Premierminister Boris Johnson schickt das Parlament in den Urlaub und provoziert damit Proteste in der Bevölkerung. Bild: AP
Der britische Premierminister Boris Johnson will das Parlament lahmlegen. Dahinter steckt eiskaltes Kalkül. Ein Überblick.
Im Vereinigten Königreich geht es gerade drunter und drüber. Seit rund einem Monat im Amt, sorgt Premierminister Boris Johnson derzeit für Aufruhr. Johnson hat dem Parlament in London zwei Monate vor dem geplanten Brexit eine Zwangspause verordnet.
Von Mitte September bis Mitte Oktober sollen im britischen Parlament keine Sitzungen stattfinden. Königin Elizabeth II. stimmte am Mittwoch einem Antrag Johnsons zu, die traditionelle Parlamentspause bis zum 14. Oktober zu verlängern.
3 Dinge, die du darüber wissen musst:
Das britische Unterhaus tagt in mehreren Sitzungsphasen. Traditionell dauern die Phasen jeweils ein Jahr. Die aktuelle Phase läuft aber bereits seit dem Sommer 2017 – das ist die längste Phase seit 400 Jahren. Gemäss Johnson sei es nun Zeit für eine neue Sitzungsphase – zuvor will er sein Regierungsprogramm vorstellen.
Schickt sein Parlament kurzerhand in die Ferien: Premierminister Boris Johnson. Bild: EPA
Doch hinter der Beurlaubung steckt mehr.
Johnson will einen Brexit erwirken – egal ob geregelt oder ungeregelt. Bereits vor seiner Wahl zum Premierminister setzte sich Johnson für einen harten Brexit ein. «No ifs or buts» sagte er damals. Nun setzt er sein Versprechen in Taten um. Er will den Austritt Grossbritanniens aus der EU am 31. Oktober durchziehen – notfalls auch ohne Austrittsabkommen.
Die Mehrheit des Parlaments will einen ungeregelten Brexit ohne jegliche Austrittsabkommen verhindern. Mit der von Johnson auferlegten Zwangspause sinken aber die Chancen für die Opposition, ein Gesetz gegen einen No-Deal-Brexit durchzubringen. Und das Parlament kann seine eigene Beurlaubung nicht mit einer Abstimmung verhindern. Die Abgeordneten können einzig versuchen, ein Gesetz zu verabschieden, welches das Brexit-Datum nach hinten verschiebt oder einen No-Deal-Brexit verhindert. Doch dafür könnte die Zeit nun knapp werden.
Die Zeit wird knapp: Am 31. Oktober soll England aus der EU austreten – wenn vorher keine Alternative ausgehandelt wird. Bild: shutterstock.com
Denn wenn das Parlament wieder Sitzungen abhalten darf, wird es bereits Mitte Oktober sein. Die Zeit bis zum 31. Oktober wird dann kaum reichen, einen geregelten Brexit zu erwirken. Johnson betonte zwar, dass «das Parlament die Chance haben wird, über das Regierungsprogramm und seinen Umgang mit dem Brexit vor dem EU-Gipfel zu debattieren», doch daran glaubt bislang kaum jemand.
Fassungslosigkeit und Empörung: So lassen sich die Reaktionen auf die von Johnson verordnete Zwangsbeurlaubung beschreiben. Binnen Stunden wurden am Mittwochabend eine Online-Petition gegen Johnsons Entscheid lanciert – unterzeichnet wurde sie bereits von mehr als einer Million Menschen.
Noch am selben Abend versammelten sich an der Downing Street in London zahlreiche Demonstranten. Bild: AP
In mehreren Städten gingen am Mittwochabend Tausende Menschen auf die Strassen. In London versammelten sich Demonstranten nahe des Parlaments und von Johnsons Amtssitz in der Downing Street. Sie forderten ein Ende des «Putsches» und schwenkten Europafahnen.
Parlamentspräsident John Bercow sprach von einem «Frevel gegen die Verfassung». Der frühere Schatzkanzler Philip Hammond twitterte: «Zutiefst undemokratisch.» Es sei eine Schande, wenn das Parlament davon abgehalten werde, der Regierung in Zeiten einer nationalen Krise auf die Finger zu schauen.
Mit Material von sda