In Westaustralien suchen die Behörden noch immer fieberhaft nach einer radioaktiven Kapsel, die beim Transport aus einem Bergbaugelände verloren gegangen ist. Die nur sechs mal acht Millimeter grosse Kapsel soll sich irgendwo auf einer 1400 Kilometer langen Strecke zwischen einer Mine nördlich der Bergbaustadt Newman und Malaga, einem Vorort der Metropole Perth, befinden. Als wäre die Angelegenheit nicht schon schwierig genug: Es gibt keinerlei Anhaltspunkte darauf, wo und wie genau die Kapsel verloren gegangen ist.
Und die Kapsel ist klein. Richtig, richtig klein. Der Gesundheitsbeauftragte der Region, Andrew Robertson, veröffentlichte auf Twitter ein Foto, auf dem zu sehen ist, dass eine solche radioaktive Kapsel deutlich kleiner als eine Zehn-Cent-Münze (entspricht etwa einer 10-Rappen-Münze) ist.
An image of the capsule is below - pic.twitter.com/pbbtfZWEN9
— Chief Health Officer, Western Australia (@CHO_WAHealth) January 27, 2023
Von der harmlosen Grösse der Kapsel sollte man sich nicht täuschen lassen: Andrew Robertson sprach eine dringende Gesundheitswarnung aus. Wer etwas entdecke, das wie eine winzige Kapsel aussehe, solle mindestens fünf Meter Abstand halten. (Wie man auf diese Distanz die Kapsel entdecken soll, sagte er nicht.)
Die Kapsel sende «eine ordentliche Menge Strahlung» aus, betonte Robertson. Im Umkreis von einem Meter sei diese in etwa so hoch wie zehn Röntgenbestrahlungen innerhalb einer Stunde – oder die Menge an natürlicher Strahlung, der ein Mensch über ein ganzes Jahr ausgesetzt sei. «Sie emittiert sowohl Beta- als auch Gammastrahlen. Wenn Sie ihr nahe kommen, können Sie Hautschäden einschliesslich Hautverbrennungen erleiden», sagte Robertson.
Noch schlimmer aber wäre es, wenn die Kapsel aufgebrochen werden würde. Ein solches Szenario ereignete sich in Brasilien im Jahr 1987. Dabei stahlen zwei Schrotthändler den Strahlungskopf eines Bestrahlungsgerätes aus einem leeren Krankenhaus in der Stadt Goiânia. Der eine von ihnen öffnete den Behälter mit dem Caesiumchlorid-Pulver (Caesium-137). Vom blau leuchtenden Pulver fasziniert, verschenkte er es in seinem Umfeld, wodurch es sich rasch verbreitete. Schlussendlich waren der Strahlung 6500 Menschen ausgesetzt, 249 wurden so schwer kontaminiert, dass sie sich für eine Weile in Quarantäne begeben mussten. Laut eines Berichts von dw litten auch 2017 noch 500 Menschen an den Spätfolgen.
Radioaktive Kapseln werden oft im Bergbau verwendet. In der Region von Newman, wo der Transport begann, wird vor allem Eisenerz abgebaut. Dort sei die Kapsel Teil eines Strahlungsmessgeräts gewesen, das üblicherweise zur Messung der Radioaktivität in Öl- und Gasverarbeitungsanlagen verwendet wird, berichtet der Sender ABC.
Benötigt wird dafür das in der Kapsel enthaltene Caesium-137, ein radioaktives Isotop. Auch wenn dieses gefährlich ist, kann es auch abseits des Bergbaus nützlich sein. So wird es beispielsweise bei einigen Krebsbehandlungen eingesetzt oder kann zur Messung der Dicke von Metall genutzt werden.
Der Lastwagen, der die Kapsel transportierte, hatte die Gudai-Darri Mine nahe Newman am 12. Januar verlassen und erreichte seine Zieldestination Perth am 16. Januar. Das Fehlen der Kapsel wurde aber erst neun Tage später nach dem Öffnen des Sicherheitsgehäuses entdeckt.
Den Angaben zufolge soll sich durch Vibrationen bei der Fahrt wahrscheinlich ein Bolzen gelöst haben, und die Kapsel fiel im Anschluss durch das Bolzenloch. Warum die Kapsel nicht besser gesichert war, war zunächst unklar.
Eigentlich ist der Transport von radioaktiven Quellen eine alltägliche Tätigkeit. Die Australian Nuclear Science & Technology Organisation (ANSTO) befördert jeden Monat etwa 2000 Pakete mit nuklearmedizinischen Produkten durchs Land. Hinzu kommen noch weitere Transporte durch private Unternehmen.
Die Vorschriften für solche Transporte sind äusserst streng. Überwacht werden diese auf nationaler Ebene von der Australian Radiation Protection and Nuclear Safety Agency (ARPANSA). Zusätzlich hat jeder Bundesstaat und jedes Territorium noch seine eigene Aufsichtsbehörde.
Laut der «CNS Global Incidents and Trafficking Database» gehen weltweit jedes Jahr etwa 150 radioaktive Quellen verloren – was im Verhältnis zur Vielzahl der Transporte eine relativ kleine Zahl ist.
An der Suche beteiligen sich die Feuerwehr, die Polizei von Western Australia, das Gesundheitsministerium und Fachleute. Fahrzeughalter, die auf dem Great Northern Highway unterwegs waren, wurden nach Angaben von ABC aufgefordert, ihre Reifen zu prüfen. Denn: Es sei gut möglich, dass sich die Kapsel dort festgesetzt habe und dadurch schon in andere Landesteile gelangt sei.
Die Suche ging derweil nur schleppend voran. Rettungsdienste beklagten zunächst die fehlende Ausrüstung, welche für die Suche nötig wäre. Staaten des Commonwealth sowie andere Länder wurden deshalb gebeten, geeignete Ausrüstung für die Suche bereitzustellen. Am Sonntag teilte das westaustralische Ministerium für Feuerwehr und Notfalldienste (Dfes) mit, dass es neue Strahlungsdetektionsgeräte auftreiben werde. Diese können in die Fahrzeuge eingebaut werden, um die Kapsel auf der 1400 Kilometer langen Strecke über die Strahlung zu orten.
Der britisch-australische Bergbauriese Rio Tinto hat sich für den Vorfall entschuldigt. «Wir nehmen diesen Vorfall sehr ernst», zitierte der australische Sender ABC am Montag Simon Trott, den Leiter der Eisenerzabteilung von Rio Tinto. Der Konzern betreibt die Gudai-Darri-Mine, von wo aus die Kapsel transportiert wurde. «Wir erkennen an, dass dies eindeutig sehr besorgniserregend ist, und entschuldigen uns für den Alarm, den es bei den Menschen in Westaustralien ausgelöst hat.»
Rio Tinto habe einen Drittanbieter mit entsprechendem Fachwissen und Zertifizierung beauftragt, die gefährliche Kapsel sicher zu verpacken, um sie für den Transport vorzubereiten. Das Unternehmen habe auch eine eigene Untersuchung eingeleitet, um herauszufinden, wie sie verschwinden konnte.
Es sei gut möglich, dass die Kapsel nie mehr auftauche, räumte David Gill, Vorsitzender des Dfes, am Samstag ein. Und dann? Caesium besitzt eine Halbwertszeit von etwa 30 Jahren. Das heisst, die Strahlung wird sich alle 30 Jahre halbieren, bis sie schlussendlich fast ganz verschwindet. Das wiederum bedeutet, dass die Kapsel noch während des nächsten Jahrhunderts ein Risiko darstellt, sollte sie nicht gefunden werden.
(saw mit Material der Nachrichtenagenturen sda und dpa)
Ich verstehe trotzdem nicht wirklich, wie der strahlende Winzling aus einer Sicherheitstransportbox derartig "verloren gehen" konnte. Ein Bolzen löst sich & durch dieses Bolzenloch ist es rausgepurzelt? Und dann auch aus dem LKW?
Irgendwie merkwürdig....