Im Wahlkampf 2016 brüllten die Trump-Anhänger bei den Rallys jeweils inbrünstig: «Lock her up!» Gemeint war damit, dass man Hillary Clinton wegen Geheimnisverrats anklagen und einsperren sollte, weil sie einen Teil ihrer E-Mails über einen privaten Server abgewickelt hatte. Donald Trump pflegte dann jeweils zu versprechen: «Als Präsident werde ich die Gesetze bezüglich der Einhaltung der Sicherheitsvorschriften von sensitiven Dokumenten rigoros durchsetzen. Niemand wird über dem Gesetz stehen.»
Diese Worte dürften ihm heute im Hals stecken bleiben. Hillary Clinton wurde zwar wegen Fahrlässigkeit gerügt, aber niemals angeklagt. Trump hingegen muss am kommenden Dienstag erneut vor einem Gericht in Miami antraben, und dabei die erniedrigende Prozedur über sich ergehen lassen – Polizeifoto, Fingerabdrücke, eventuell sogar Handschellen –, die bei einer Verkündigung einer Anklage in den USA üblich ist.
Was für den Ex-Präsidenten noch weit schlimmer ist: Die Anklage gegen ihn scheint sehr solide zu sein. Details sind noch nicht bekannt, doch sie soll sieben Punkte umfassen und dabei Vergehen gegen den Espionage Act (Geheimnisverrat) und Behinderung der Justiz betreffen. Beide Vergehen können hohe Gefängnisstrafen zur Folge haben.
Juristisch gesehen hat Sonderermittler Jack Smith – er leitet die Anklage – viele Trümpfe in der Hand. Der Fall scheint zumindest auf den ersten Blick glasklar zu sein. Trump hat Dokumente, die dem Nationalarchiv gehören, illegal in seinem Besitz behalten. Er hat sich trotz mehrmaliger Aufforderung geweigert, sie herauszurücken. Ja, seine Anwälte haben wahrheitswidrig erklärt, es gebe keine weiteren Dokumente in Trumps Besitz, und Angestellte der Residenz Mar-a-Lago haben versucht, sie zu verstecken.
Dass über 100 dieser Dokumente den Stempel «top secret» tragen, macht die Sache für Trumps Anwälte nicht unbedingt leichter, ebenso die Tatsache, dass der Ex-Präsident ihre Verteidigungslinien konsequent selbst niedermähte. Zuerst wollten die Anwälte argumentieren, die Dokumente seien beim chaotischen Auszug aus dem Weissen Haus zufällig nach Florida transportiert worden. Trump selbst erklärte jedoch, er habe sie absichtlich mitgenommen. Er habe das Recht dazu, denn er habe sie deklassifiziert. Nun ist jedoch ein Tonband aufgetaucht, in dem er selbst zugibt, dass er wusste, dass er gegen das Gesetz verstossen hat.
Die Faktenlage ist eindeutig und Trumps Äusserungen machen es Jack Smith leicht, zu beweisen, dass der Ex-Präsident in vollem Bewusstsein gegen das Gesetz verstossen hat. Das sehen selbst juristisch versierte Personen aus dem Kreis von Trump so: Sein ehemaliger Justizminister William Barr und der ehemalige Anwalt des Weissen Hauses, Ty Cobb, glauben gar, dass er deswegen ins Gefängnis muss.
Überraschend an der Anklage ist einzig, dass sie bei einem Gericht in Miami und nicht – wie allgemein erwartet – in Washington D.C. eingereicht wurde. Dafür gibt es jedoch vier einleuchtende Gründe:
Trump ist damit bereits zum zweiten Mal angeklagt, und die zweite Anklage ist weit gravierender als die erste. Dies aus zwei Gründen: Zum einen muss sich Trump einem nationalen («federal») und nicht einem einzelstaatlichen Gericht stellen. Zum anderen ist eine Anklage wegen Geheimnisverrats weit gravierender als eine wegen Schweigegeldzahlungen an einen Pornostar, wie dies in Manhattan der Fall ist.
Damit hat Trump noch keineswegs das Ende der rechtlichen Fahnenstange erreicht. Möglich, ja wahrscheinlich, ist eine Anklage wegen der Rolle, die der Ex-Präsident vor und während des Sturms auf das Kapitol gespielt hat. Diese Anklage würde, kommt sie denn zustande, ebenfalls von Jack Smith geführt. Mit grosser Wahrscheinlichkeit wird Fani Willis, eine Staatsanwältin in Georgia, Trump ebenfalls vor den Kadi zerren, und zwar wegen versuchter Wahlmanipulation.
Was also, sollte Trump in einem dieser Verfahren tatsächlich auch verurteilt werden? Es würde ihn nicht daran hindern, an den Wahlen im kommenden Jahr teilzunehmen. Gemäss der US-Verfassung gibt es bloss drei Voraussetzungen für das Amt des Präsidenten: Der Kandidat oder die Kandidatin muss mindestens 35 Jahre alt sein, er oder sie muss in den Vereinigten Staaten geboren sein und auch mindestens 14 Jahre dort gelebt haben.
All diese Kriterien erfüllt Trump selbst nach einer allfälligen Verurteilung. Was er jedoch in diesem Fall nicht kann, ist für sich selbst zu stimmen. Viele US-Bundesstaaten verwehren verurteilten Sträflingen das Wahlrecht. In Florida sorgt neckischer Weise ausgerechnet Gouverneur Ron DeSantis dafür, dass diese nicht zu den Wahlurnen zugelassen werden.