Einmal mehr sind viele in Europa geschockt. Die Freiheitspartei (PVV) des Rechtspopulisten Geert Wilders hat bei den Wahlen in den Niederlanden am Mittwoch das mit Abstand beste Ergebnis erzielt. Obwohl sie in den Meinungsumfragen stark aufgeholt hatte, übertraf sie mit vermutlich 37 der 150 Sitze im Parlament die eigenen Erwartungen.
Der 60-jährige Wilders wirkte selber überrumpelt und gab sich in einer kurzen Ansprache für seine Verhältnisse moderat. Jetzt müssten «alle über ihren Schatten springen». Schon im Wahlkampf hatte er seine antiislamischen Forderungen – er will den Koran verbieten und Moscheen schliessen – derart weichgespült, dass man ihn spöttisch «Geert Milders» nannte.
Der «Nexit», der niederländische Austritt aus der Europäischen Union, hat für ihn ebenfalls keine Priorität mehr, dafür schoss er sich auf den «Asyl-Tsunami» ein. Schon die bisherige Mitte-Rechts-Regierung von Langzeit-Ministerpräsident Mark Rutte, der nicht mehr antrat, war nach nur 18 Monaten am Reizthema Einwanderung gescheitert.
Damit wiederholt sich ein Muster, das man in vielen europäischen Ländern erlebt. Rechte Parteien profitieren von einem verbreiteten Unbehagen bei den Themen Asyl und Zuwanderung. Auch die SVP konnte damit bei den Wahlen am 22. Oktober punkten. Selbst die lange als besonders tolerant geltenden Niederländer sind dagegen nicht immun.
Gleichzeitig muss man den Erfolg von Geert Wilders relativieren. So ging er teilweise auf Kosten anderer rechter Parteien. Die FvD des rechtsextremen Publizisten Thierry Baudet kam vermutlich auf drei Sitze, und die Bauernpartei BBB, die bei den Regionalwahlen im Frühjahr aufgetrumpft hatte, landete mit sieben Sitzen auf dem Boden der Realität.
Vor allem aber dürfte es Wilders schwerfallen, eine tragfähige Regierung zu bilden. Selbst mit 37 Sitzen hat er nur knapp die Hälfte der für eine Mehrheit im Parlament nötigen 76 Sitze. Und die niederländische Parteienlandschaft ist notorisch zersplittert, für den Einzug in die Generalstände in Den Haag genügt ein Wähleranteil von 0,67 Prozent.
Mark Rutte hatte es 2010 mit einer von Geert Wilders tolerierten Minderheitsregierung versucht. Das Experiment ging dermassen schief, dass der rechtsliberale Ex-Premier den Rechtspopulisten danach zur Persona non grata erklärt und jede Zusammenarbeit mit ihm kategorisch ausgeschlossen hatte. Auch jetzt sind die Hürden für ihn hoch.
«Ich halte es für unwahrscheinlich, dass Wilders eine Mehrheit hinter sich vereinen kann», meinte die Politologin Carla van Baalen von der Radboud Universiteit Nijmegen im Interview mit dem «Spiegel». Der Nationalist mit dem blondierten Haar und den indonesischen Wurzeln traue «niemandem ausser sich selbst», schreibt der «Tages-Anzeiger»-Korrespondent.
Seine PVV hat nur ein eingetragenes Mitglied: Geert Wilders. Er will damit verhindern, dass ihn jemand herausfordern oder gar stürzen kann. Wegen seiner Hasstiraden gegen den Islam steht er seit Jahren unter Polizeischutz und muss regelmässig die Wohnung wechseln. Es fällt schwer, ihn sich als Regierungschef vorzustellen.
Selbst wenn es nicht dazu kommt, ist das Wahlergebnis vom Mittwoch ein weiteres Warnsignal für Europa. Das Thema Migration treibt viele Menschen in die Arme von Rechtspopulisten, die ihnen das Blaue vom Himmel herunter versprechen. Dabei ist der Widerspruch offensichtlich: Der alternde Kontinent ist auf Arbeitsmigranten angewiesen.
Die Briten erfahren das auf die harte Tour: Die Zuwanderung hat nach dem Brexit nicht ab-, sondern zugenommen. Selbst Geert Wilders forderte im Wahlkampf einen sofortigen Einwanderungsstopp und gleichzeitig «mehr Personal in der Pflege». Je deutlicher solche Widersprüche aufgezeigt werden, umso eher lassen sich Rechtspopulisten «entzaubern».
Das allein wird nicht genügen. Die Europäer müssen härter gegen die irreguläre Migration vorgehen. Sie verunsichert die Menschen und erzeugt ein Gefühl des Kontrollverlusts, was die liberale Demokratie untergraben könnte. Gleichzeitig müssen mehr Möglichkeiten zur legalen Einwanderung geschaffen werden, über Abkommen mit den Herkunftsländern.
Die EU hat Schritte in diese Richtung eingeleitet, aber die Umsetzung ist schwierig und langwierig. Der Erfolg von Geert Wilders muss als Warnsignal ernst genommen werden. Bei seinen «Gesinnungsgenossen» in Deutschland und Frankreich oder beim ungarischen Regierungschef Viktor Orban jedenfalls herrschte Jubelstimmung.
Wenn alle anderen Parteien die offensichtlichen Probleme der Migration aus dem globalen Süden negieren (links) oder nicht handeln (Mitte und Mitte-rechts), ist dies die logische Konsequenz.
Dass es auch anders ginge, zeigen die Sozialdemokraten in Dänemark.
Wir linken und Mitte-linken Menschen sollten uns unbedingt an ihnen ein Beispiel nehmen, bevor SVP und AfD noch mehr erstarken.