«A Very British Coup» – so heisst ein vor bald 40 Jahren erschienener Roman, der die Vorlage für zwei Fernsehserien war. Er handelt von einem radikal linken Labour-Premierminister, der vom britischen Establishment mit allerlei unsauberen Machenschaften gestürzt werden soll. In der heutigen, realen Welt ist mit Boris Johnson ein konservativer Regierungschef an der Macht.
Auf sein Manöver vom Mittwoch lässt sich der Titel des Buches dennoch anwenden, zumindest aus Sicht seiner zahlreichen Gegner. Johnson und seine engsten Vertrauten entschieden, das Parlament kurz nach seiner Rückkehr aus den Sommerferien am nächsten Dienstag in eine rund fünfwöchige «Zwangspause» zu schicken, um eine neue Sitzungsperiode vorzubereiten.
Diese soll am 14. Oktober mit der Thronrede der Königin eröffnet werden, bei der sie faktisch das Programm ihrer Regierung vorliest. Die Queen selbst segnete das Verfahren am Mittwoch auf Schloss Balmoral in Schottland ab. Als Hüterin der (ungeschriebenen) britischen Verfassung könnte Elizabeth II. es theoretisch verhindern, doch eine Einmischung in die Politik ist für sie tabu.
Umso heftiger waren die Reaktionen aus Politik und Bevölkerung. «Stoppt den Staatsstreich!», riefen Demonstranten am Mittwochabend im Londoner Regierungsviertel Westminster. Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon, die eine zweite Unabhängigkeits-Abstimmung vorbereitet, nannte Johnson einen «Möchtegern-Diktator». Kritik äusserten auch EU-freundliche Konservative.
Der frühere Aussen- und Finanzminister Philip Hammond bezeichnete die Schliessung des Parlaments als «zutiefst undemokratisch». Von einer «rücksichtslosen, verfassungswidrigen Entscheidung» sprach der ehemalige Generalstaatsanwalt Dominic Grieve. Und Ex-Premier John Major meinte, Johnson wolle die Befugnisse des Parlaments beim Brexit «umgehen».
Für die Kritiker ist klar: Boris Johnson will den Austritt Grossbritanniens aus der EU am 31. Oktober unbedingt durchziehen, wenn nötig ohne Vertrag. Mit der ungewöhnlich langen «Prorogation» wolle er verhindern, dass das Unterhaus ihn stoppt. Seine Gefolgsleute verwiesen darauf, dass das Parlament jeweils im September wegen der jährlichen Parteitage ohnehin den Betrieb einstelle.
Verfassungsexperten betrachten diese Begründung laut britischen Medien als faule Ausrede. Sicher ist, dass das Parlament wiederholt einen No-Deal-Brexit abgelehnt hat, mit Stimmen von konservativen Abgeordneten. Welche Möglichkeiten aber gibt es, den Regierungschef aufzuhalten? Diese Szenarien könnten sich in den nächsten Wochen abspielen:
Die Absichten des Premiers sind durchschaubar. Das Parlament soll bis Mitte Oktober lahmgelegt werden, denn am 17. und 18. Oktober findet der nächste EU-Gipfel statt. Boris Johnson scheint nach den Gesprächen am G7-Treffen in Biarritz darauf zu spekulieren, dass die EU in Streitfragen wie dem irischen Backstop nachgeben und einem neuen Austrittsvertrag zustimmen wird.
Der Premierminister könnte triumphierend nach Hause reisen, der Brexit würde am 31. Oktober stattfinden. Kurz danach käme es wohl zu Neuwahlen, bei denen Boris Johnson mit einem glänzenden Erfolg rechnen darf – auch weil die Brexit-Partei von Nigel Farage, die bei der Europawahl im Mai gesiegt hat, faktisch ihr Ziel erreicht hätte und überflüssig geworden wäre.
Heikel werden könnte es, falls die EU nicht nachgibt. Johnson erklärte gegenüber der BBC treuherzig, das Parlament werde vor dem 31. Oktober «mehr als genug Zeit» haben, um über den Brexit zu debattieren. Doch er weiss genau, dass der Zeitdruck so kurz vor dem Austrittsdatum enorm gross wäre und den Abgeordneten die Optionen ausgehen dürften.
Das Unterhaus kehrt am nächsten Dienstag aus den Ferien zurück. Die Zwangspause beginnt frühestens am folgenden Montag, also am 9. September. Es blieben somit ein paar Tage, um die Pläne von Johnson zu durchkreuzen. Eine überparteiliche «Rebellen»-Allianz bemüht sich gemäss dem «Guardian», ein entsprechendes Szenario zu entwickeln.
Parlamentspräsident John Bercow könnte demnach noch am Dienstag einen Antrag auf eine kurzfristige Debatte gutheissen. Innerhalb weniger Tage würde das Unterhaus ein Gesetz verabschieden. Das Oberhaus müsste am folgenden Wochenende darüber beraten. Bei einer Annahme könnte es mit Zustimmung der Queen noch vor der Parlamentspause in Kraft treten.
Dieser Zeitplan aber ist höchst ambitioniert, und die Frage ist, was im Gesetz stehen soll. Im Vordergrund steht eine erneute Verschiebung des Brexit. Doch das Parlament ist in Sachen Brexit zerstritten. Eine von Teilen der Opposition geforderte zweite Austritts-Abstimmung wurde mehrfach abgelehnt. Einzig gegen einen No-Deal-Brexit gibt es eine Mehrheit im House of Commons.
Der Entscheid der Königin kann vor Gericht nicht angefochten werden. Persönlichkeiten wie John Major wollen laut BBC dennoch prüfen, ob sie den Rechtsweg einschlagen können. Dazu gehört auch die Aktivistin und Brexit-Gegnerin Gina Miller. Sie hat mit einer Klage verhindert, dass die Regierung den EU-Austritt ohne Einbezug des Parlaments durchziehen kann.
Miller glaubt, dass der Oberste Gerichtshof des Königreichs den Versuch, die Befugnisse des Parlaments durch die Prorogation einzuschränken, als «illegal und verfassungswidrig» einstufen könnte. Für den Rechtsexperten der BBC ist eine solche Argumentation nicht chancenlos. In Schottland haben die regierenden Nationalisten bereits eine Klage in dieser Sache eingereicht.
Die verschiedenen Szenarien enthalten einige Unwägbarkeiten. Was geschieht, wenn es am 31. Oktober tatsächlich zu einem Chaos-Brexit kommt, mit gravierenden Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft? Boris Johnson könnte deshalb auf Neuwahlen noch im Oktober setzen, also vor dem Austrittsdatum. Er braucht dafür eine Zweidrittelmehrheit im Parlament.
Seine eigene Mehrheit, inklusive nordirischer Unionisten, beträgt nur eine Stimme, doch auch Labour-Chef Jeremy Corbyn liebäugelt mit Neuwahlen. Den Wahlkampf würde Johnson nach dem Motto «Volk gegen Classe politique» führen. Eine Regierungsquelle wies solche Ideen gegenüber dem «Guardian» zurück: «Wir wollen keine Neuwahl, aber wenn, dann erst nach dem 31. Oktober.»
Ausschliessen darf man trotzdem nichts. Johnsons einflussreichster Berater, der ebenso brillante wie skrupellose Dominic Cummings, ist gemäss Politico überzeugt, dass ein kluger Politiker immer zwei Eisen im Feuer haben muss. Boris Johnson mag clownesk wirken. Doch eines hat er mit seinem «Überraschungs-Coup» bewiesen: Man darf ihn auf keinen Fall unterschätzen.
Nun will die Rechte Referenden über das Parlament stellen und den gewählten Parlamentariern keine eigenen Abstimmungen mehr zuzulassen. Auf so ein System ist UK nicht vorbereitet, denn alle ungeschriebenen Regeln sind void.
Das nächste Referendum ist dann "wir annektieren Irland" und wenn das Parlament dagegen ist wird es wieder geschlossen?