Sydney gehört zu den Städten mit der weltweit höchsten Lebensqualität. Die traumhafte Lage am Pazifik und eine lockere Lebensart zeichnen Australiens grösste Stadt mit ihren rund fünf Millionen Einwohnern aus. Derzeit aber fühlt sich das Leben ziemlich trist an. Seit fünf Wochen steckt Sydney in einem Lockdown, der bis Ende August dauern soll.
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Die «Sydneysider» dürfen ihre Behausungen nur für wenige Aktivitäten wie Arbeiten, Einkaufen oder Sport verlassen. In ärmeren und multiethnischen Bezirken wurden die Massnahmen sogar verschärft. Dort müssen sich die Einwohner alle drei Tage testen lassen, wenn sie mehr als fünf Kilometer von ihrer Wohnung entfernt arbeiten.
Ausserdem gilt eine Maskenpflicht im Freien. Um die Vorschriften durchzusetzen, sollen ab Montag 300 Angehörige der australischen Armee in den betroffenen Quartieren patrouillieren. Bürgerrechtler sind besorgt, und ein Bürgermeister sagte der BBC, die Menschen in dieser armen Gemeinschaft würden «die harten Massnahmen nicht verdienen».
Die Regierung des Bundesstaats New South Wales zeigt sich unbeeindruckt, denn die Neuinfektionen bleiben trotz Lockdown hoch. Am Freitag wurden 170 neue Fälle registriert. Tags zuvor waren es 239. In den meisten europäischen Ländern würden solche Zahlen kaum für grosses Aufsehen sorgen, in Australien aber erzeugen sie Alarmstimmung.
Der Südkontinent hat die Corona-Pandemie mit rund 34’000 bestätigten Fällen und weniger als 1000 Todesopfern im globalen Vergleich sehr gut bewältigt. Möglich machte es eine rigorose No-Covid-Strategie. So sind die Grenzen seit Anfang 2020 weitgehend zu. Nach dem grossen Ausbruch in Indien wurde selbst Landsleuten die Rückreise verboten.
Nun ist die (indische) Delta-Variante doch in Australien angekommen. Der Ablauf lässt sich zurückverfolgen: Das Virus wurde von einer Flugzeug-Crew eingeschleppt, die von einem ungeimpften und unmaskierten Busfahrer in ihr Quarantänehotel chauffiert wurde. Der Fahrer blieb zwei Tage ohne Symptome und steckte in dieser Zeit diverse Leute an.
Dies verweist auf ein weiteres Problem: Bei den Impfungen ist Australien erheblich im Rückstand. Erst knapp 14 Prozent der gesamten Bevölkerung und rund 18 Prozent der über 16-Jährigen haben die vollständige Dosis erhalten. Dabei wird das von der Universität Oxford entwickelte Astrazeneca-Vakzin sogar im Land selbst hergestellt.
Allerdings geniesst Astrazeneca auch Down Under nicht den besten Ruf. Die konservative Bundesregierung trug dazu bei, indem sie zeitweise empfahl, auf Pfizer/Biontech zu warten, doch bei diesem Vakzin hapert es mit dem Nachschub. Die Regierung habe «viel zu wenig Impfstoff bestellt», erklärte SRF-Australienkorrespondent Urs Wälterlin.
Ein weiterer Grund ist wohl ausgerechnet der Erfolg in der Pandemie-Bekämpfung. Er hat die Impfskepsis verstärkt (im Mai sagten ein Drittel der Australier in einer Umfrage, sie würden sich nicht impfen lassen) und zu einer gewissen Nachlässigkeit geführt. Dies zeigt ein Vergleich mit dem Impfturbo und einstigen «Mutterland» Grossbritannien.
Dort wird ebenfalls mehrheitlich der Astrazeneca-Impfstoff verwendet, doch der massive Ausbruch im Winter habe «zu einem grösseren Gefühl der Dringlichkeit geführt», meint der öffentlich-rechtliche Fernsehsender ABC. Besonders deutlich zeigt sich dies bei den älteren Menschen: In Australien sind selbst die über 90-Jährigen nur zu etwa 50 Prozent geimpft.
Und schliesslich spielt wie fast überall die Politik eine Rolle. Die in New South Wales regierende (sehr konservative) Liberal Party versuchte anfangs, mit relativ milden Massnahmen über die Runden zu kommen. Im Bundesstaat Victoria hingegen hat die Labor-Regierung für die Metropole Melbourne schon fünfmal einen harten, aber kurzen Lockdown verordnet.
Der letzte dauerte knapp zwei Wochen und wurde am Mittwoch aufgehoben. Für Sydney befürchten Experten, dass der Lockdown bis Ende September dauern könnte. Bis Oktober wollte Australien die Schliessungen hinter sich lassen. Premierminister Scott Morrison musste diese Woche einräumen, dass dies kaum vor Ende Jahr der Fall sein wird.
Am Freitag nannte Morrison konkrete Zahlen: Erst wenn 80 Prozent aller Erwachsenen geimpft seien, dürften diese mit einer Aufhebung aller Einschränkungen rechnen und ins Ausland reisen. Davon ist man Down Under, siehe die aktuellen Zahlen, weit weg. Für ein Ende aller Massnahmen, inklusive Grenzöffnung, gab er keinen Zielwert an.
Konjunktiv weil: Die meisten Länder kriegen ja nicht einmal zwei Dinge davon gleichzeitig halbwegs brauchbar hin :-/
Huh, eine sehr heikle Massnahme, die in so manch europäischen Land sehr kontrovers gewesen wäre.
Impfung verweigern scheint mir ein Luxus zu sein..