International
Analyse

Tumult im Bundestag: Die AfD verhilft Friedrich Merz zu einer Mehrheit

epa11860499 German Chancellor Olaf Scholz (C) and German Minister for Economy and Climate Robert Habeck (L) look on as Chairman of the Christian Democratic Union (CDU) party and faction Friedrich Merz ...
Eine «Mehrheit der Mitte» blieb ihm versagt: CDU-Chef Friedrich Merz (rechts) am Mittwoch im Deutschen Bundestag. Links im Bild Robert Habeck, in der Mitte Olaf Scholz.Bild: keystone
Analyse

Tumult im Bundestag: Die AfD verhilft Friedrich Merz zu einer Mehrheit

Erstmals haben die Rechtsradikalen mit den Christdemokraten gestimmt. Linke Politiker sprechen von einem Tabubruch. Viel mehr als Wahlkampfgetöse dürfte die Empörung aber nicht sein.
29.01.2025, 20:4529.01.2025, 20:55
Hansjörg Friedrich Müller, Berlin / ch media
Mehr «International»

Der deutsche Wahlkampf hat seinen bisherigen Höhepunkt erlebt; dass es sich bei der Debatte, die am Mittwoch im Bundestag stattfand, um eine parlamentarische Sternstunde handelte, wird ausser Vertretern der AfD allerdings kaum jemand behaupten wollen. Am Ende kam es zu Tumulten; von einem historischen Tabubruch war die Rede. Aus Sicht einiger Redner schien gar die Zukunft der deutschen Demokratie auf dem Spiel zu stehen.

Anlass für die Aufregung war ein Entschliessungsantrag, den die oppositionelle Union eingebracht hatte. Das Papier, das rechtlich nicht bindend ist, sieht deutliche Verschärfungen in der Asylpolitik vor. Verabschiedet wurde es mit den Stimmen von Christdemokraten, Christsozialen und Liberalen – und mit denen der AfD. Als Zünglein an der Waage erwies sich das Bündnis Sahra Wagenknecht, das dem Antrag durch Stimmenthaltung zu einer Mehrheit verhalf.

Mit ihrer Zustimmung verurteilte sich die AfD selbst

Zwar hatte sich Friedrich Merz, der Chef der CDU und Kanzlerkandidat der Union, im Vorfeld nicht mit der AfD abgesprochen, doch ihre Zustimmung nahm er in Kauf. Den Ton der Debatte setzte der sozialdemokratische Kanzler Olaf Scholz bereits Stunden vor der Abstimmung: Merz habe eine Kooperation mit der rechtsradikalen Partei stets ausgeschlossen, nun werde er wortbrüchig, warf Scholz dem CDU-Chef vor. Merz' Ideen – unter anderem sollen Schutzsuchende, die aus sicheren Herkunftsländern einreisen, künftig an den deutschen Grenzen abgewiesen werden – seien rechtswidrig und «antieuropäisch», sagte Scholz.

Dass der Kanzler dem Oppositionsführer indirekt unterstellte, dieser könnte nach der Bundestagswahl Ende Februar eine Koalition mit der AfD eingehen, empörte Merz. «Niederträchtig und infam» seien derartige Spekulationen. Nach den Anschlägen von Magdeburg und Aschaffenburg müssten endlich Massnahmen gegen den Zustrom illegaler Flüchtlinge ergriffen werden, sagte der CDU-Chef. SPD und Grüne befänden sich in der Minderheit und nutzten die AfD als Werkzeug, um den Willen der Bevölkerung zu ignorieren. Tatsächlich befürwortet laut Umfragen eine Mehrheit der Deutschen eine strengere Asylpolitik.

Länder wie Italien, Dänemark oder die Niederlande täten längst, was er fordere, erklärte Merz. Die europäische Einwanderungs- und Asylpolitik sei dysfunktional, also brauche es einen Vorrang nationalen Rechts, wenn die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet seien. Wenn es am Ende die AfD sei, die seinem Antrag zu einer Mehrheit verhelfe, seien SPD und Grüne schuld, sagte er. «Es ist Ihre Entscheidung, ob es eine Mehrheit der Mitte gibt», rief er er den Abgeordneten der Regierungsparteien zu.

Wirtschaftsminister Robert Habeck, der Kanzlerkandidat der Grünen, warf Merz vor, gemeinsam mit Rassisten zu stimmen. Christian Lindner, der Chef der FDP, stellte sich dagegen hinter die Union und nahm ebenfalls die SPD in die Pflicht: In Dänemark hätten die Sozialdemokraten die Rechtspopulisten durch eine strenge Migrationspolitik an die Wand gedrückt. In der Ampel-Koalition, die im November zerbrach, habe man jede Verschärfung in der Asyl-Politik gegen die Grünen durchsetzen müssen, sagte Lindner. Diese seien «Steigbügelhalter der AfD».

Von der AfD versuchten sich Merz und seine Parteikollegen zu distanzieren, indem sie diese in ihrem Antrag mit kritischen Worten bedachten. Um sich für eine Verschärfung der Asyl-Politik auszusprechen, musste sich die rechtsradikale Partei also selbst verurteilen.

Ein Hindernis sahen die AfD-Abgeordneten darin offenbar nicht: Dass sich die Union an ihrer Partei abarbeite, sei zwar «verantwortungslos und infantil», erklärte die AfD-Chefin Alice Weidel, doch stimme ihre Fraktion «jedem vernünftigen Vorschlag» zu. Im Übrigen habe die Union ihren Antrag von der AfD abgeschrieben, behauptete Weidel.

Freude herrschte nur bei der AfD

Die metaphorische «Brandmauer», die die etablierten Parteien gegenüber der AfD errichtet haben, inspirierte Weidel zu einer polemischen Wortschöpfung: Die Opfer von Anschlägen wie in Magdeburg und Aschaffenburg nannte sie «Brandmauertote», offenbar unter Anspielung auf die Mauertoten an der einstigen deutsch-deutschen Grenze.

Von den äusserst heftigen Anwürfen, denen Merz nach der Abstimmung ausgesetzt war, scheint sich der CDU-Chef nicht beeindrucken zu lassen: Bereits am Freitag will er einen Gesetzentwurf ins Parlament einbringen, der unter anderem vorsieht, dass Personen ohne dauerhaftes Aufenthaltsrecht ihre Familienmitglieder künftig nicht mehr nachholen dürfen. Ausserdem sollen der Bundespolizei mehr Kompetenzen im Kampf gegen illegale Migration eingeräumt werden.

Bei der AfD herrschte nach der Abstimmung Jubel: Die «Brandmauer» sei gefallen, die Zeit der linken Dominanz zu Ende, sagten AfD-Abgeordnete sinngemäss. Die Stimmung bei der Union blieb dagegen verhalten.

Vermutlich wird Merz nach der Wahl mit der SPD oder den Grünen koalieren müssen. Wer deren Vertretern am Mittwochabend lauschte, konnte meinen, die Vertrauensbasis zwischen ihnen und Merz sei für immer zerstört. Der CDU-Chef wird aber wohl darauf vertrauen können, dass die Aussicht auf Ministerposten die Wogen glättet. (aargauerzeitung.ch)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
So zerstört man Rechtspopulismus
1 / 24
So zerstört man Rechtspopulismus
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Deutscher Politiker Friedrich Merz geht mit seinen Tanzmoves viral
Video: twitter
Das könnte dich auch noch interessieren:
251 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
TRN
29.01.2025 20:58registriert Dezember 2021
Sehr gut dargestellt! Es ist also schon böse, wenn man einen Antrag einbringt, bei dem die AFD zustimmt. Es geht nicht um den Inhalt des Antrags, sondern darum wer in befürwortet, und wenn die AFD dabei ist, dann ist der Inhalt deswegen verwerflich. Deutlicher können die Linkspopulisten nicht zeigen, dass sie die tatsächlichen Sachverhalte und die Sorgen ihrer Wähler nicht ansatzweise interessieren.
28793
Melden
Zum Kommentar
avatar
DerRealist
29.01.2025 21:00registriert September 2022
Das deutsche Verständnis von Demokratie kann ich nicht ganz nachvollziehen. Die krampfhafte Abgrenzung zur AfD um jeden Preis ist für die etablierten Parteien wohl eher schädlich als nützlich.
21867
Melden
Zum Kommentar
avatar
Knut Knallmann
29.01.2025 20:55registriert Oktober 2015
Ich hab noch gelernt in einer Demokratie entscheidet die Mehrheit - Für Gewisse Kreise scheint das jedoch eine komplett neue Erkenntnis zu sein…
19559
Melden
Zum Kommentar
251
    Pixi-Schöpferin und Illustratorin Eva Wenzel-Bürger tot

    Die «Pixi»-Bilderbücher finden sich in vielen Kinderzimmern – nun ist die Schöpferin des gleichnamigen Wichtels und Helden der Buchreihe gestorben. Die Kinderbuchillustratorin Eva Wenzel-Bürger starb am 31. Januar kurz vor ihrem 93. Geburtstag in Berlin, wie der Hamburger Verlag Carlsen mitteilte. Sie sei für den Verlag über Jahrzehnte eine der wichtigsten Bilderbuchillustratorinnen gewesen. Zuvor hatten Medien berichtet.

    Zur Story