das Oberste Gericht in Washington das legendäre Urteil «Roe v. Wade» aufgehoben und damit die Abtreibungsfrage wieder in die Diskussion geworfen hat, befinden sich die Republikaner auf Schleuderkurs. Einerseits müssen sie die Erwartungen der Evangelikalen erfüllen. Diese lehnen die Abtreibung strikte ab, bilden aber einen wichtigen Teil der Wählerbasis der Grand Old Party (GOP). Gleichzeitig wissen aber auch die Republikaner, dass die Mehrheit der Wähler und vor allem der Wählerinnen die Abtreibungs-Entscheidung den Frauen und nicht dem Staat überlassen will.
Mit der Aufhebung von «Roe v. Wade» kann jeder Bundesstaat über diese Frage selbst bestimmen. Ron DeSantis hat eine ganz schlechte Lösung gewählt. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion hat er ein Gesetz verabschiedet, das die Abtreibung schon nach sechs Wochen verbietet. Zu diesem Zeitpunkt wissen viele Frauen nicht einmal, dass sie schwanger sind. Zudem lässt dieses Gesetz auch bei Vergewaltigung und Inzest kaum Ausnahmen zu.
Dieses Gesetz wird nun – wenn es am 1. Mai in Kraft tritt – zum Mühlstein am Hals der GOP in Florida. Selbst in konservativen Kreisen stösst es auf Ablehnung. Und der Zorn der Frauen ebbt nicht ab, wie es sich die republikanischen Strategen erhofft hatten. Im Gegenteil, er nimmt weiterhin zu. So hat eine Umfrage von Fox News kürzlich ergeben, dass das Urteil des Supreme Court gerade in den konservativen Staaten eine eigentliche Welle von Abtreibungs-Aktivismus ausgelöst hat. In «roten» Staaten wie Ohio und Kansas sind daher Volksabstimmungen für ein liberales Abtreibungsgesetz deutlich angenommen worden.
Die Demokraten verstehen es, diesen Abtreibungs-Aktivismus geschickt auszunutzen. So hat kürzlich eine Demokratin im stockkonservativen Bundesstaat Alabama einen Sitz im örtlichen Senat errungen, der seit Menschengedenken von den Republikanern gehalten wurde. Der Grund ist ein Urteil des Obersten Gerichts von Alabama, das verbietet, befruchtete Eizellen zu vernichten und damit die In-vitro-Befruchtung de facto verunmöglicht.
Um die zornigen Frauen auch im Sunshine State an die Urne zu bringen, haben die Demokraten genügend Unterschriften für ein Referendum gesammelt, welches ein liberales Abtreibungsgesetz auf bundesstaatlicher Ebene erzwingen soll. Da die obersten Richter grünes Licht für eine Abstimmung darüber gegeben haben und da diese Abstimmung ebenfalls am ersten Dienstag im November stattfinden wird, erhoffen sich die Demokraten, auch die Präsidentschaftswahlen zugunsten von Joe Biden entscheiden zu können.
Das letzte Mal war Barack Obama dies 2012 gelungen. Donald Trump hingegen hat 2016 Hillary Clinton geschlagen und 2020 372’000 mehr Stimmen als der amtierende Präsident erzielt.
Die Demokraten machen Heu, solange die Sonne scheint. Die Tinte unter dem Urteil der obersten Richter war noch nicht trocken, da haben sie bereits die ersten TV-Spots geschaltet. Darin machen sie Trump für die harten Abtreibungsgesetze verantwortlich. «Donald Trump trägt die Schuld, dass die Abtreibung im Südosten der Vereinigten Staaten de facto verboten ist», sagt Julie Chávez Rodríguez, Bidens Wahlkampf-Managerin, in der «New York Times». «Und macht euch nichts vor, Donald Trump wird – sollte er gewählt werden – alles in seiner Macht Stehende unternehmen, um ein nationales Abtreibungsverbot zu erlassen.»
Trump hat mehrmals damit geprahlt, dass «Roe v. Wade» nur deshalb aufgehoben werden konnte, weil er gleich drei konservative Richter in den Supreme Court gehievt hat.
Sollte es den Demokraten tatsächlich gelingen, Florida zurückzuerobern, wäre dies ein harter Schlag für die GOP. Die Wahlen würden dann nicht mehr primär in den traditionellen Swing States wie Pennsylvania, Wisconsin und Michigan entschieden. Die Demokraten hätten mehr Spielraum gewonnen.
Dabei haben die Republikaner in den letzten Jahren alles unternommen, um den Sunshine State zu einem Gegenmodell zum demokratisch dominierten Kalifornien aufzubauen. Federführend war dabei Ron DeSantis, der 2022 mit einem überzeugenden Sieg wiedergewählt und für eine kurze Zeit gar als Alternative zu Trump aufgebaut wurde.
«Sic transit gloria mundi», wie der Lateiner sagt. Ron DeSantis' Stern ist nicht nur verblasst, er ist regelrecht abgestürzt. Auch in der regionalen Partei rumort es gewaltig. Nach einem deftigen Sex-Skandal musste der Chef der Republikanischen Partei zurücktreten. Zudem verliert Rick Scott, der ehemalige Gouverneur und aktuelle Senator, ebenfalls an Zuspruch. Er hat das harte Abtreibungsgesetz begrüsst und gefährdet damit seine Wiederwahl im kommenden November.
Nicht nur Florida könnte den Republikanern abhandenkommen. Auch ihre Dominanz in North Carolina ist gefährdet. Dort will die GOP mit Mark Robinson den Gouverneursposten zurückerobern. Robinson ist ein MAGA-Kandidat auf Steroiden. Auf einem inzwischen gelöschten Facebook-Post hat er einst Hitler gepriesen und den Holocaust geleugnet.
Noch weiter geht eine gewisse Michele Morrow. Sie kandidiert für den Posten des höchsten Schulinspektors und will nicht nur Barack Obama öffentlich hingerichtet sehen, sondern auch eine ganze Reihe von anderen Prominenten wie Hillary Clinton, Anthony Fauci und Bill Gates. «Wir müssen alle Verräter umbringen», postete sie 2020 auf Facebook.
Der Mix von Robinson, Morrow und Trump könnte sich als toxisch erweisen. «Geht das so weiter, dann wird North Carolina ein blauer Bundesstaat», befürchtet Wayne King, ein ehemaliger Vize-Präsident der GOP.
Wenn die Republikaner wirklich pro Life sind, dann sollten sie single und bedürftige Mütter und Familien finanziell unterstützen und beschützen. Ein anständigen Mutterschaftsurlaub einzuführen wäre mal ein guter Anfang. Bessere Zustände in den Geburtenabteilung der Spitälern. Bezahlbare Krankenkassen und Kinderbetreuung. All dies ist Pro Life.
Dass das Recht, eine Abtreibung vornehmen zu lassen, ein Menschen- und drum auch Frauenrecht ist, müsste eigentlich nicht mehr diskutiert werden. Leider hat da mit den Reps ein grausiger Rückschritt stattgefunden.