Im letzten Dezember war in Europa ein kollektives Aufatmen zu vernehmen. Der Grüne Alexander Van der Bellen setzte sich bei der Bundespräsidentenwahl in Österreich gegen den FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer durch. Knapp einen Monat nach der überraschenden Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten konnte der Vormarsch der Rechtspopulisten gestoppt werden.
Zehn Monate später sieht es so aus, als ob Van der Bellen ein «Präsident ohne Partei» sein wird. Die Grünen scheiterten bei der Nationalratswahl in Österreich an der Vier-Prozent-Hürde – die Auszählung der Briefwahlstimmen vorbehalten. Dafür dürfte unser östlicher Nachbar eine Rechts-rechts-Regierung bekommen, unter Führung des 31-jährigen Sebastian Kurz.
Der Chef der konservativen ÖVP wird vermutlich mit der rechtspopulistischen FPÖ eine Koalition bilden. Die beiden Parteien verbindet eine harte Linie gegen Flüchtlinge und den Islam. Und eine kritische Haltung gegenüber der Europäischen Union (EU), auch wenn Kurz von einem Austritt – einem «Öxit» – nichts wissen will. Das sind schlechte Nachrichten für Brüssel – und für Berlin.
Seit Sebastian Kurz als Aussenminister die Schliessung der Balkan-Route für Flüchtlinge durchsetzte, gilt sein Verhältnis zu Bundeskanzlerin Angela Merkel als belastet. Mit dem Rechtsrutsch dürfte Österreich für Deutschland zu einem schwierigeren Partner werden. Und das ist nicht Merkels einziges Problem. Die Kanzlerin wirkt zunehmend angeschlagen.
Die Niederlage ihrer CDU bei der Landtagswahl in Niedersachsen am Sonntag ist ein weiterer Dämpfer für Merkel nach dem schwachen Abschneiden bei der Bundestagswahl. Auch wenn das Ergebnis primär regionalpolitisch begründet sein mag, schwächt es die Stellung der Kanzlerin vor dem Beginn der schwierigen Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition mit FDP und Grünen.
Die Kritik aus den eigenen Reihen ist nicht zu überhören. «Der Schlüssel für die Niederlage in Hannover liegt leider im Berliner Wahlabend am 24. September, als man die verheerenden Verluste von über acht Prozent zu einem strategischen Sieg schöngeredet hat», sagte Wolfgang Steiger, Generalsekretär des CDU-Wirtschaftsrats, gegenüber der Zeitung «Bild».
Steiger gibt der Kanzlerin eine Mitschuld am schlechten Abschneiden in Niedersachsen. Im Hinblick auf die Jamaika-Verhandlungen stellte er in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» klare Forderungen an die Adresse seiner Partei auf: «In der Wirtschaftspolitik muss der Industriestandort gegen grüne Ideologie in der Klima- und Energiepolitik verteidigt werden.»
Die Grünen erwarten entsprechend langwierige und mühsame Gespräche, wie ihr Unterhändler, der frühere Umweltminister Jürgen Trittin, gegenüber «Bild» erklärte: «Die CDU und CSU werden das Ergebnis in Niedersachsen als herbe Niederlage empfinden und einige in der Union werden versuchen, die Partei weiter nach rechts zu rücken. Andere werden dagegenhalten.»
In CDU und CSU blicken tatsächlich nicht wenige mit einem gewissen Neid auf die österreichische «Schwesterpartei» und ihren Jungstar Sebastian Kurz. «Warum haben wir nicht so einen?», titelte «Bild», was prompt bissige Kommentare auf Twitter zur Folge hatte. Neben dem Strahlemann aus Wien sieht die «ewige» Merkel allerdings ziemlich alt aus.
Ja, genau! Warum nicht mal ein Österreicher? pic.twitter.com/tLP2CGbskT
— Javier Cáceres (@elcaceres) 16. Oktober 2017
Konservative Unionsmitglieder fordern nach der Niedersachsen-Pleite ihren Rücktritt als Parteichefin. Eine Jamaika-Koalition lehnt die Gruppierung ab, sie fordert Neuwahlen mit einem Kanzlerkandidaten, der nicht Merkel heisst. Hinter den Kulissen stichelt selbst der abtretende Finanzminister und künftige Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble laut «Bild» gegen Merkel.
Für Angela Merkel wird die Luft immer dünner. Abschreiben darf man die studierte Physikerin und ihren Machtinstinkt nie. Aber ihre Position ist geschwächt, sie wirkt zunehmend wie eine Regierungschefin auf Abruf, ähnlich wie Theresa May in Grossbritannien. Als «Retterin der freien Welt», zu der Merkel nach der Trump-Wahl erkoren worden war, taugt sie derzeit kaum.
Das sind auch schlechte Aussichten für Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und seine Vision einer starken EU. Dafür braucht er eine starke Partnerin in Berlin. Eine solche scheint auf absehbare Zeit nicht vorhanden zu sein. Und bereits droht neues Ungemach: Die Wahlen in Tschechien Ende Woche könnte die populistische ANO-Partei des Milliardärs Andrej Babis gewinnen. Auch er geht mit EU-kritischen Parolen auf Stimmenfang.