Viel Tinte wurde über die Folgen von Trumps «Big Beautiful Bill» vergossen, über die Folgen für das amerikanische Staatsdefizit und darüber, dass rund elf Millionen Menschen ihre Krankenversicherung verlieren werden. Weil das Gesetz so umfangreich ist – es umfasst gegen 1000 Seiten – ist dabei beinahe untergegangen, dass es auch einen gigantischen Ausbau der Migrationspolizei ICE (Immigration and Custom Enforcement Agency) enthält.
Dazu die Zahlen: Künftig wird ICE über ein Jahresbudget von 37,5 Milliarden Dollar verfügen können. Zum Vergleich: Das ist höher als die gesamten militärischen Ausgaben von Italien. Das Schweizer Verteidigungsbudget lag im vergangenen Jahr bei rund sechs Milliarden Franken.
ICE wird bald ein landesweites Netz von Internierungslagern besitzen, in denen über 100’000 Menschen gefangen gehalten werden. Sie werden dabei in abgeschiedenen und gefährlichen Gegenden angesiedelt sein. In die Schlagzeilen geraten ist dabei das Lager «Alligator Alcatraz» in Florida. Es ist umgeben von Sümpfen, in denen sich Alligatoren und Schlangen tummeln, was Trump zur zynischen Bemerkung veranlasste: «Wir werden ihnen (den Insassen) zeigen, wie sie, wenn sie aus dem Gefängnis ausbrechen, den Alligatoren davonrennen können.»
Die ICE-Agenten treten meist vermummt auf und schleppen ihre Opfer in unmarkierten Kleinbussen ab. Per Gesetz müssten sie ihre Masken abnehmen und sich ausweisen. Doch sie scheren sich nicht darum, denn der Oberste Gerichtshof hat dem US-Präsidenten erlaubt, diese Regeln zu ignorieren.
Hat da jemand Gestapo gesagt? Der Vergleich drängt sich zumindest auf. Oder wie Edward Luce in der «Financial Times» schreibt: «ICE ist de facto Trumps Privatarmee – sein Sicherheitsapparat innerhalb des Staates.»
Dafür, dass dieser Sicherheitsapparat auch geschmiert funktioniert, sorgt Stephen Miller (39). Auf dem Papier ist seine Funktion zwar bloss diejenige eines stellvertretenden Stabschefs, de facto ist er jedoch nach Trump der mächtigste Mann im Weissen Haus. In einem längeren Porträt im «New Yorker» zeigt Jason Zengerle auf, dass sowohl Kristi Noem, die Ministerin des Departements für innere Sicherheit, als auch Justizministerin Pam Bondi den Weisungen von Miller folgen.
Auch seine Vorgesetzte, Stabschefin Susie Wiles, kümmert sich kaum um die Tagespolitik. «Typischerweise hat daher stets Mr. Miller das letzte Wort», so Zengerle. Christopher Rufo, ein einflussreicher konservativer Aktivist, bestätigt diese Einschätzung. «Stephen Miller übersetzt den politischen Instinkt von Trump in ein kohärentes ideologisches Programm. Er ist der Mann der zweiten Amtszeit.»
Miller gibt sich gerne noch sadistischer als sein Boss. So hat er in einem Interview freudig erklärt: «Ihr werdet den Wecker zwei Stunden vorstellen, um miterleben zu können, wie die Deportationsflüge abheben. Es wird wunderbar sein.» Dass dabei die meisten, die ausgeschafft werden, nie gegen ein Gesetz verstossen haben, dämpft seine Freude keineswegs.
Jetzt treibt er die ICE-Agenten an, täglich mindestens 3000 illegale Migranten festzunehmen, und er hat auch bewirkt, dass der Präsident seine Weisung, Farmarbeiter und Hotelangestellte davon auszunehmen, wieder zurückgenommen hat. Der Sohn einer liberalen und wohlhabenden jüdischen Familie aus Santa Monica (Kalifornien) ist dabei ein Überzeugungstäter. Er will den letzten illegalen Einwanderer ausser Landes geschafft haben, koste es, was es wolle.
Miller ist nicht nur sadistisch, er ist auch intelligent. Er war es, der ein uraltes Gesetz, den Alien Enemies Act, ausgegraben und damit die Deportation von vermeintlich kriminellen Migranten nach El Salvador legitimiert hat. Dass mehrere Bundesrichter dieses Vorgehen für nicht rechtmässig erklärt haben, kümmert ihn nicht. Sie hätten in dieser Sache «keine Autorität», erklärt er kaltschnäuzig.
Dass Miller einer der ganz wenigen Menschen ist, die es schaffen, über Jahre als Nicht-Familienmitglieder im engen Trump-Kreis zu bleiben, zeigt, dass er nicht nur intelligent, sondern auch verschlagen ist. Er ist der geborene Speichellecker, der seine Förderer unter den Bus wirft, wenn sie in Ungnade fallen. So geschehen mit Steve Bannon und dem ehemaligen Justizminister Jeff Sessions.
Bei jeder sich bietenden Gelegenheit streicht Miller seinem Boss Honig ums Maul. So flötete er nach Trumps Verkündigung der reziproken Zölle: «Ihr habt gerade die grösste ökonomische Strategie eines amerikanischen Präsidenten in der Geschichte erlebt.»
Das neue Eis-Zeitalter, das sich in den USA ausbreitet, lässt alle erschauern, die an Demokratie und Rechtsstaat glauben. «Viktor Orbán hat Jahre gebraucht, um sich als starker Mann in Ungarn durchzusetzen. Trump versucht das Gleiche innert Monaten zu erreichen», stellt Ed Luce in der «Financial Times» fest. Ein Hoffnungsschimmer bleibt: «Vielleicht wird dieses überstürzte Vorgehen ihm zum Verhängnis werden.»
Und es zeigt sich auch hier, dass kein Diktator Probleme hat, genügend Schergen zu finden, die seine finsteren Pläne umsetzen. Unter den Masken dürften einige bekannte Gesichter der Proud Boys und Oath Keepers stecken.
Neue Zuwanderer und internationale Studierende werden es sich zweimal überlegen, ob sie in dieses Land ziehen wollen. Selbst ein Visum reicht mittlerweile nicht mehr aus, um sicher zu sein.