Seit dem 1. September ist im Bundesstaat Texas ein neues Abtreibungs-Gesetz in Kraft. Es untersagt, dass nach sechs Wochen Schwangerschaft eine Abtreibung vorgenommen werden darf, auch nicht nach einer Vergewaltigung oder bei Inzest.
Das bedeutet, dass in Texas de facto keine Abtreibungen mehr möglich sind, denn bis zu 90 Prozent aller Frauen wissen erst nach der sechsten Woche, dass sie ein Kind erwarten. Es bedeutet auch, dass vor allem arme Frauen darunter leiden werden. Wer es sich leisten kann, kann jederzeit in ein Flugzeug steigen und die Abtreibung in einem liberalen Bundesstaat vornehmen lassen. Frauen, die drei Jobs ausführen müssen, um vier Kinder zu ernähren, haben diese Option nicht.
Das Gesetz benachteiligt nicht nur die Armen, es verwandelt Texas auch in einen üblen Überwachungs- und Spitzel-Staat. Dazu haben die konservativen Abtreibungsgegner sich etwas sehr Perfides ausgedacht: Nicht die schwangere Frau wird bestraft, sondern alle ihre Helfer. Das reicht vom Arzt über die Krankenschwester und die Beraterin bis zur Freundin, welche die Frau mit dem Auto in die Klinik gefahren hat.
Selbst der Uberfahrer muss damit rechnen, zur Kasse gebeten zu werden. Und zwar nicht zu knapp. Er wird im Falle eines Schuldspruches mit 10’000 Dollar gebüsst und muss die Anwaltskosten auch des Klägers übernehmen. Der Kläger wiederum kann diese 10’000 Dollar für sich einsacken.
Klagen kann jede und jeder, auch Personen, die in keinerlei Beziehung zur schwangeren Frau stehen. Das bedeutet, dass in Texas eine moderne Version der Kopfgeldjägerei wieder eingeführt wird. Nicht nur religiöse Fanatiker werden nun Schwangeren das Leben schwer machen, sondern auch skrupellose Kopfgeldjäger. Gleichzeitig wird dem Bespitzeln Tür und Tor geöffnet. Wer wird noch seinem Nachbarn trauen, oder gar Familienangehörigen?
Eigentlich sollte dies nicht möglich sein. In den USA gibt es ein Urteil des Obersten Gerichtshof, das grundsätzlich jeder Frau das Recht auf eine Abtreibung zugesteht. Dieses Urteil trägt den Titel «Roe versus Wade» und stammt aus den liberalen Siebzigerjahren.
Seit es gefällt wurde, wird dieses Urteil von den konservativen Abtreibungsgegnern mit allen Tricks bekämpft. In Texas haben sie nun endlich ihr Ziel erreicht. Möglich geworden ist dies, weil der Supreme Court sich in der Trump-Ära grundsätzlich verändert hat. Und zwar wie folgt:
Als Richter Antonin Scalia am 13. Februar 2016 überraschend verstarb, hätte Präsident Barack Obama die Möglichkeit gehabt, einen Nachfolger zu bestimmen. Weil Scalia stockkonservativ war und Obama mit dem aktuellen Justizminister Merrick Garland einen moderat-liberalen Richter nominieren wollte, verweigerte der von den Republikanern beherrschte Senat Garland die Anhörung.
Das allein war skandalös, aber es kam noch viel schlimmer. Kaum war Donald Trump im Amt, nominierte er den konservativen Juristen Neil Gorsuch als Nachfolger von Scalia. Als wenig später Anthony Kennedy zurücktrat, wurde er nach einer von Tumulten begleiteten Wahl durch Brett Kavanaugh ersetzt. Und als schliesslich die legendäre Ruth Bader Ginsburg verstarb, konnte Trump im Verbunde mit Mitch McConnell, dem damaligen republikanischen Mehrheitsführer im Senat, in letzter Sekunde noch die sehr katholische Amy Coney Barrett durchdrücken.
Mit Glück und Skrupellosigkeit ist es den Republikanern so gelungen, die Mehrheitsverhältnisse im Supreme Court massiv zu ihren Gunsten zu verändern. Sechs konservative Richter stehen drei liberalen gegenüber. Das zahlt sich nun aus. Obwohl das neue Abtreibungsgesetz wahrscheinlich gegen die Verfassung verstösst, weigerten sich die obersten Richter, einzugreifen.
Deshalb ist das neue Gesetz nun in Kraft getreten, und damit ist auch eingetreten, was bei den Wahlen der konservativen Richter allgemein befürchtet wurde: «Roe v. Wade», das Recht der Frauen auf Abtreibung, wird mit Billigung des Obersten Gerichtshofes durch die Hintertür abgeschafft.
Das gilt weit über die Grenzen von Texas hinaus. Es ist anzunehmen, dass nun auch andere republikanisch regierte Bundesstaaten dem Beispiel des Lone Star State folgen und ähnlich perfide Abtreibungsgesetze erlassen werden.
Texas selbst wird immer mehr zum Musterbeispiel eines Staates, wie man ihn zu erwarten hat, sollten die Republikaner an die Schalthebel der Macht zurückkehren. Das Abtreibungs-Gesetz ist nur das letzte Glied einer Reihe von Gesetzen, welche eine ernste Gefahr für die Demokratie darstellen. So ist es in Texas neuerdings erlaubt, ohne Waffenschein Pistolen und Gewehre offen zu tragen. Gleichzeitig hat der Kongress in Austin soeben die schlimmsten Einschränkungen des Wahlrechts in den USA beschlossen.
Dabei sind all diese Gesetze von der Mehrheit der Bevölkerung unerwünscht. Umfragen zeigen, dass 53 Prozent der knapp 30 Millionen Texanerinnen und Texaner nicht damit einverstanden sind, «Roe v. Wade» zu kippen. 57 Prozent lehnen die laschen Waffengesetze ab und eine Mehrheit will auch die Möglichkeit, mit dem Auto an sogenannten Drive-through-Stationen abzustimmen, beibehalten.
Die Konservativen um Gouverneur Greg Abbott kümmert dies nicht. Unbeirrt schreiten sie weiter auf ihrem Weg in eine autoritäre Gesellschaft; in einen Überwachungsstaat, der die Kommunistische Partei Chinas vor Neid erblassen lässt.
Nicht nur Texas ist in Gefahr. «Weniger Wahlrechte, weniger Krankenkasse, aber mehr Gewehre und mehr Alkohol: So sieht Texas heute aus», stellt Dana Milbank in der «Washington Post» fest. «Das ist die Zukunft für uns alle – es sei denn, wir mobilisieren endlich gegen den Versuch der Republikaner, unsere Demokratie zu zerstören.»
Und noch stossender ist es, dass «Pro Life» sofort aufhört, sobald das Kind geboren ist. Alles, was Kindern helfen würde, wird gnadenlos abgewürgt. Kürzlich wurde in Wisconsin gefordert, die Gratismahlzeiten von Kindern an Schulen zu streichen, weil die Kinder dadurch «verwöhnt» würden.
Der Vergleich mit China ist übrigens falsch - ich würd' die eher mit den Taliban gleichsetzen. Religiöse Eiferer, die Frauen jegliche Rechte absprechen.
Ich bin einmal mehr froh, das ich in der Schweiz leben darf.