Für die einen ist er ein Held, ein Kämpfer für die Wahrheit. Für andere ist er ein Verräter, Spion und Krimineller. Julian Assange ist seit bald fünf Jahren in Grossbritannien in Haft und könnte in wenigen Tagen in die USA ausgeliefert werden.
Was das bedeutet:
Bei einer Anhörung vor Gericht in London ab heute Dienstag will sich Julian Assange gegen seine Auslieferung in die USA wehren. Sollte seinem Antrag auf Berufung am High Court nicht stattgegeben werden, wäre der Rechtsweg in Grossbritannien ausgeschöpft.
Unterstützer sehen in Assange einen Journalisten, der Kriegsverbrechen ans Licht brachte und an dem nun ein Exempel statuiert werden solle. Sie riefen für beide Tage der Anhörung zu Kundgebungen vor dem Gerichtsgebäude Royal Courts of Justice auf. Für Mittwoch war auch ein Marsch zum Regierungssitz 10 Downing Street geplant.
Neben einem Erfolg im juristischen Tauziehen erhofft sich Assange eine politische Lösung. Die australische Regierung setzt sich inzwischen für eine Freilassung ihres Staatsbürgers ein. Erst in der vergangenen Woche verabschiedete das australische Parlament einen Beschluss, in dem die USA und Grossbritannien aufgerufen wurden, die Strafverfolgung Assanges zu beenden. Regierungschef Anthony Albanese betonte, die Angelegenheit ziehe sich schon zu lange hin. US-Aussenminister Antony Blinken hat den Forderungen nach einem Ende der Strafverfolgung bislang jedoch immer wieder Absagen erteilt.
Für Assange bliebe im Fall einer Ablehnung seines Berufungsantrags in London als letzte Chance nur noch der Gang vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Dort werde sein Team umgehend einen Antrag auf einstweilige Verfügung stellen, um eine sofortige Auslieferung zu verhindern, kündigte Stella Assange, die Frau des Beschuldigten, an. Assanges Team befürchtet jedoch, dass die britische Regierung eine Anordnung des EGMR ignorieren könnte.
Assanges Frau Stella befürchtet, dass der 52-Jährige schon binnen weniger Tage in ein Flugzeug in Richtung USA gesetzt werden könnte, wie sie in der vergangenen Woche vor Journalisten in London sagte. Bei einer Verurteilung in den Vereinigten Staaten drohen Assange bis zu 175 Jahre Haft.
Washington wirft ihm vor, gemeinsam mit der Whistleblowerin Chelsea Manning geheimes Material von US-Militäreinsätzen im Irak und in Afghanistan gestohlen, veröffentlicht und damit das Leben von US-Informanten in Gefahr gebracht zu haben. Assanges Anwälte argumentieren, dass niemand dadurch zu Schaden gekommen sei.
Über seine Enthüllungsplattform Wikileaks veröffentlichte Assange tausende geheime US-Dokumente, die unter anderem potenzielle amerikanische Kriegsverbrechen dokumentierten. So veröffentlichte er im April 2010 ein von Manning zugespieltes Video, das zeigt, wie US-Soldaten auf mehrere Personen – darunter zwei Reuters-Journalisten – im Irak schiessen und sich darüber lustig machen.
Das US-Militär hatte den Vorfall bereits vor der Veröffentlichung des Videos durch Wikileaks untersucht. Die Handlungen der beteiligten Soldaten seien untersucht worden. Sie hätten gemäss den damals geltenden Einsatzregeln gehandelt.
Stella Assange fürchtet wegen der erwarteten harschen Haftbedingungen in den USA und der labilen Psyche ihres Mannes um sein Leben.
Die britische Polizei nahm den Wikileaks-Gründer aufgrund eines Haftbefehls der britischen Justiz aus dem Jahr 2012 fest. Der Haftbefehl bezieht sich auf einen Verstoss gegen seine Bewährungsauflagen, den Assange mit seiner Flucht in die ecuadorianische Botschaft beging. Dazu unten mehr.
Mit seiner Flucht in die Botschaft am 19. Juni 2012 entzog sich Assange einer Verhaftung in London und einer möglichen Auslieferung nach Schweden. Das skandinavische Land hatte gegen ihn einen Haftbefehl wegen Vergewaltigungsvorwürfen ausgestellt. Die Vorwürfe bezogen sich auf Geschlechtsverkehr zwischen Assange und zwei Frauen im August 2010.
Die schwedischen Strafverfolgungsbehörden wollten Assange verhören, um die Frage zu klären, ob dieser Geschlechtsverkehr einvernehmlich gewesen sei. Im Raum stand auch der Vorwurf, Assange habe gegen den Willen der Frauen kein Kondom verwendet. Weil die Ermittlungsmöglichkeiten ausgeschöpft waren, legte die Stockholmer Staatsanwaltschaft den Fall 2017 zu den Akten.
Kurz vor Assanges Verhaftung veröffentlichte Ecuadors damaliger Staatspräsident Lenín Moreno ein Video, in dem er über «die souveräne Entscheidung Ecuadors, Julian Assange das politische Asyl zu entziehen», informierte.
In a sovereign decision Ecuador withdrew the asylum status to Julian Assange after his repeated violations to international conventions and daily-life protocols. #EcuadorSoberano pic.twitter.com/pZsDsYNI0B
— Lenín Moreno (@Lenin) April 11, 2019
Als Gründe nannte Moreno wiederholte Verstösse Assanges gegen internationales Recht und die mit ihm getroffenen Vereinbarungen über sein Verhalten als Gast der ecuadorianischen Botschaft in London.
Trotz wiederholten Warnungen habe sich Assange in Koordination mit Wikileaks immer wieder in die inneren Angelegenheiten von Drittstaaten eingemischt. Assange habe zudem ein unhöfliches und aggressives Verhalten an den Tag gelegt und grundlegende Regeln missachtet, deren Einhaltung man von einem Gast im eigenen Haus erwarten dürfe. Ecuador habe sich in den über sechs Jahren, in denen es Assange politisches Asyl gewährt habe, im Gegensatz zu Assange jederzeit an seine Verpflichtungen gehalten.
Für eine Freilassung des 52-Jährigen setzen sich weltweit Menschenrechtsorganisationen und Journalistenverbände ein. Die Vorsitzende der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju), Tina Groll, forderte kurz vor Beginn der Anhörung in London ein Ende der Strafverfolgung. Die britische Justiz könne mit einer Absage an das Auslieferungsersuchen der USA ein «unmissverständliches Signal für demokratische Grundwerte» setzen, so Groll.
«Wikileaks hat massgeblichen Anteil daran, dass die Weltöffentlichkeit die schmutzige Seite der US-Kriegseinsätze erfuhr», betonte der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbands, Mika Beuster.
Mit Material der Nachrichtenagenturen SDA und DPA