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Antisemitismus an dre Berlinale: Jetzt ermittelt sogar der Staatsschutz

epa11893812 Tilda Swinton speaks after receiving her Honorary Golden Bear award onstage during the opening ceremony of the 75th Berlin International Film Festival, in Berlin, Germany, 13 February 2025 ...
Tilda Swinton predigt bei ihrer Dankesrede.Bild: keystone
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Staatsschutz ermittelt: Die Berlinale wird von Antisemitismus-Skandalen gebeutelt

Zum Boykott oder zur Vernichtung Israels aufzurufen, wird an der Berlinale allmählich zum Ritual. Ärgerlich, dass das Festival von hohler Politik-Propaganda überschattet wird, denn unter der neuen Direktorin Tricia Tuttle ist das Filmprogramm merklich relevanter geworden.
19.02.2025, 20:0120.02.2025, 07:57
Tobias Sedlmaier, Berlin / ch media
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Die Internationalen Filmfestspiele Berlin und die Politik – ein kniffliges Verhältnis. Besonders beim Thema Nahost. 2024 war die Berlinale mit einem Skandal zu Ende gegangen, als Dankesredner extrem einseitig gegen Israel Partei ergriffen.

Tricia Tuttle, die neue Direktorin des Festivals, kündigte Besserung an. Bei der diesjährigen Eröffnungszeremonie setzte sie ein erstes Zeichen: Zusammen mit anderen Prominenten erinnerte sie an die im letzten Jahr komplett ignorierte Hamas-Geisel, den früheren Berlinale-Teilnehmer David Cunio.

Nun ermittelt der Staatsschutz

Das ungeliebte Label «politisches Filmfestival» wollte Tuttle ohnehin ablegen. Nicht der Aktivismus vor dem Saal, sondern das Kino sollte sich mit den drängenden Gegenwartsfragen befassen. Ist das gelungen?

An der Eröffnungsgala dominierte noch Gratismut: Klimaaktivistin Luisa Neubauer gab auf dem roten Teppich den Stand der deutschen Polit-Debatte adäquat wieder, als sie sich mit einem weissen Designkleid in Szene setzte. Darauf Schriftzüge, in denen sie Friedrich Merz in eine Reihe mit Donald Trump und Alice Weidel stellte; allesamt seien sie eine Gefahr für die Demokratie.

Bereits zu Beginn der 75. Ausgabe folgte der erste Antisemitismus-Eklat, Auftritt Tilda Swinton. Bei der Verleihung des Goldenen Ehrenbären beklagte die Schauspielerin zunächst in ihrer raunenden Rede einen «vom Staat verübten und international ermöglichten Massenmord».

Tags darauf Klartext: Swinton outete sich als Fan von BDS («Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen»), jener von Kritikern als antisemitisch eingestuften Bewegung, die Israel auf allen Ebenen isolieren will. Auch die Berlinale ist in den Augen von BDS ein Event non grata. Für Berlin-Dauergast Swinton ist Boykott «oft das Stärkste, was wir tun können». Nur ironischerweise als Hinderungsgrund nicht stark genug, wenn man Preise einheimsen will. Nützlicher sei es, hier zu sein, befand die Schottin.

Gegen Israel ist man schnell auf den Barrikaden

Ein paar Tage später der nächste Skandal: Der chinesische Regisseur Jun Li («Queerpanorama») verlas einen harschen Anklagebrief gegen Israel vom iranischen Schauspieler Erfan Shekarriz, der persönlich dem Festival ferngeblieben war. Er schloss mit der in Deutschland verbotenen Kampfparole «From the river to the sea, Palestine will be free», die man als Aufruf zur Auslöschung Israels deuten kann. Im Saal Jubel und Protest, inzwischen ermittelt der deutsche Staatsschutz.

Tricia Tuttle bedauerte die Vorfälle. Konkret verhindern konnte sie sie in der Praxis nicht, selbst wenn die Berlinale die Antisemitismus-Resolution des Bundestags akzeptiert hätte. Die Veranstalter können kaum für sämtliche Äusserungen von geladenen Gästen verantwortlich gemacht werden, egal wie kritikwürdig sie sein mögen. Und die Meinungsfreiheit ist ein niemals gering zu schätzendes Gut. Gerade an einem Ort, der zumindest in der Theorie dem kulturellen Dialog gewidmet sein sollte.

Doch spiegelt sich in solchen Äusserungen ein paradoxer linker Zeitgeist, der für sich beansprucht, progressiv zu sein. Zugleich ergreift er unkritisch Partei für einen islamistischen Terrorstaat, in dem nicht linientreue Menschen gefoltert und ermordet werden. Gegen Israel ist man in der Hauptstadt schnell auf den Barrikaden, die Verantwortung der Palästinenser wird totgeschwiegen.

Im Filmprogramm immerhin wurde das israelische Leid nicht ignoriert: Mit «Holding Liat» und «A Letter to David» liefen zwei Dokumentationen über das Hamas-Massaker vom 7. Oktober, beide um Frieden und Dialog bemüht, nicht auf Rache aus. Und in «All I Had Was Nothingness» kam noch einmal der grosse Seismograf der Shoa, der 2018 gestorbene Claude Lanzmann, zu Wort. Nachdenklich, tastend, schliesslich scharfsinnig: Fähigkeiten, die beim gegenwärtigen Statement-Pingpong rar gesät sind.

Die Filme sind wieder publikumsnäher geworden

Konnte also der Anspruch erfüllt werden, das Kino wieder zu politisieren statt fruchtlose Frontkämpfe mit Symbolpolitik auszutragen? Tatsächlich, und das ist die gute Nachricht einer von überflüssigen Skandalen überlagerten Ausgabe: ein deutliches Ja! Die neue Leiterin aus den USA hat ihre Ankündigung nach mehr Publikumsnähe eingelöst – und das nicht nur wegen Stars wie Timothée Chalamet, Marion Cotillard, Benedict Cumberbatch oder Jessica Chastain.

Das unter Carlo Chatrian oft zu wolkig-wabernde Abstraktionskino war weitaus weniger präsent in der von Wahlkampfplakaten zugekleisterten, klirrend kalten Stadt. Es war mehr zu spüren von Dringlichkeit, Fokus, Nähe, Relevanz. Überforderung im Alltag war einer der roten Fäden, die sich durch das Programm zogen. Am kreativsten visualisiert in der wilden Tragikomödie «If I Had Legs I'd Kick You», wo nicht nur eine Mutter an ihrem kranken Kind verzweifelt; ihre Umgebung streckt ebenfalls sämtliche Waffen der Vernunft.

Diesmal fand sich nichts im Wettbewerb, bei dem man sich ernsthaft hätte wundern müssen, was es da verloren hat. Auch Unterhaltungsfilme wie Richard Linklaters grossartiges Dialogfeuerwerk «Blue Moon» glänzten mit Tiefe und Vielschichtigkeit. Darin betrauert der brillante, verlebte Musical-Texter Lorenz Hart (Ethan Hawke) 1943 in einer Bar den Verlust einer alten Freundschaft, aber auch die Trivialisierung der Kultur. Truman Capote und Oscar Wilde würden ihre Gläser erheben. Unter Tricia Tuttle hat sich der Wettbewerb der Berlinale merklich vitalisiert. Zum Glück: Aufbruchstimmung schlägt Antisemitismus.

(bzbasel.ch)

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48 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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uicked
19.02.2025 21:01registriert Oktober 2017
Naja, die Leben in ihrer Bubble, wo man gefallen muss und nicht wissen muss. Daher sollte man solche Anlässe einfach nicht durchziehen. Filme schauen kann man auch ohne Nebengeräuschen von Promis.
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arivle
19.02.2025 21:04registriert September 2021
Schade für Tilda Swinton. Hielt sie für eine intelligente Frau. Doch verwechselte ich wohl ihren Eigensinn und Mut mit ausgeprägtem Narzissmus und einem Aufmerksamkeitsmangel.
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Rr CC
19.02.2025 20:56registriert Juni 2023
Les extrêmes se touchent - mich überrascht es nicht, dass Links- und Rechtsextreme bei der Judenfrage auf Augenhöhe sind.
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