Trumps Zaubertrank wirkt nicht mehr
Nach Donald Trumps unsäglicher Aufforderung, gegen demokratische Politiker wegen Landesverrats die Todesstrafe zu verhängen, gab es offenen Widerspruch in der eigenen Partei, und zwar von prominenter Seite. John Thune, Mehrheitsführer der Grand Old Party (GOP) im Senat, erklärte kurz und bündig: «Damit bin ich nicht einverstanden.» Später fügte er noch hinzu: «Der Präsident war schlecht beraten.» Diese Aufforderung sei sowohl «überflüssig» als auch «provokativ».
Noch vor kurzem wäre es undenkbar gewesen, dass ein führender Vertreter der GOP sich derart klar gegen seinen Präsidenten stellen würde. Nach wie vor hatte der legendäre Trump-Spruch Gültigkeit, wonach er jederzeit jemanden auf offener Strasse erschiessen könne, ohne dass deswegen irgendjemand aufmucken würde.
Diese Zeiten scheinen vorbei zu sein. In der Epstein-Affäre hat Trump die wohl schlimmste Niederlage seit dem missglückten Sturm auf das Kapitol am 20. Januar 2021 erlitten. Besonders schmerzhaft dabei ist die Tatsache, dass mit den Abgeordneten Marjorie Taylor Greene und Thomas Massie zwei bekennende Maga-Vertreter eine führende Rolle gespielt haben und dass der Kongress das Gesetz, das das Justizministerium dazu zwingt, die Epstein-Akten zu veröffentlichen, mit bloss einer Gegenstimme verabschiedet hat.
Zwar versuchte der Präsident zu retten, was nicht mehr zu retten war, indem er im letzten Moment die Republikaner dazu aufforderte, diesem Gesetz zuzustimmen. Weil er jedoch zuvor monatelang alle Hebel in Bewegung gesetzt hatte, um genau dies zu verhindern, war dies bloss noch peinlich.
In der Epstein-Affäre bewahrheitet sich einmal mehr die Binsenwahrheit, wonach der Versuch, ein Verbrechen zu vertuschen, schlimmer ist als das Verbrechen selbst. Schon vor dieser historischen Abstimmung im Kongress zeigten sich die republikanischen Senatoren renitent. Obwohl mehrmals von Trump aufgefordert, weigerten sie sich, die sogenannte Filibuster-Regel aufzuheben, um den Shutdown zu beenden.
Trotzdem haben die Demokraten schliesslich nachgegeben und Trump so einen Pyrrhussieg ermöglicht. Das Ende des Shutdowns war der Anfang des Epstein-Debakels, weil eine frisch gewählte demokratische Abgeordnete endlich vereidigt werden musste.
Trump ist mit einem grossen Missverständnis in seine zweite Amtszeit gestartet. Er ging davon aus, dass er einen Erdrutsch-Sieg und damit ein Mandat für eine patriotische Revolution erzielt hatte. Tatsächlich war der Ausgang der Wahlen knapp – Trumps Vorsprung betrug gerade mal 1,5 Prozent – und die Wähler erwarteten von ihm primär «affordability», will heissen, dass er die Preise für Lebensmittel und Hypotheken senken würde, wie er dies im Wahlkampf versprochen hatte.
Nach rund zehn Monaten muss der amerikanische Mittelstand feststellen, dass Güter- und Lebensmittelpreise alles andere als erschwinglich geworden sind. Das gilt für die Familien, die zwischen rund 70’000 und 200’000 Dollar im Jahr verdienen. 44 Prozent dieser Einkommensgruppe haben in einer Umfrage der University of Michigan angegeben, dass sich ihre finanzielle Situation im Verlauf dieses Jahres verschlechtert habe, bloss 23 Prozent sprachen von einer Verbesserung.
Das führt dazu, dass sich im Land zunehmend eine miese Stimmung ausbreitet, zumal der Mittelstand auch zerknirscht zur Kenntnis nehmen muss, dass gleichzeitig die Aktienbörsen boomen. Davon profitieren jedoch die Reichen und die Folge davon ist, dass sich die Reichtumsschere immer weiter öffnet.
Auch an der Inflationsfront ist noch keine Besserung zu erkennen. Das verschlimmert die Lage des Mittelstandes, denn wie das «Wall Street Journal» berichtet, haben die steigenden Kosten mittlerweile die während der Corona-Krise angehäuften Ersparnisse aufgebraucht.
Die «Erschwinglichkeits»-Krise hat den Demokraten bei den jüngsten Wahlen Siege beschert, die tatsächlich erdrutschartig ausgefallen sind. Trump hat sie derweil eine weitere Niederlage zugefügt, die im Zuge des Epstein-Debakels beinahe unbemerkt über die Bühne gegangen ist: Er musste die Zölle auf Rindfleisch, Bananen und Kaffee zurücknehmen und damit auch zugeben, dass Zölle tatsächlich Steuern für die eigene Bevölkerung sind.
Epstein und die «Erschwinglichkeits»-Krise sind die grössten, aber nicht die einzigen Baustellen für die Trump-Regierung. So ist die von Trump eingesetzte Anklägerin im Verfahren gegen den ehemaligen FBI-Direktor James Comey derart stümperhaft vorgegangen, dass der Prozess wahrscheinlich platzen wird. Sie hatte es versäumt, der Grand Jury – dem Gremium, das darüber entscheiden muss, ob es überhaupt zu einer Anklage kommt – die vollständige Anklageliste vorzulegen. Kein Wunder, die Frau war zuvor Versicherungs-Juristin und hat noch nie eine Anklage vertreten.
Ob ungeschickte Äusserungen beim Besuch des saudi-arabischen Kronprinzen Mohammed bin Salman oder Beschimpfungen von missliebigen Journalisten: Karoline Leavitt, die Sprecherin des Weissen Hauses, muss fast täglich idiotische Äusserungen des Präsidenten geraderücken. Vor allem mit Journalistinnen und Late-Night-Comedians legt sich Trump regelmässig an. Die einen beschimpft er als «Schweinchen», die anderen will er vom Bildschirm verbannen. Erfolglos, wie die Beispiele von Jimmy Kimmel und Seth Meyers zeigen.
Weil Trumps Zaubertrank seine Wirkung verliert, brechen innerhalb der GOP vermehrt Richtungskämpfe aus. So liegen sich derzeit die Vertreter eines «christlichen Nationalismus» – eine harmlose Bezeichnung für einen modernen Faschismus – und die traditionellen Republikaner in den Haaren. Ausgelöst wurde dieser Zwist durch die Tatsache, dass offener Antisemitismus und Rassismus innerhalb der GOP salonfähig geworden ist.
Dieser Richtungskampf könnte für die Republikaner tödliche Folgen haben. So weist der konservative Kolumnist Marc Thiessen in der «Washington Post» darauf hin, dass nicht die Weissen Trump zum Wahlsieg verholfen haben, sondern die Stimmen der verschiedenen Minderheiten. «Mit anderen Worten, die 2024-Koalition von Trump war, was Rasse und Ethnie betrifft, signifikant gemischter als diejenige von 2020 und 2016», so Thiessen. «Trump hat seinen Wähleranteil in fast allen demografischen Kategorien erhöht. Deshalb ist es ihm – anders als 2016 und 2020 – auch gelungen, die Mehrheit der Stimmen zu erreichen.»
Die jüngsten Ereignisse werfen ihre Schatten auf die in einem Jahr stattfindenden Zwischenwahlen. Die Stimmung in den beiden Parteien könnte verschiedener nicht sein. Die Republikaner beginnen zu ahnen, dass der immer wirrer agierende Präsident zu einem Handicap werden könnte. Deshalb ist es gut möglich, dass der Zwergenaufstand in der GOP bald einmal in eine offene Revolte gegen Trump ausarten könnte.
Die Demokraten hingegen erwachen aus ihrer Depressions-Starre und reiben sich verwundert die Augen. Die vermeintliche Niederlage im Shutdown entwickelt sich zu einem Segen, die Explosion der Krankenkassenprämien und die «Erschwinglichkeits»-Krise sind bei Johnny Sixpack angekommen – und «Teflon»-Trump beginnt zu wanken.
