Hösch
Muss ich das verstehen?
Die Opferzahlen des Erdbebens in der Türkei und in Syrien steigen stündlich. Noch immer befinden sich Verschüttete unter den Trümmern. Tausende von Menschen haben ihr Hab und Gut verloren. Es herrscht klirrende Kälte. Die Spitäler kommen an ihre Grenzen. Zwei Nationen leiden, wobei eine noch immer unter den Folgen des Bürgerkriegs leidet.
Am Tag der ersten Beben teilt die französische Satire-Zeitung «Charlie Hebdo» auf Twitter «die Zeichnung des Tages». Diese zeigt beschädigte Gebäude und einen Trümmerhaufen. Beschriftet ist die Zeichnung mit «Séisme en Turquie» («Erdbeben in der Türkei»).
Eine Solidarisierung mit den Opfern? Weit gefehlt.
Unter dem Trümmerhaufen der Zeichnung liegt die Pointe: «Même pas besoin d'envoyer de chars!» («Man muss nicht einmal Panzer schicken»).
✏️Le dessin du jour, par #Juin pic.twitter.com/kPcEqZDocO
— Charlie Hebdo (@Charlie_Hebdo_) February 6, 2023
Ausgerechnet an einem Tag, der Tausende von Leben fordert, übt «Charlie Hebdo» Kritik an Recep Tayyip Erdoğan, der seit Jahren kurdische Milizen in Nordsyrien angreift. Also in genau jenen Gebieten, die stark vom Erdbeben betroffen sind.
Doch nicht nur der türkische Präsident wird angeprangert, sondern auch die militärische Unterstützung Europas für Kiew sowie der Umgang mit Waffen aus unserem Nachbarland.
Denn: Deutschland hatte zwischen 2006 und 2011 mehr als 350 «Leopard-2-Panzer» in die Türkei geliefert – ohne Bestimmungen für den Einsatz zu erteilen. Einige der deutschen Leopard-Panzer sind bei einem Einsatz der türkischen Offensive gegen syrische Kurden zum Einsatz gekommen. Schon vor der Vereinbarung bezeichneten die Kurden die Lieferung als «misstrauensbildende Massnahme, die nicht in den Reformprozess der Türkei passe».
Inzwischen ist das Thema der Vergabe von Kampfpanzern aus deutscher Produktion infolge des Krieges in der Ukraine in den Medien wieder omnipräsent.
Noch hitziger als die aktuelle Leopard-Debatte wird in den sozialen Medien gerade über die Karikatur von «Charlie Hebdo» diskutiert. Viele empfinden die Zeichnung angesichts der Opfer des Erdbebens als respektlos oder geschmacklos. «Sich über so etwas lustig zu machen, ist unmenschlich», kritisiert ein User auf Twitter. Ein anderer: «Es ist unehrenhaft, sich über das Schicksal der Menschen, Kinder und Babys zu amüsieren.»
Ich trete gerne für #Meinungsfreiheit ein und habe auch immer #CharlieHebdo verteidigt. Tausende sind schon gestorben und unter den Trümmern sterben weiterhin Menschen an Kälte und Hunger. Witze über das #ErdbebenInDerTuerkei gehen mir einfach zu weit. pic.twitter.com/4nqyJvMSRe
— Erkan Pehlivan 🏳️🌈 (@erkanpehl) February 7, 2023
Ihr seid so geschmacklos und gottlos, dass es mir die Sprache verschlagen hat. Ihr solltet auch Mal unter Trümmern liegen!!! Fuck you,@Charlie_Hebdo_ disgusting piece of shit. You can't be humans! https://t.co/kBDlobZA2x
— SohumiGuma (@SohumiG) February 7, 2023
Auch in der Türkei blieb die Karikatur nicht unbemerkt. Medien aus der Türkei sowie aus dem Nahen Osten berichten, dass die Zeichnung als Verspottung der Türkei und als islamfeindlich angesehen wird. Der prominente amerikanische muslimische Schriftsteller Omar Suleiman schreibt auf Twitter, dass die Karikatur «Muslime entmenschliche».
“Tanks are no longer needed” they say in celebration.
— Dr. Omar Suleiman (@omarsuleiman504) February 7, 2023
What a despicable publication. Always has been. Mocking the death of thousands of Muslims is the peak of how France has dehumanized us in every way.
And the crazy thing is that we can’t even say this is a new low for you. https://t.co/8jWYhlCzvk
Die neuesten Berichte über weitere türkische Bombenangriffe auf kurdische Gebiete – trotz Verwüstung durch das Erdbeben – haben den Shitstorm noch nicht gebändigt.