Am Wochenende schlug die China-Blase auf der Online-Plattform Twitter Alarm: Staatschef Xi Jinping befindet sich womöglich unter Hausarrest. Das Militär habe gegen den 69-Jährigen geputscht. Li Qiaoming, ein mächtiger General der Volksbefreiungsarmee, habe unterdessen die Macht übernommen.
Auf Twitter war #chinacoup eines der meistdiskutierten Themen der letzten Tage. Renommierte Professoren liessen sich auf etwaige Spekulationen ein, seriöse Medien wie der britische «Guardian» griffen die Angelegenheit auf und auch ein indischer Ex-Minister liess seine über zehn Millionen Follower daran teilhaben.
#XiJingping is allegedly under house arrest after #CCP removed him as head of PLA. General #LiQiaoming is rumored to be the new president of china.
— Sandeep Reddy (@reddygaru89_1) September 24, 2022
- Unconfirmed sources. pic.twitter.com/btxDEvoOG5
Nun, der Zeitpunkt liefert tatsächlich Anlass für Spekulationen: Xi ist vergangene Woche nach Zentralasien gereist, doch trat seit seiner Heimkehr vom ersten Auslandstrip nach Ausbruch der Pandemie nicht mehr in der medialen Öffentlichkeit auf. Zudem findet Mitte Oktober der historische 20. Parteikongress in Peking statt, während dem der 69-Jährige voraussichtlich seine dritte Amtszeit deklarieren wird. In China ist dies eine höchst umstrittene Angelegenheit, schliesslich hat die Parteiführung nach dem Tod Mao Zedongs höchst selbst dafür gestimmt, dass sich eine derart verhängnisvolle Konzentration politischer Macht nicht mehr wiederholen darf.
Zudem steht ohne Frage fest, dass es innerhalb der chinesischen Elite durchaus brodelt. Erst letzte Woche wurden mehrere führende Kader des Sicherheitsapparats zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt – und das nicht nur, weil sie korrupt waren. Ihnen wurde auch vorgeworfen, eine «politische Clique» gebildet zu haben, die sich gegen Xi Jinping positioniert hat.
Dass der amtierende Staatschef innerhalb der chinesischen Elite Hass auf sich zieht, scheint mehr als plausibel: Schliesslich hat er in den letzten Jahren mit seiner Anti-Korruptions-Kampagne sowie den harschen Regulierungen gegen führende Privatunternehmen sehr viel Wohlstand vernichtet.
Die jetzigen Putsch-Gerüchte aber sind hanebüchen. Bei näherer Betrachtung sollten allein bei der Quellenlage sämtliche Alarmglocken aufschrillen: So waren es vor allem im Ausland lebende Chinesen, die der Falun Gong-Sekte zuzurechnen sind, die auf sozialen Medien die Gerüchte gestreut haben. Als Belege führten sie an, dass die Hauptstadt angeblich vollständig abgeriegelt sei, sowie ein Panzerkonvoi in der umliegenden Provinz Hebei zeigt.
Doch tatsächlich handelt es sich bei den «Beweisen» um leicht zu widerlegende Halbwahrheiten: Die Flüge und Zugverbindungen nach Peking sind tatsächlich stark reduziert, was im Zuge der radikalen Null-Covid-Massnahmen allerdings immer wieder vorkommt. Abgeriegelt ist die Hauptstadt hingegen keineswegs - im Gegenteil: Vor Ort lassen sich keinerlei Hinweise finden, die auf einen Umsturz hindeuten würden.
Der Spiegel-Korrespondent Georg Fahrion hat die Gerüchte am Sonntag in einem ironischen Twitter-Thread auf die Schippe genommen: Bei einem Augenschein in der Pekinger Innenstadt publizierte er unter anderem Fotos vorm Eingangstor des Regierungsviertels Zhongnanhai und der Verbotenen Stadt. Zu sehen war Normalität wie eh und je, doch seine Schnappschüsse unterlegte der Kollege mit zynischen Bildunterschriften, in denen Touristen zu «Fallschirmjägern» und normale Passanten zu «Rebellen» erklärt wurden.
Today in Beijing, I investigated the #chinacoup so you don’t have to. At considerable personal risk, I ventured out to some neuralgic key points in the city. Disturbing finds. Brace yourselves. /1 pic.twitter.com/z4CJYpQbbk
— Georg Fahrion (@schorselysees) September 25, 2022
Und tatsächlich wurde sein Twitter-Thread von etlichen Beobachtern missverstanden – und landete zur besten Sendezeit im indischen Fernsehprogramm, wo seine Anekdoten als Belege für einen tatsächlichen Putsch in Peking herhalten mussten. Fahrions Kommentar: «Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit.»
Die ganze Angelegenheit ist dennoch überaus interessant. Sie zeigt, wie nach zweieinhalb Jahren geschlossener Grenzen, einem Exodus an ausländischen Korrespondenten und einem zunehmend intransparenterem chinesischen Machtapparat die Informationslage derart prekär geworden ist, dass sich selbst substanzlose Online-Gerüchte tagelang halten können. Immer schwieriger wird es, die Informationen vor Ort zu überprüfen.
Bisher zumindest kannte man ein solch mediales Kaffeesatzlesen nur von Nordkorea. Nun scheint auch die Volksrepublik China zu einer zunehmenden Blackbox zu werden. (aargauerzeitung.ch/cpf)
Aber selbst wenn, ist ein Einparteiensystem immer noch unmenschlich. Wir denken nun mal nicht alles gleich und wer das nicht wahr haben will, ist gegen unsere Natur... also unmenschlich.