Der Supreme Court ist die höchste rechtliche Instanz in den USA. Neun Richter, gewählt auf Lebenszeit, entscheiden letztinstanzlich über die wichtigsten juristischen Streitpunkte. Sechs der amtierenden neun Richterinnen und Richter des obersten US-Gerichts sind der konservativen Seite zuzuordnen.
Normalerweise werden rechtliche Fragen zuerst in den Vorinstanzen vorgetragen, bis der Fall vor dem Supreme Court landet. Im Rechtssystem der USA gibt es aber auch Ausnahmen.
Diese werden «Emergency Dockets» genannt, auf Deutsch am besten übersetzt mit «Eilverfahren». Diese können in einem demokratischen Rechtsstaat durchaus Sinn machen, wenn eine rechtliche Frage schnell geklärt werden muss. Der normale Rechtsweg durch alle Vorinstanzen bis zum Supreme Court kann sonst Monate oder gar Jahre dauern.
Wird ein solches Eilverfahren beantragt, werden die Richter des Supreme Court quasi dazu aufgefordert, Entscheidungen aus den unteren Instanzen so rasch wie möglich auszusetzen.
Dabei werden die Abstimmungen unter den neun Richterinnen und Richtern nicht öffentlich gemacht und oftmals wird auch nicht explizit erwähnt, auf welcher rechtlichen Basis die Entscheidungen gefällt wurden.
Die Praxis von Emergency Dockets war in den USA lange die Ausnahme. Die Bush- und Obama-Regierung zum Beispiel beantragten zusammengenommen in 16 Jahren nur gerade 8 Eilverfahren.
Doch unter Donald Trump haben sie exponentiell zugenommen. In seiner ersten Amtszeit beantragte die Trump-Administration 41 dieser Emergency Dockets. Gut 7 Monate nach seinem zweiten Amtsantritt steht diese Zahl bereits bei 21 Anträgen in seiner zweiten Amtszeit.
Die Strategie des exzessiven Nutzens von Eilverfahrensanträgen geht für Trump momentan voll auf, er reiht einen juristischen Erfolg an den anderen. Während die ersten drei Emergency Dockets seiner Amtszeit vom Supreme Court noch abgewiesen wurden, hat das oberste Gericht die letzten 18 Anträge stattgegeben.
Zwar können einzelne Fälle immer noch juristisch angefochten werden, «dennoch hat der übermässige Gebrauch des Eilverfahrens besorgniserregende Folgen», schreibt die «New York Times» in einem Meinungsbeitrag und listet drei konkrete Probleme auf, die mit dem Anstieg der Emergency Dockets einhergehen:
Der erste Punkt begünstigt dabei den zweiten. Ein Rechtsspruch geht normalerweise mit einer ausführlichen Erklärung und Erläuterung der Richter einher. Das ist bei einem «emergency docket» allerdings oftmals nicht der Fall.
Ein Beispiel hierfür ist der Streit um die Entlassung von Tausenden von Mitarbeitern des Bildungsministeriums. Trump unterzeichnete im Juli eine Verordnung mit dem Titel «Schliessung des Bildungsministeriums und Rückgabe der Zuständigkeit an die Bundesstaaten».
Nachdem verschiedene Bundesstaaten, Schulbezirke und Gewerkschaften dagegen klagten, wurde die Verordnung durch ein Bezirksgericht blockiert.
In der Folge legte die Trump-Regierung gegen diese Entscheidung beim Supreme Court Berufung ein, mit der Begründung, dass untere Gerichte nicht dafür zuständig seien und die Kläger keine Klagebefugnis hätten.
Der Supreme Court gab Trump recht – und dies ohne Begründung. Dies sorgt für Unsicherheiten im US-amerikanischen Rechtssystem, da untere Gerichte in der Folge nicht wissen, wie sie das Urteil in ähnlich gelagerten Fällen anwenden sollen.
Solche Entscheide führen letztlich zum zweiten Problem, der Wahrnehmung der Parteilichkeit des Supreme Court.
Bereits vor Trump sank das Vertrauen der Unabhängigkeit des obersten Gerichts in der US-amerikanischen Bevölkerung, seit 2021 sinkt die Zustimmungsrate.
Und «da die von den Republikanern ernannte Mehrheit des Gerichts in Eilverfahren immer wieder zu Gunsten von Trump entscheidet, trägt die mangelnde Begründung zu der Wahrnehmung bei, dass die Richter den republikanischen Präsidenten bevorzugen», schreibt die «New York Times».
Das ganze Prozedere bringt – abgesehen von der Trump-Regierung – einen weiteren «Gewinner» hervor: den Supreme Court selbst.
Womit wir beim dritten Problem angelangt sind: Die Macht des obersten US-Gerichtes wird so ausgebaut. Mit solchen Emergency Dockets befindet das neunköpfige Gremium quasi im Handumdrehen über Fragen, die das ganze Land betreffen.
Das heisst allerdings auch, dass die Macht der unteren Gerichte reduziert wird, sozusagen «eine Machtübernahme, bei der die Richter die Rolle der unteren Gerichte reduzieren, wo die Richter gleichmässiger zwischen republikanischen und demokratischen Ernennungen aufgeteilt sind als die Richter des Obersten Gerichtshofs», schreibt die «New York Times».
Die Zeitung plädiert darum auch für einen strengeren Umgang mit solchen Eilverfahren, es müssten rechtlich strengere Massstäbe gesetzt werden, welche Fälle wirklich als Notfälle zu beachten sind – und welche nicht. Zudem sollten alle Entscheidungen einer Begründung unterliegen.
Ansonsten sähen sich die USA mit einer Erodierung der Gewaltenteilung konfrontiert und würden so die Zukunft der Demokratie gefährden.
Und genau das wäre die oberste Verantwortung des Supreme Court.
Die Verlorenen Staaten von Amerika… schade…