Ein Zitat von Oscar Benvides, einem ehemaligen Präsidenten von Peru, drängt sich angesichts der jüngsten Ereignisse auf: «Für meine Freunde, alles. Für meine Feinde, das Gesetz.»
Was dies konkret bedeutet, wird Donald Trump jetzt am eigenen Leib erfahren. Mit der Anklage von Alvin Bragg, dem Untersuchungsrichter von Manhattan, wird er in eine völlig andere Welt katapultiert, eine Welt, die nach anderen Regeln funktioniert und die er nicht kontrollieren und manipulieren kann.
Trump pflegt bekanntlich damit zu prahlen, dass er einen Menschen öffentlich auf der Fifth Avenue erschiessen könne, ohne dass er die Gunst seiner Fans verliere. Mag sein. Das Recht kümmert sich jedoch keinen Deut um die Popularität des Ex-Präsidenten. Mit der Anklage wird er nun endlich zur Rechenschaft gezogen, und sei es – zumindest vorerst – bloss wegen eines an sich lächerlichen Falls: seiner Affäre mit einer Porno-Darstellerin.
Die neue Welt beginnt für Trump voraussichtlich schon am kommenden Dienstag. Dann muss er in New York vor dem Richter antraben und den «Perp walk» absolvieren, eine öffentliche Demütigung, bei der seine Fingerabdrücke genommen werden, sein Polizeifoto geschossen und er möglicherweise gar in Handschellen gelegt wird.
Am kommenden Dienstag wissen wir definitiv auch, für welche Straftaten sich Trump verantworten muss, denn spätestens dann wird die Klageschrift veröffentlicht. Ganz sicher ist dies jedoch noch nicht. Sollte sich der Ex-Präsident weigern, seine Residenz in Florida zu verlassen, dann könnte sich dies alles noch verzögern.
Obwohl Ron DeSantis, der Gouverneur von Florida, bereits angekündigt hat, er werde Trump auf keinen Fall ausliefern, dürfte dies jedoch kaum der Fall sein. Trump würde dann ausserhalb von Florida zum gejagten Verbrecher. Seine Anwälte sollen deshalb dem Dienstag-Termin bereits zugesagt haben.
Nach aussen gibt sich Trump gelassen und versucht, seinen üblichen Tagesrhythmus in Mar-a-Lago aufrechtzuerhalten: tagsüber Golf, abends dinieren mit Gästen. Insider berichten jedoch, dass der Ex-Präsident geradezu Panik habe. Schliesslich hat er erlebt, wie das Gesetz mit Leute aus seinem direkten Umfeld umgesprungen ist. Sein Finanzchef Allen Weisselberg und sein ehemaliger Wahlkampfmanager Paul Manafort mussten nicht nur den «Perp walk» absolvieren. Beide wurde verurteilt und wanderten in den Knast.
Davon ist Trump noch weit entfernt. Beim kommenden Prozess rund um die Schweigegeld-Zahlungen an Stormy Daniels ist man sich noch uneins, ob er zu einem Shakespeare’schen Drama oder zu einem Schmierentheater ausarten wird. Ein Spektakel wird er auf jeden Fall werden.
Ebenso sind die Meinungen geteilt, wie sinnvoll diese Anklage sei. Die Befürworter argumentieren strikt juristisch im Sinne von: Niemand darf über dem Gesetz stehen. Das gelte auch für einen Ex-Präsidenten.
Tatsächlich scheint der Fall für Laien unkompliziert zu sein: Obwohl er es nach wie vor hartnäckig leugnet, hatte Trump eine Affäre mit Stormy Daniels. Sein Anwalt Michael Cohen hat ihr Schweigegeld bezahlt und erhielt dieses Geld zurück. Dafür gibt es nicht nur die Aussagen des zugegebenermassen zwielichtigen Ex-Anwaltes, sondern auch handfeste Beweise wie gezeichnete Schecks und Tonbandaufnahmen. Zudem hat ein anderer von Trumps Anwälten, der legendäre Rudy Giuliani, diesen Tatbestand in einem Interview mit Fox News öffentlich zugegeben.
Cohen ist wegen dieser Zahlungen verurteilt worden und hat seine Strafe bereits abgesessen. Als amtierender Präsident wurde Trump zunächst geschont, und danach hat sein ehemaliger Justizminister Bill Barr das Verfahren gegen ihn mit fragwürdigen Begründungen eingestellt.
Für Laien ist daher klar: Wenn niemand über dem Gesetz stehen darf, dann muss auch Trump für die Schweigegeld-Affäre zur Rechenschaft gezogen werden, und sei sie noch so trivial. Nur Laien sind nicht mit dem byzantinischen amerikanischen Recht vertraut – wahrscheinlich ist höchstens noch Quantenphysik komplexer –, deshalb ist der Ausgang des Prozesses noch völlig offen.
Kommt dazu, dass der sich anbahnende Prozess in New York erst der Anfang einer Prozesslawine ist. Im Bundesstaat Georgia scheint die Untersuchungsrichterin Fani Willes kurz davorzustehen, Trump wegen versuchter Wahlmanipulation anzuklagen. Gemäss Einschätzung prominenter Juristen ist eine allfällige Anklage in dieser Angelegenheit für den Ex-Präsidenten weit gefährlicher als der Manhattan-Fall.
Ebenso scheint der Sonderbeauftragte Jack Smith bei seinen Untersuchungen gegen Trump weit fortgeschritten zu sein. Er ermittelt wegen der beim Ex-Präsidenten gefundenen Geheimdokumente und dessen Rolle beim Sturm auf das Kapitol. Dazu kommen noch eine ganze Reihe von Zivilprozessen, mit denen sich Trump herumzuschlagen hat.
Der juristischen Niemand-steht-über-dem Gesetz-These steht die politische Pandora-Büchse-These gegenüber.
Nur kurz: Der Begriff stammt aus der griechischen Mythologie. Weil Göttervater Zeus sich an Prometheus rächen wollte, der den Menschen gegen seinen Willen das Feuer geschenkt hatte, gab er den Auftrag, eine wunderschöne Frau zu schaffen. Dieser Pandora übergaben die Götter eine Büchse, in die sie alle Übel der Welt verpackten, mit dem Hinweis, sie auf keinen Fall zu öffnen. Natürlich öffnete Pandora die Büchse – seither kennt die Menschheit Tod, Krankheit und Verderben.
Die Pandora-Box-These besagt, dass mit der Anklage gegen Trump Tür und Tor für ähnliche Anklagen geöffnet worden sei. Jeder Provinz-Untersuchungsrichter sei künftig in der Lage, Ex-Präsidenten unter windigen Umständen vor den Kadi zu zerren und damit Rechtsstaat und Demokratie infrage zu stellen, klagen führende Republikaner.
Tatsächlich ist die Anklage gegen Trump historisch. Noch nie zuvor musste sich ein amerikanischer Ex-Präsident vor Gericht verantworten. «Diese Anklage ist eine Gefahr für Amerika, denn sie wird zu einem Präzedenzfall», warnt daher das «Wall Street Journal». «Mr. Bragg, ein provinzieller Progressiver, setzt Kräfte frei, die ausser Kontrolle geraten könnten, was wir dereinst bedauern werden.»
Umgekehrt wird jedoch ein Schuh draus. Wäre Trump nicht angeklagt worden, dann hätte er bewiesen, dass er nicht nur politisch unangreifbar ist, sondern auch juristisch. Diese Gleichung ist zum Glück nicht aufgegangen. Oder wie es der ehemalige Strafverfolger Dan Horwitz formuliert: «Am Ende des Tages mag Trump zwar ein ehemaliger Präsident sein, doch seit 17 Uhr ist er bloss noch ein Angeklagter.»
Frankreichs Ex-President Sarkozy wurde 2021 zu drei Jahren Haft verurteilt, wegen illegaler Wahlkampffinanzierung (Berufung ist noch hängig). Trotzdem läuft die Demokratie weiter...
Wer viel Macht besitzt, hat viel Verantwortung. Wer Verantwortung missbraucht, muss dafür bestraft werden.