Nach dem Feuer versuchen Diplomaten im Endspurt noch Abkommen zu erzielen
«Unfortunately, I am here», also, «leider bin ich hier», sagte Bundesrat Albert Rösti am Donnerstagabend an der Einweihung einer Ausstellung zum schweizerisch-brasilianischen Kulturerbe in einem Museum in der Altstadt von Belém. Gemeint war natürlich nicht, dass ihm die Kunstausstellung nicht gefiel. Sondern dass er zu dieser Zeit eigentlich an einem anderen Ort hätte sein sollen: An den Verhandlungstischen der COP 30, der UNO-Klimakonferenz in Brasilien, die nach Plan gestern Freitag zu Ende gehen sollte.
Rösti war gegen Ende der Konferenz eigens angereist, um der Verhandlungsposition der Schweiz mehr Druck zu verleihen. Es ist üblich, dass in der zweiten Woche der COP die Minister hinzustossen, um die von den Diplomaten erreichten Abkommen zu unterzeichnen.
Nur brach am Donnerstag, kurz nach Mittag, ein Feuer aus im Länderpavillon der Blauen Zone der COP. Das ist die Zone, die dem UNO-Personal, den Diplomaten oder Medienschaffenden vorenthalten ist. 27 Personen mussten nach dem Feuer medizinisch betreut werden, die allermeisten wegen des eingeatmeten Rauchs. Brand- oder Sturzverletzungen erlitt niemand. Laut einer Mitteilung der Organisatoren waren Stand Freitagmittag sechs Personen noch im Spital.
Wie das Tüpfelchen auf dem «i»
Dass am Donnerstag die Klimakonferenz in Flammen aufging, ist wie das Tüpfelchen auf dem «i» einer COP, die alles andere als typisch war – im Schlechten wie im Guten. «Heute brannte es an der COP, wörtlich und im übertragenen Sinn», fasste es Claudio Angelo von der brasilianischen Netzwerkorganisation Observatório do Clima zusammen. In der Nacht auf Donnerstag wehrten sich einige Entwicklungsländer gegen die sogenannte «Mutirão»-Erklärung, die Brasilien als Austragungsort der COP initiiert hatte. Es sollte ein Aufruf sein für einen echten Kraftakt gegen den Klimawandel.
Schlimmer noch wurde der ambitionierte Plan, die «Roadmap» für den Ausstieg aus den fossilen Energieträgern, vom Endtext der Klimakonferenz entfernt. Die Schweiz und die EU hätten diese unterstützt. Bis Freitagnacht lag noch keine Einigung unter den Ländern vor. Dem Vernehmen nach stellten sich unter anderem Saudi-Arabien, Russland und Indien dagegen. China hielt sich zurück und für ein starkes Machtwort fehlte die USA.
Es wäre eine der wichtigsten konkreten Beschlüsse gewesen, die diese COP hätte liefern wollen. Es half auch nicht, dass der brasilianische Präsident Lula da Silva als Gastgeber der COP am Mittwoch nochmals versuchte, die Akteure umzustimmen. Lula reiste danach wieder ab, in den letzten zwei Tagen sollten Diplomaten und Minister die Ergebnisse liefern.
Die Schweiz hat, zusammen mit Deutschland, Norwegen, Schweden, Luxemburg, Chile, Peru, Ghana, Zambia und der Mongolei, immerhin die Artikel-6-Ambitionsallianz ins Leben gerufen, um das Ziel von 1,5 Grad des Pariser Abkommens doch noch zu erreichen. Die Mitgliedsstaaten beabsichtigen, Finanzmittel bereitzustellen, ohne die daraus resultierenden Emissionsminderungen auf ihre eigenen national festgelegten Beiträge anzurechnen.
Verhandlungen bis in die Nacht hinein
Es ist üblich, dass in der zweiten Woche der Klimakonferenzen die Verhandlungen bis in die Nacht hineindauern und es kam auch schon vor, dass sie aufs Wochenende verlängert werden mussten. Ausgerechnet mitten im grossen Verhandlungsstress aber wurden die Beteiligten wegen des Feuers zu einer Zwangspause verdonnert.
Rösti konnte deshalb die Kunstausstellung im Namen der Schweiz einweihen gehen. In den Sozialen Medien kursierten derweil Bilder von Diplomaten, wie sie am Nachmittag statt an der COP halt in einer öffentlichen Bäckerei sassen und Abkommen unterzeichneten.
Am Donnerstag kurz vor 21 Uhr wurde die Blaue Zone der COP 30 wieder geöffnet. Bis 2 Uhr morgens waren noch Diplomaten vor Ort zu sehen. Am Freitagmorgen ging es früh bereits wieder weiter. Wer mit den Gratisbussen für die Teilnehmenden der COP anreiste, wurde von den vielen Volunteers in Belém mit herzlichem Applaus empfangen.
Nach Mitternacht in der Nacht auf Samstag lag noch keine Einigung unter den Ländern vor. Es war zu dem Zeitpunkt auch noch nicht kommuniziert worden, ob die Klimakonferenz aufs Wochenende ausgeweitet wird. Um 22 Uhr gab die UNO ein Communiqué mit eher dürftigen Ergebnissen der COP 30. Derweil wurde weiter verhandelt. Medienschaffende warteten draussen auf eine Ankündigung. Delegierte liessen sich Pizzas in den Verhandlungssaal liefern.
Unterkunftschaos, Invasion, Hitze und Feuer
Die Klimakonferenz in Brasilien begann mit einer Protestinvasion am zweiten Tag und endete mit einer Feuersbrunst am zweitletzten Tag. Soweit die Narrative basierend auf die beiden Vorfälle, die viral auf den Sozialen Medien um die Welt gingen. Diese Konferenz, die erste in einem Regenwaldgebiet, wird als eine komplizierte in die Geschichte eingehen.
Es begann schon Monate zuvor mit Chaos wegen fehlenden Unterkünften zu vernünftigen Preisen. Infrastruktur fehlte. «Das wird nie und nimmer fertig, dachte ich mir, als erst zu Beginn des Jahres mit dem Bau begonnen wurde», sagte diese Woche ein brasilianischer Ingenieur, der an der Planung der Pavillons für die COP beteiligt war, gegenüber CH Media.
Am Schluss standen die Pavillons, doch perfekt waren sie nicht. Die Klimaanlage im stets heissen Belém reichte in Teilen der riesigen, temporär aufgestellten Halle nicht aus. Teilnehmende schwitzten konstant oder froren, je nachdem, in welchem Bereich sie standen. Bei den täglichen, heftigen Regengüssen floss Wasser teilweise hinein. Wie sich das Feuer am Donnerstag entfachen konnte, steht bisher nicht fest. Es ist aber klar: Solche Dinge können zwar immer passieren, doch sie passieren eher dort, wo ungenügend geplant wird.
Eine demokratische COP, versüsst durch die Herzlichkeit der Bevölkerung
«Ich war mehr traurig, als dass ich Angst vor dem Feuer hatte», sagte eine brasilianische Teilnehmerin der COP kurz nach der Evakuation am Donnerstag. Traurig wegen des schlechten Bilds, das diese für Belém und für Brasilien so bedeutsame COP im Ausland hinterlassen werde. Es wäre nämlich, aller Widrigkeiten zum Trotz, ein unfaires Bild. Die COP 30 brachte auch sehr viel Gutes hervor.
Improvisation war gefragt – und am Schluss gibt es nichts Brasilianischeres als das. Es war die Herzlichkeit der Bevölkerung, die die COP trotz allen Problemen versüsste. Und es war womöglich die menschlichste aller bisherigen Klimakonferenzen: Nach drei Austragungen in autoritären Ländern fand sie erstmals wieder in einem demokratischen Land statt. Proteste wurden zugelassen und Belém lebte diese COP wie kaum eine Ortschaft zuvor.
COP der Völker, der Indigenen und der Agrarlobby
Dies seitens der normalen Bevölkerung wie der unzähligen kleinen und grossen Neben-COPs, die parallel zu den Verhandlungen in der Blauen Zone stattfand. Darunter die «Aldeia COP» der Indigenen – 3000 von ihnen reisten nach Belém, viele tagelang mit dem Schiff auf dem Amazonas, und markierten Stellung für den Schutz des Regenwalds, der nicht zuletzt ihr zu Hause ist.
Die Sozialen Organisationen veranstalteten im Universitätscampus von Belém den alternativen «Gipfel der Völker» mit über 70'000 Teilnehmenden, mehr als die offizielle COP mit gut 60'000. Und selbst die Agrarlobby hatte in Belém ihre eigene COP, die «Agri Zone», in Anwesenheit von Konzernen wie Bayer oder Nestlé. Überall fanden Vorträge und Diskussionsrunden statt. Dokumente mit Forderungen wurden zum Schluss dem Präsidenten der COP 30 überreicht. (aargauerzeitung.ch)
