Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan verspricht einen schnellen Wiederaufbau der zerstörten Erdbebengebiete im Südosten der Türkei. Die mehrheitlich regierungsnahen Medien in der Türkei feiern ihn als tatkräftigen Macher, der das Land schnell aus dem tiefen Tal des Unglücks führen wird. Doch es war der Präsident, der die Türkei in dieses Tal hineingeführt hat, indem er sie nicht auf Erdbeben vorbereitete. Das Beben ist deshalb auch Erdogans ganz persönliche Katastrophe.
Im türkischen Präsidialsystem liegt alle Macht in der Hand des Staatsoberhauptes – Erdoğan wollte es genau so haben, doch jetzt wendet sich dieses Prinzip gegen ihn, denn es bedeutet, dass er für Verfehlungen verantwortlich ist, die jetzt ans Licht kommen: Seine Regierung erliess eine Bau-Amnestie, mit der Hunderttausende schlecht gebaute oder illegal veränderte Gebäude für bewohnbar erklärt wurden, und schlug Warnungen von Wissenschaftern vor einem kommenden Beben in den Wind.
In den besonders wichtigen ersten Stunden nach dem Beben reagierten die türkischen Behörden zu langsam, weil sie auf Befehle von oben warteten. Trotz vieler Fehler musste bisher noch kein Minister oder hoher Bürokrat gehen, denn Loyalität geht Erdogan über alles.
Die Opposition stellt die Systemfrage und fordert jetzt erst recht die Rückkehr zum parlamentarischen System. Das kommt für Erdoğan nicht infrage, weil das einen Machtverlust für ihn bedeuten würde. Wahrscheinlicher sind von ihm taktische Züge zu erwarten, um sich vor dem Zorn der Wähler zu schützen. Er könnte versuchen, die anstehenden Wahlen möglichst lange aufzuschieben.
Ob ihm das gelingt oder nicht: Erdoğan wird nicht so weitermachen können wie bisher. Das «Jahrhundert der Türkei» hatte der Präsident ausgerufen. Jetzt erweist sich seine «neue Türkei» als Kleptokratie, in der Zehntausende Menschen in baufälligen Häusern starben, weil seine Minister und Beamten den gefährlichen Pfusch am Bau tolerierten.
Statt für Erdbeben vorzusorgen, steckte Erdoğan viele Milliarden in Prestigeprojekte, mit denen er die neue Grösse der Türkei demonstrieren wollte – vom ersten türkischen E-Auto über die Ankündigung, einen türkischen Astronauten ins All zu schicken, bis zur Entwicklung eines eigenen Kampfflugzeuges. Im Gefühl der eigenen Stärke drohte Erdoğan dem Nachbarn Griechenland mit Krieg und blockierte die Aufnahme von Finnland und Schweden in die Nato.
Jetzt zogen Rettungsteams aus Griechenland türkische Erdbebenopfer aus den Trümmern, und die Nato-Partner schickten mehr als 1400 Helfer – darunter Experten aus Finnland und Schweden – in die Türkei. Nach dem Beben empfing Erdogans Aussenminister seinen griechischen Kollegen und versprach, alle Differenzen im Dialog zu lösen.
Nicht nur aussenpolitisch wird Erdoğans Türkei ab sofort kleinere Brötchen backen müssen. Die türkische Wirtschaft litt schon vor dem Beben unter teils hausgemachten Problemen mit hoher Inflation und einem wachsenden Aussenhandelsdefizit. Das Erdbeben ist ein neuer schwerer Schlag.
Unternehmen und Arbeiter im Erdbebengebiet erwirtschafteten bisher rund zehn Prozent des türkischen Bruttoinlandsproduktes. Nach der Katastrophe, die Schäden von mehr als 80 Milliarden Dollar angerichtet hat, braucht die Türkei viel Geld für neue Häuser, Strassen und Brücken. Damit wächst ihre Abhängigkeit von ausländischen Geldgebern, etwa den arabischen Golfstaaten.
Hätte Erdoğan rechtzeitig die richtigen Prioritäten gesetzt, wäre die Türkei jetzt nicht in dieser Lage, und viele Menschen wären noch am Leben: Fachleute schätzen, dass die Regierung für die jetzt entstandene Schadenssumme das ganze Land gegen künftige Beben hätte wappnen können. Doch das ist nicht geschehen – darin liegt das historische Versagen des türkischen Präsidenten. (aargauerzeitung.ch)
Oh wait, den hat Erdogan ja geleert für seine Prestigprojekte und für sich als Mr. 10 Perçent 🫥😶🤦🏼♂️
Leider gibt es nicht nur in der Türkei zuviele Lernresistente, die solchen Charakteren immer wieder ihre Stimme geben und sich bis zu letzt einreden, er kümmere sich dann schon noch um sie.