Gross war das Geschrei in der Schweiz, als Veranstaltungen mit über 1000 Besuchern verboten wurden. Von Hysterie war die Rede, von Überreaktion. Doch die Stimmung ist gekippt, das Geschrei verstummt. Kaum einer, der sich angesichts der raschen Ausbreitung von Covid-19 noch gegen drastische Massnahmen sträubt. Ein Blick über die südliche Grenze reicht, um abzuschätzen, was noch auf uns zukommt.
Doch wie sehen die Massnahmen aus von Ländern, die einen grossflächigen Ausbruch bisher verhindert haben? Was können wir von Singapur, Taiwan und Japan lernen?
Singapur
166 Infizierte, 0 Todesfälle
Bild: EPA
Singapur hat die Lehren aus der Sars-Pandemie 2002/2003 und der Schweinegrippe 2009/2010 gezogen und ein nationales Epidemie-Zentrum und Quarantäne-Gebäude eingerichtet. Bei Ausbruch von Covid-19 sprach der Inselstaat bereits früh ein Einreiseverbot für Menschen aus Risikogebieten aus, Passagieren am Flughafen wurde die Temperatur gemessen und 700 potentielle Träger, welche aus der betroffenen Region einreisten, wurden gleich unter Quarantäne gesetzt. Doch die Massnahmen gehen entschieden weiter.
Jeder Covid-19-Kranke wird ausführlich über Verhalten, Begegnungen und Bewegungsradius «interviewt». Die Grenzen von Interview zu Verhör verlaufen dabei fliessend. Wer falsche Angaben macht, kann mit 6400 Franken und sechs Monaten Gefängnis gebüsst werden. Singapur hat dafür eigens den Infectious Diseases Act geschaffen.
Investigativ-Teams prüfen die Korrektheit der Angaben anhand der digitalen Spuren des Patienten. Dabei wird auf Daten von Überwachungskameras zurückgegriffen. Aber auch auf Bankauszüge von Geldautomaten.
Ein Team von Ermittlern versucht mit den Daten weitere mögliche angesteckte Personen und Ansteckungsherde zu identifizieren.
Menschen in Quarantäne müssen zwei Wochen in einer vom Staat zur Verfügung gestellten Wohnung verbringen, die sie nicht verlassen dürfen. Dreimal pro Tag erhalten sie Essen.
Sämtliche Covid-19-Fälle von Singapur sind auf einer öffentlichen Homepage einsehbar. Der Umgang mit dem Patientenschutz ist sehr locker, Alter und Adresse werden wenn immer möglich aufgelistet. So heisst es zum Beispiel, dass Fall Nr. 24 eine Einheimische im Alter von 32 Jahren ist, die in den Buangkok Green Places woht.
Taiwan
48 Infizierte, 1 Todesfall
Bild: EPA
Taiwan begann bereits am 31. Dezember mit den Kontrollen von Flugpassagieren aus der betroffenen Region Wuhan. Zu diesem Zeitpunkt waren dort erst 27 Verdachtsfälle gemeldet worden. Wenige Tage später, am 5. Januar, begann die Überwachung sämtlicher Personen, welche sich in den letzten 14 Tage zuvor dort aufgehalten hatten. Im Januar wurde ein nationaler Epidemie-Stab (Central Epidemic Command Center – CECC) eingerichtet, der seither beinahe täglich informiert und Falschinformationen aus Social-Media-Kanälen berichtigt. Das CECC ordnete an, die Produktion von Gesichtsmasken hochzufahren. Das dazu benötigte Personal wurde vom Militär gestellt.
Doch auch hier gehen die Massnahmen weiter:
Risikogruppen wurden per SMS von der Regierung gewarnt. Die Daten dafür stammen aus den Krankenkassenregistern.
Der Bewegungsradius der Menschen in Quarantäne wird überwacht, indem die Regierung auf Handydaten zugreift.
Ein Mann wurde mit 10'000 Franken gebüsst, weil er seine Symptome verheimlichte und trotzdem eine geschlossene Veranstaltung besuchte.
Käufer von Schutzmasken müssen sich ausweisen. So werden Hamsterkäufe unterbunden.
Die Produktion von Handdesinfektionsmitteln wurde ebenfalls erhöht. Rund um Schulen wurden grossflächige Gebiete desinfiziert.
Japan
587 Infizierte, 12 Todesfälle
Bild: EPA
Japan und seine Regierung beweise im Umgang mit dem Corona-Virus seine komplette Unfähigkeit, schreibt der Politikwissenschaftler Koichi Nakano in einem Artikel in der «New York Times» vom 26. Februar. Und das ausgerechnet im Olympiajahr. Vor allem die öffentliche Aufklärung sei eine Katastrophe. Auch Südkorea kritisiert Japan für seine angebliche Passivität.
Die offiziellen Zahlen sprechen eine andere Sprache.
Here's the coronavirus data, overlayed with the dates offset by the amounts shown. One of these countries is not like the rest. Everyone else will be Italy in 9-14 days time. pic.twitter.com/VESY54X1gP
Nicht mitgezählt werden in dieser Statistik die 705 Infizierten, welche sich auf dem Kreuzfahrtschiff «Diamond Princess» ansteckten. Die Diamond Princess lag zwei Wochen unter Quarantäne im Hafen von Yokohama.
Man kann Japan schlechte Kommunikation vorwerfen und auch der Umgang mit der Diamond Princess sorgte international für Stirnerunzeln. Passivität kann man Japan aber nicht vorwerfen.
Seit März sind sämtliche Schulen des Landes geschlossen. Viele Eltern müssen deshalb Ferien beziehen oder sich um Kinderbetreuung kümmern.
Wer 14 Tage zuvor in Hubei oder Zhejiang war, darf nicht mehr einreisen.
Ähnlich wie in der Schweiz wurden Veranstaltungen mit Menschenmassen abgesagt. Die Eröffnung der Baseball-Saison wurde verschoben, genau wie auch der Start der Fussballmeisterschaft in der J-League.
Die getroffenen Massnahmen alleine können die tiefen Fallzahlen aber nicht erklären. Einerseits munkelt man, dass Japan es mit den Zahlen nicht so genau nimmt, andererseits gibt es weitere Gründe, weshalb Japans Anstieg an kranken Personen weniger steil verläuft.
Eine Untersuchung ergab, dass 80% der infizierten Japaner das Virus nicht weitergaben. Weltweit geht man aber davon aus, dass in der Frühphase jeder Patient im Durchschnitt 2,2 gesunde Menschen ansteckt (Basisreproduktionszahl R0 = 2,2). Weshalb Japan ein Sonderfall ist, ist noch unklar. Spekuliert wird, dass kulturelle Unterschiede, zum Beispiel der Verzicht aufs Händeschütteln, eine Rolle spielen.
Vietnam
38 Infizierte, 0 Todesfälle
Abgeriegeltes Stadtviertel in Hanoi.Bild: EPA
Ganz anders als Japan betrieb Vietnam eine sehr offene Kommunikationspolitik. Ein Song der Gesundheitsbehörde, der zum Händewaschen aufruft, ging sogar viral.
Doch ausser lustigen Videos griff Vietnam auch schnell und rigoros durch.
Seit Februar sind alle Schulen geschlossen. Die Massnahme gilt bis Ende März.
Flüge von Südkorea (In Südkorea leben viele Vietnamesen) in die grossen Städte wurden eingestellt.
Nach einem positiven Test einer Flugreisenden aus Hanoi wurde ein gesamtes Stadtviertel abgeriegelt. Militärs patrouillierten, um die Einhaltung der Sperrzone zu garantieren.
Flüge und Zugsverbindungen nach China wurden eingestellt. Die Grenze zu China ist mehrheitlich geschlossen.
Alleine in Hồ-Chí-Minh-Stadt wurden vier Quarantäne-Spitäler mit 1600 Betten bereitgestellt.
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Die beliebtesten Kommentare
drjayvargas
11.03.2020 20:18registriert Januar 2016
Hauptsache wir machen alles was wir können für die Wirtschaft.
Ich verstehe diesen Kurswechsel nicht. Direkt neben der Schweiz sind die Folgen zu sehen, wenn das Virus ausser Kontrolle gerät. Jeden Tag mehr Infiziert und Tote. In Asien wird versucht, allen Fällen nachzugehen. Quarantäne zu verhängen und jeder trägt Maske. Nicht um sich selbst sondern die Anderen(!) zu schützen.
Und bei uns in der Schweiz geben wir einfach auf. Die Züge von und nach Italien verkehren ungehindert. Nur noch schwere Fälle werden überhaupt erst getestet. Keine Gesundheitschecks an Flughäfen und den Grenzen. Ich hoffe es wird gut gehen, aber daran glaube ich persönlich nicht.
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