Die USA erheben einen Zoll von 15 Prozent auf Importe aus der EU. Das haben US-Präsident Donald Trump und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Sonntag bei einem Treffen in Schottland vereinbart. Ist diesem Deal zu trauen?
Stefan Legge: Ich wäre vorsichtig, dies als wirklichen Vertrag zu sehen. Ich würde die Vereinbarung eher als «Napkin-Deal» bezeichnen, als Servietten-Deal.
Weshalb?
Es trafen sich die beiden grössten Wirtschaftsblöcke der Welt, um ihre Handelsbeziehungen neu aufzustellen. Und dann dauert das gemäss den Teilnehmenden nur eine Stunde? Egal, wie gut vorbereitet man ist, für einen solchen Deal reicht eine Stunde niemals aus. Aber irgendetwas auf eine Serviette schreiben, das kann man natürlich schon. Und selbst wenn man mit den USA einen Vertrag hat – siehe Kampfjet F-35 – ist unklar, ob der am Ende gilt. Ich wäre beim Deal mit der EU vorsichtig. Die Situation kann morgen schon wieder ganz anders aussehen.
Trotzdem zeigte sich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sehr erfreut und sprach von einer «grossen Sache». Ist es das?
Wenn man die 30 Prozent nimmt, die Trump angekündigt hat, dann schon. Ich habe jedoch die Daten vor mir, die zeigen, wie hoch die Zölle waren, welche die EU in diesem Jahr für Exporte in die USA bezahlt hat. Von Januar bis März war das ein Prozent, im April waren es vier, im Mai 6,7 Prozent. Also viel weniger als die 15 Prozent, die jetzt gelten. Aber es gibt einzelne Branchen, die Auto-Branche etwa, da sind die 15 Prozent eine Verbesserung, da waren zuletzt fast 25 Prozent fällig.
Die EU ist wirtschaftlich weit weniger auf die USA angewiesen als umgekehrt. Hinzu kommt, dass Europa sicherheitspolitisch von den USA abhängig ist. Musste man diese 15 Prozent deshalb schlucken?
Für die EU ging es vor allem darum, die angekündigten 30 Prozent abzuwenden. Der europäischen Wirtschaft geht es seit Jahren schlechter als der US-amerikanischen. Militärisch sind die Europäer voraussichtlich noch länger von den USA abhängig, wenn es darum geht, Russland in Schach zu halten. Da kann man einen Handelsstreit mit Trump wirklich nicht gebrauchen. Wenn Trump eine solche Lage der Schwäche sieht, nutzt er sie gnadenlos aus. In einem Punkt hat die EU jedoch sehr clever verhandelt.
In welchem?
Zum Deal gehört ja, dass die EU in den USA für 750 Milliarden Dollar Energie einkauft und europäische Unternehmen zusätzlich für 600 Milliarden Dollar in den USA investieren. Gerade die Investition der 600 Milliarden wird wahrscheinlich nie geschehen. Mit diesem Versprechen hat sich die EU aber die 15 Prozent Zoll gekauft.
Weshalb werden diese Investitionen aus Ihrer Sicht nie getätigt?
Wer soll denn da investieren? Welche Branchen? In welchem Zeitraum? Die USA und die EU haben nichts spezifiziert. Und so sind wir wieder beim Servietten-Deal. Sagen wir mal, es geht um Rüstungsgüter: Die EU hat kein Militär, also kauft sie auch kein militärisches Material. Das ist Sache der Mitgliedsländer. Die EU hat aber keine rechtliche Befugnis, Frankreich oder Deutschland zu verpflichten, von den USA Rüstungsgüter zu kaufen. Jeder, der den Politikprozess in Europa kennt, weiss, dass das nicht so läuft. Diese Absichtserklärung wird zerredet und zerredet, und am Ende passiert nichts. Die EU hat Trump mit ein paar Zahlen beruhigt, zieht den Deal vier Jahre in die Länge und dann ist er weg.
Kommen wir zurück zu den vorerst geltenden 15 Prozent Zoll auf europäische Güter. Wer wird dies aufseiten der USA bezahlen? Die Konsumenten?
Das hängt von der Branche, von den einzelnen Unternehmen ab. Ich schätze, dass Exporteure aus der EU den Zoll zu 80 Prozent an ihre amerikanischen Kunden weitergeben, die diese Preiserhöhung wiederum auf die Endverbraucher abwälzen. Die chinesischen Zölle aus der ersten Trump-Präsidentschaft haben die chinesischen Exporteure fast zu 100 Prozent an ihre US-Kunden weitergereicht.
Die EU ist der wichtigste Handelspartner der USA. Wird die amerikanische Wirtschaft unter dem Zolldeal leiden?
Das glaube ich nicht. Die amerikanische Wirtschaft ist genügend stark, sie wird diesen Schock verkraften. Noch ist diese Zollwand, die Trump gebaut hat, sehr löchrig. Das sah man bei den 48 Prozent Zoll, die Trump China aufgebrummt hat. Nun kommen die Smartphones halt über den Umweg Vietnam oder Indien.
Welche Rolle spielt der EU-Deal für Schweizer Unternehmen?
Er hat Vor- und Nachteile.
Beginnen wir bei den Nachteilen.
Nehmen wir an, ein deutscher Maschinenbauer bezahlte bislang 10 Prozent Zoll. Neu sind es 15 Prozent. Also wird er in den USA vermutlich weniger Maschinen verkaufen. Wenn dieser Maschinenbauer Vorleistungen und Vorprodukte aus der Schweiz bezieht, haben die Schweizer Unternehmen weniger Aufträge. Der Zollsatz von 15 Prozent kann somit auch schlecht für Schweizer Unternehmen sein, welche in die EU exportieren.
Was sind die Vorteile?
Es gibt natürlich Unternehmen, die stehen in Konkurrenz mit Firmen aus der EU. Müssen Unternehmen aus der Schweiz weniger Zoll bezahlen als solche aus der EU, können sie tiefere Preise anbieten und haben damit einen Vorteil.
Also muss die Schweiz schauen, dass sie nicht mehr als 15 Prozent Zoll aufgebrummt bekommt.
Genau. Etwas möchte ich in diesem Kontext aber betonen: Die Zölle für den Pharmasektor – sie liegen aktuell bei 0 Prozent – sind viel wichtiger als der komische Brief, der vielleicht bald mal kommt. Aktuell läuft in den USA ein Verfahren, das prüft, ob pharmazeutische Importe die nationale Sicherheit tangieren. Trump hat für den Pharmasektor enorme Zölle angekündigt. Kommen diese, sieht es für die Schweiz sehr schlecht aus. Bei Pharmaprodukten sind wir extrem vom amerikanischen Markt abhängig.
Was ist mit der Maschinenindustrie?
Da haben die Unternehmen im Mai im Durchschnitt einen Zoll von 9,6 Prozent bezahlt. Wenn es neu 10 oder 15 Prozent sind, ist das horrend viel mehr als das eine Prozent Anfang Jahr, aber gleichzeitig auch nicht extrem viel mehr als die 9,6 Prozent im Mai. Die Schweizer Unternehmen werden schauen müssen, dass sie diesen Zoll an die amerikanischen Kunden weitergeben können. Was man nicht vergessen darf: Der Schweizer Franken wurde dieses Jahr bereits 14 Prozent teurer. Nun kommt der Zoll obendrauf, die Exportindustrie hat also ohnehin schon zu kämpfen. Wir testen gerade, wie viel Preissetzungsmacht die Schweizer Exporteure haben.
Wann wird Trump die Schweiz informieren?
Da wage ich keine Prognose. Der Bundesrat versucht, einen eigenen Deal abzuschliessen und nicht mit allen anderen Ländern ohne Abkommen in einen Topf geworfen zu werden. Ob sich Trump wirklich für die Schweiz interessiert, ist jedoch fraglich.