Er ist in Deutschland zum eigentlichen «Gesicht» der Corona-Pandemie geworden. Und er verfügt über ein ausgeprägtes Sendungsbewusstsein, im wahrsten Sinn des Wortes. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Karl Lauterbach tritt gefühlt etwa dreimal pro Tag im Fernsehen auf. Er gibt Interviews am laufenden Band und twittert in hoher Kadenz.
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Vielen geht der 58-Jährige mit seiner rechthaberischen Art und seinem Kölner Dialekt auf die Nerven, aber Lauterbach ist als Gesundheitsökonom und Epidemiologe ein ausgewiesener Fachmann. Und er lag mit seinen Einschätzungen zur Entwicklung der Pandemie nicht immer, aber sehr oft richtig. Das wissen die Deutschen zu schätzen.
Solcher Unsinn erklärt, weshalb in Regionen mit mehr AfD Wählern mehr Menschen an Covid sterben. Trotzdem tun mir die betroffenen Menschen leid. Niemand verdient es, an politischer Manipulation zu versterben. https://t.co/6IEZL1ZAMs
— Karl Lauterbach (@Karl_Lauterbach) November 21, 2021
In einer Exklusiv-Umfrage unseres Schwesterportals watson.de sprachen sich 59 Prozent für Karl Lauterbach als Gesundheitsminister in der neuen deutschen Ampel-Regierung aus. Die über 65-Jährigen votierten fast geschlossen für den SPD-Mann. In der ARD-Talkshow «Hart aber fair» am Montagabend meinten alle Teilnehmer, Lauterbach solle es machen.
An ihm wird es nicht liegen. In Interviews hat Lauterbach mehrfach durchblicken lassen, dass er nur eine Person in Deutschland für geeignet hält für das komplexe Ressort: sich selbst. Es wäre eine Überraschung, «wenn ich das grundsätzlich nicht machen wollte», sagte er am letzten Mittwoch etwas gewunden in der Sendung «RTL Direkt».
Es gibt nur ein Problem: Der künftige Bundeskanzler Olaf Scholz lässt seinen Parteikollegen zappeln. Während FDP und Grüne die Besetzung ihrer Ministerien bereits geregelt haben, will die SPD bis zum Parteitag am Wochenende abwarten, an dem der Koalitionsvertrag gebilligt werden soll. Das hat nicht nur, aber auch mit Lauterbach zu tun.
Bei den Sozialdemokraten gibt es diverse Vorbehalte gegen den Gesundheitspolitiker. Für viele gilt er gemäss der «Zeit» als «zu akademisch» und «zu wenig pragmatisch» für die Führung des schwierigen Ministeriums, das schon früher nicht sonderlich beliebt war, weil im Gesundheitswesen mächtige Lobbys mitmischen (in der Schweiz ist es nicht anders).
In der SPD-Fraktion, der Lauterbach seit 2005 angehört, gilt er als Aussenseiter und wenig teamfähiger Einzelkämpfer, was sich bei seiner Kandidatur für den Parteivorsitz vor zwei Jahren zeigte. Auch seine frühere Mitgliedschaft in der CDU wird ihm teilweise vorgehalten. Und sein «Alarmismus» passt nicht zum Stil der neuen Regierung.
Auf die Bremse tritt vor allem die FDP, die sich schon in der Opposition gegen zu harte Massnahmen ausgesprochen hatte und deswegen bei der Bundestagswahl zulegen konnte, besonders bei erstmaligen Wählerinnen und Wählern. Deutsche Medien kritisieren die Ampel deswegen angesichts der angespannten Lage in vielen Spitälern immer heftiger.
Dennoch stellt sich die Frage, ob Karl Lauterbach in diese Regierung passt. Als Grund für seine Nicht-Berücksichtigung könnte Olaf Scholz auf eine ausgewogene Vertretung der Regionen (Lauterbach stammt aus Nordrhein-Westfalen) verweisen oder auf die angestrebte Geschlechterparität. Demnach müsste eine Frau das Gesundheitsministerium übernehmen.
Als «gesichtswahrender» Ausweg für Karl Lauterbach bietet sich die Berufung in den Corona-Krisenstab an, den Scholz im Kanzleramt installieren will. Ihm wäre dies vielleicht sogar recht. Als Minister müsste er seine Medienpräsenz reduzieren und sich an die Vorgaben der Kommunikationsabteilung halten. Das dürfte ihm eher schwer fallen.
Gut möglich, dass ihn all das das für ein Ministeramt per se disqualifiziert.
Oder anders gesagt: Die deutsche Politik hat ihn eigentlich gar nicht verdient.