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Coronavirus

«It is what it is» – eine Reise durch die USA in Zeiten von Corona

Corona Tour of the US
Die Verzweiflung vieler Amerikaner im Wahljahr, ausgedrückt auf einem Schild in Kansas City.Bild: Johann Aeschlimann

«It is what it is» – eine Reise durch die USA in Zeiten von Corona

30.08.2020, 15:15
johann aeschlimann
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Eine Familienangelegenheit hatte es ermöglicht, aus der Schweiz in die USA zu reisen, und geplant war eigentlich, bis zu den Wahlen zu bleiben. Eine andere Familienangelegenheit zwang indessen zur vorzeitigen Rückreise in die Schweiz. An Arbeiten war eh nicht zu denken. Im Coronamodus ist das I-Visum für die Berichterstattung aus den USA offensichtlich nichts wert: Die Einreise wurde nur gestattet, um Frau und Familie zu sehen.

«Bis 25. August», erklärte die Zöllnerin in New York. «Sie dürfen nicht arbeiten, verstanden?». Ich könne einen Monat verlängern, meinte sie, «aber dazu müssen Sie ein Gesuch stellen, sonst kriegen Sie Probleme».

A woman walks in the baggage claim area inside Terminal B at LaGuardia Airport Wednesday, July 15, 2020, in New York. (AP Photo/Frank Franklin II)
In den New Yorker Flughäfen (hier LaGuardia) ist es diesen Sommer gähnend leer.Bild: keystone

Wo stelle ich das Gesuch?
Sie müssen die Botschaft anrufen.
Die US-Botschaft in Bern?
Nein, hier.
Die USA haben keine US-Botschaft in den USA.
Oh yeah, whatever.
Wo dann?
Wie heisst es nochmals? IS oder so ähnlich.
Was ist das, meinen Sie das Einwanderungsamt?
I don’t know. Google it.

Fliegen zu Coronazeiten ist traumhaft. Die Maschine von Zürich nach New York war nur zu einem Drittel besetzt. Die Ankunftshalle im Flughafen JFK, im Juli meist randvoll, war leer. Der Reisende segelt durch die Kontrollen.

New York

Corona Tour of the US
Selbst Obdachlose tragen Maske.Bild: Johann Aeschlimann

Als erstes fällt auf: Man trägt Maske. Auch draussen auf der Strasse. Selbst unter den Obdachlosen gibt es Maskenträger. New York City, im Frühling der globale hot spot der Corona-Pandemie, hat eine Lektion gelernt.

Bars und Geschäfte sind wieder offen. Aber etliche sind verschwunden. Brooks Brothers ist pleite. Der Trödler an der Ecke ist weg, es kommt eine weitere Kaffeebar. Der Grieche mit dem guten Tintenfisch schliesst um 17 Uhr. New York hat den Ladenschluss entdeckt.

Die Stadt ist schmutziger als sonst. An der 43. Strasse zum Hudson River hin türmen sich Abfallberge. Von der kleinen Minderheit, die keine Maske trägt, sind 90 Prozent Schwarze. Das auszusprechen ist tabu. Wenn ich es sage, wechseln die Leute das Thema. «Ich überlasse es den Soziologen, sich dazu zu äussern», antwortet J, ein Anwalt.

Das Fernsehen ist voller Rasse. Black Lives Matter. Im National Public Radio wird der Rassismus hinauf und hinunter dekliniert. Der Unabhängigkeitstag am 4. Juli ist ein einziger gequälter Versuch, Amerikas rassistisches Fundament mit den grossartigen Verheissungen von declaration of independence und Verfassung zu versöhnen. Am Lokalfernsehen fordert eine Schülerin die Einrichtung eines Schülerausschusses zur Untersuchung von Rassismusvorfällen. Mit Vollmachten.

Das Rechtsfernsehen gibt Revolution. «Situation Room», der Kanal von Steve Bannon, geifert wie weiland Joseph Goebbels. Unterwanderung. Sedition. Krieg. Sie haben einen Reporter aus England, ein Araber oder Karibier, der über eine Strassenschlacht in London berichtet. Boris Johnson ist zu weich, auch einer aus der Elite, der Karibier weiss es. I have been to their cocktail parties. Jetzt muss durchgegriffen werden. Weltweit.

Auf Fox am Morgen der schleimige Dick Morris, der in den neunziger Jahren Bill Clinton einmittete: Es geht nicht um Rassendiskrimierung sondern um Umsturz. Die Anführer von Black Lives Matter sind the most radical on the planet. Sean Spicer, Trumps erster Sprecher, ist jetzt Fox-Moderator und fragt, wie man Biden bekämpfen soll. Der Schlemperling Sleepy Joe funktioniere nicht, Bidens Umfragewerte bleiben hoch. Morris empfiehlt, ihn als weak hinzustellen. Schwäche vor dem inneren Feind.

Corona Tour of the US
In New York herrscht Maskenpflicht in Innenräumen.Bild: Johann Aeschlimann

Auf dem Rückweg vom Einkaufen rempelt mich ein bum an und lässt eine Tüte fallen. Ich sage «tschuldigung» und gehe weiter. Er läuft mir nach: Ich sei schuld, dass sein Essen am Boden liegt. Ich gebe ihm einen Dollar.

Machst Du Witze? Ich habe 20 Dollar bezahlt, meine Tochter braucht etwas zu essen.
Geht's noch? Hier ist noch ein Dollar.

Ich gehe rasch weiter. Der bum ist schwarz. Was ist, wenn er «Rassist» ruft? Provoziere ich einen Auflauf? Kommt die Polizei? Bin ich ein Rassist, weil ich sein Spiel nicht mitmache? So be it.

Eigentlich muss ich zwei Wochen Quarantäne machen. Bei der Einreise wurde Fieber gemessen und es war ein Fragebogen auszufüllen, mit Adresse, Telefonnummer, E-Mail. Aber die Quarantänepflicht ist nicht eindeutig formuliert. Ich interpretiere sie so, dass ich selbst einkaufe und am Morgen am Hudson laufen gehe. Du musst auch gegen Covid-15 etwas tun. So nennen Amerikaner die 15 Pfund, die man während des lockdown zulegt. Kein Amt ruft an, es gibt keine Kontrolle.

Nachbar N sagt, er habe sich auf Antikörper testen lassen. Positiv. Also habe er Covid überstanden. Jetzt sei er auf der sicheren Seite, auch wenn es ihn nochmals erwische. Das zweite Mal sei weniger schlimm. N weiss, dass es auch gefährlich ausgehen kann. «Der Schwiegervater meines Sohns ist daran gestorben, er war etwas über 60. Wir konnten nur ein Video-Begräbnis haben.» Hart sei das gewesen, sagt N. But it is what it is.

It is what it is. So ist es halt. Da musst du durch. Nichts zu machen. Wie ein roter Faden windet sich das Sätzlein durch die spärlichen Begegnungen mit Land und Leuten. Der Caudillo im Weissen Haus sagte es auch, als er auf die vielen Corona-Toten in den USA angesprochen wurde. It is what it is.

Kansas

Dr. Lee Norman, the Kansas Department of Health and Environment's top administrator, answers questions about the coronavirus pandemic during a news conference Friday, May 29, 2020, at the Stateho ...
Lee Norman, der oberste Gesundheitsbeamte in Kansas, äussert sich zum Coronavirus.Bild: keystone

Die Familienangelegenheit hat sich zur Trauerfeier gewandelt. D ist gestorben. Sie wurde im Altersheim in Kansas auf Covid-Verdacht getestet, musste mehrere Tage auf das Ergebnis warten und war während dieser Zeit total isoliert. Das brach den letzten Lebenswillen. Das Heim sagt, sie hätten mindestens ein halbes Dutzend Fälle, bei denen die Verwirrung, Angst und Orientierungslosigkeit während der Isolation zum Tod führten.

Weil ich aus dem Seuchengebiet New York komme, ist eine zweite Quarantäne fällig. Eine abgekürzte, ich mache einen Corona-Test. Negativ.

Drinnen darf eine Trauerfeier nicht stattfinden. Wir sind in einem Park, zwei Dutzend Leute. Die Familienmitglieder sagen etwas. Danach sitzen wir noch ein wenig beisammen, in Abstand und mit Maske. Dann gehen wir heim. Die aus Chicago waren mit Js kleinem Privatflugzeug gekommen und fliegen zurück. Die Geschwister bleiben bis zum Abend zusammen.

Bemerkenswert: Über Politik fällt kein Wort. Gewöhnlich fliegen die Fetzen. Wir haben einen weit rechts denkenden Trumpisten, strikt gläubige Christinnen (auch pro Trump), einen Demokraten mit Elizabeth Warrens «Persist»-Sticker am Auto, Unabhängige mit libertären Neigungen, Unpolitische. Die einen tragen keine Masken und hängen der Theorie an, es sei besser, sich anzustecken und das Virus zu besiegen, als ihm auszuweichen. Die anderen sind hypervorsichtig. Niemand spricht von Donald Trump oder von den erbitterten Streitereien um Sinn und Unsinn von Corona-Massnahmen.

Amerika ist so sehr gespalten, dass politische Themen tabu bleiben müssen, wenn es keinen Krach geben soll. Aber noch nicht so tief gespalten, dass die Tabus nicht mehr respektiert werden.

Im Kühlschrank über Land

Air Condition USA
Ohne Klimaanlage geht im Sommer nichts, auch nicht in Zeiten von Covid-19.Bild: Shutterstock

B hat Angst vor dem Fliegen. Ich nicht. Also fahren wir mit dem Auto nach New York. Zuerst an den Lake George in den Adirondack Mountains, dann in die Stadt. Vier Tage Fahren, drei Übernachtungen in Hotels, dann eine Woche Ruhe und nochmals einen Tag fahren. Essen im Freien. Keine Restaurantbesuche.

Eine sommerliche Autoreise in den USA ist wie Reisen in einem Kühlschrank. Man verlässt am Morgen seinen klimatisierten Raum, steigt in den klimatisierten Wagen und merkt erst beim Tanken, dass draussen 40 Grad herrschen. Die meisten Leute verbringen ihre Sommer drinnen, mit der air condition. Doch in den epischen Diskussionen über die Virengefahr in der Luft ist air condition eigenartigerweise kein grosses Thema.

Man muss googeln, um Informationen zu finden, die Zeitung bringt kaum etwas. Es gibt unterschiedliche Ansichten über das Gefährdungspotential, so wie es unterschiedliche Klimatisierungssysteme gibt. Nicht auszudenken, wenn Doktor Fauci dem Bürger nahe legte, sich wieder ein wenig mehr an die Hitze zu gewöhnen.

Missouri

Hermann am Missouri River. The American Rhineland. Ein Weingebiet, in der Mitte des 19. Jahrhunderts von deutschen Einwanderern erworben und aufgebaut. Wir holen an einer Bar ein Sandwich und essen in der Laube am Strassenrand. Zu uns gesellt sich Nate, ungefragt. Er trägt keine Maske und sieht die Distanzregel (6 feet) weniger eng als uns lieb ist.

Er ist mitteilungsbedürftig, es geht um die Maske. «Ich kann sie nicht tragen», sagt er. «Ich kriege Angstzustände.» Nate glaubt an Oxygen-Therapie. «Wenn du genug Sauerstoff hast, ist dein Immunsystem stark genug, dann bist du gefeit.» Nate lebt mit seiner Mutter. Sie ist alt, und er sieht ein Risiko. Aber das Asthma. Und die Angst. Es ist dafür und dawider. Wenn die Regierung eine Maskenpflicht verordnet, wird er sich daran halten.

Illinois

Corona Tour of the US
Bild: Johann Aeschlimann

Ein Sturm zwingt zur Übernachtung in Casey/Illinois, 2700 Einwohner. Hier stehen the world’s largest rocking chair und ein halbes Dutzend weitere Guinness-Book-Rekordmarken – die Hinterlassenschaft eines lokalen Geschäftsmanns. Das Hotel ist ein Herrenhaus aus besseren Zeiten, wir sind die einzigen Gäste. In der Nacht rollen endlose Güterzüge durch das Dorf, aber der Bahnhof ist längst geschlossen. Frühstück wird – Corona – nicht serviert, man holt sich im Café nebenan eine Tüte Junk und einen Kaffee. Drei alte Leute sitzen bei Rösti mit Ei. Das Gebäude ist eine ehemalige Bank. In der leeren Eingangshalle steht ein ausgestopfter Löwe.

Indiana

Nach der Grenze kommt Terre-Haute. Dort steht das Bundesgefängnis, wo sie wieder Häftlinge umbringen. Der Rest ist so flach und langweilig wie Vizepräsident Mike Pence, der hier als Gouverneur regierte. Herausragende Erinnerung ist ein lausiger Lunch. Pampiges Weissbrot mit zwei Scheiben Suppenfleisch an Schlabbersauce. Ich gab zu wenig acht und erhalte mein Roastbeef-Eingeklemmtes als open sandwich. Tipp für Reisende in Indiana: Darauf achten, dass das Sandwich nicht open kommt.

An der I-70 stehen riesige billboards: Trump Pence 2020.

Ohio

Ohio Governor Mike DeWine shrugs his shoulders in response to a reporter's question about him testing positive for COVID-19 Thursday, Aug. 6, 2020, in Bexley, Ohio. The Ohio governor's posit ...
Gouverneur Mike DeWine ist Republikaner und wirbt engagiert für das Maskentragen.Bild: keystone

Akron. Sitz des Pneuherstellers Firestone, der 1978 in Pratteln über 600 Arbeiter auf die Strasse stellte, weil der Franken stark und die Löhne zu hoch waren. Die Zentrale hatte dem Chef verboten, mit den Schweizer Behörden über einen Sozialplan zu verhandeln. Unterstützt vom Volkswirtschaftsdepartement pilgerte die basellandschaftliche Regierung nach Akron, um dort etwas zu erwirken. Das war vor der Globalisierung, als die Sozialpartnerschaft vom Staat noch ernster genommen wurde. Heute reduziert sich der politische Widerstand auf den Schattenkampf gegen «die EU». Der Rest ist Fügung ins scheinbar Unvermeidliche. It is what it is.

Das Radio überträgt die Pressekonferenz von Gouverneur Mike DeWine. Er verhängt eine allgemeine Maskenpflicht «überall in Innenräumen, wo es nicht möglich ist, 6 Fuss Abstand zu halten». Also in Ladengeschäften, Restaurants, Arbeitsplätzen. Ausnahmen sind Sport, Polizei, Priester im Gottesdienst und medizinische Sonderfälle wie Nate in Hermann. «Maske tragen macht einen Unterschied», sagt DeWine. «Es entscheidet, wie unser Herbst aussieht. Wir wollen, dass die Kinder zur Schule gehen können, und wir wollen Sport sehen. Um dies zu ermöglichen ist es sehr wichtig, dass alle Ohioans Maske tragen.» DeWine appelliert an den Bürgersinn. Please help. Mike DeWine ist Republikaner. Ein Trumpist der etwas anderen Sorte.

Am Frühstücksfernsehen hatte der Direktor des Center for Disease Control ebenfalls das Maskentragen empfohlen. Ist er für ein Obligatorium? Der Mann weiss, dass er das nicht sagen darf, weil er sonst die Wut des Caudillo im Weissen Haus spüren und eventuell den Job verlieren wird. «Wichtiger ist es, die Bürger zu überzeugen», sagt er. «Das ist eine Sache des guten Beispiels.» Trump trägt keine Maske.

Lake Ontario

Ab Cleveland auf dem Parkway entlang von Erie- und Ontariosee. In Buffalo erspähe ich ein Plakat «Biden». Das einzige auf der ganzen Reise. Trump-Plakate gab es etliche, immer wieder. Das ist bedeutsam, weil solche Plakate individuelle Sympathiesignale einzelner Bürger sind. Für orchestrierte Aktionen ist es viel zu früh. Trump ist stärker als die Qualitätspresse es darstellt. In Kansas City hatte einer aus Verzweiflung ob der schitteren Kandidatenauswahl eine Variante in den Rasen gestellt: Any functioning adult 2020.

Niagara Falls, dann über Nacht in Oswego. Eine literarische Erinnerung aus der Bubenzeit. Lederstrumpf. Chingachgook. Der edle Uncas. Natty Bumppo. Gab es nicht eine Gruppe englischer Damen, die durch die Wildnis von Oswego kamen oder dorthin wollten? Man könnte wahrscheinlich das alte Fort besichtigen, aber wir sind keine Bildungstouristen. Wir wollen Wein – entlang der Seeufer wird schliesslich Wein angebaut. Ich will den lokalen Weissen probieren.

Do you have something dry?
Huh?

Die Kellnerin glotzt mich verständnislos an. Wie kann etwas Flüssiges trocken sein? Sie holt eine Kollegin. Die weiss auch nicht weiter. B bestellt Scotch. Ich nehme den Riesling.

B hatte recht.

Die grossen Strände meiden wir. Wir sind Risikogruppe, doppelt und dreifach. Aber im kleinen Mexico Point State Park am Ontariosee gehen wir schwimmen. Zwei lifeguards in roten Bikinis mustern uns.

Corona Tour of the US
Im Staat New York wird die Windenergie ausgebaut.Bild: Johann Aeschlimann

Ist das Wasser hier sauber?
Es hat tote Fische. Heute morgen wurde ein ganz Grosser angeschwemmt, wir haben ihn dort hinten deponiert.
Aber man darf schwimmen?
Ja, wenn die toten Fische Sie nicht stören.

Das Wasser ist nicht sehr klar, aber die Luft ist heiss. Tote Fische hat es keine. Sobald wir über die vielleicht 20 Meter entfernte Boje hinaus schwimmen, ruft ein roter Bikini «Stop, nur bis zur Markierung». Am westlichen Ufer dampft ein Atomkraftwerk. Weiter landeinwärts, in Lowville, sehen wir eine Windanlage fast so gross wie in Deutschland.

New York holt auf.

Das Fernsehen zeigt die Beerdigung des Abgeordneten John Lewis aus Georgia, ein Weggefährte von Martin Luther King. Obama spricht. Clinton spricht. George W. Bush spricht. «John und ich hatten unsere Meinungsverschiedenheiten», sagt er. «Aber im Amerika, für das John Lewis kämpfte, und im Amerika, an welches ich glaube, sind Meinungsverschiedenheiten unvermeidlich und der Beweis einer lebendigen Demokratie.»

Jaquenette Ferguson from Oxon Hill, Md., gestures as she gets her picture taken beside a portrait of the late Rep. John Lewis, D-Ga., near the East Front Steps of the U.S. the Capitol, Tuesday, July 2 ...
An der Beerdigung von John Lewis nahmen drei Ex-Präsidenten teil. Donald Trump kam nicht.Bild: keystone

John Lewis war Demokrat und Gegner des Republikaners Bush. Er hatte sich geweigert, an Bushs Amtseinsetzung 2001 teilzunehmen. Einige Tage später wird Trump gefragt, was er vom Bürgerrechtshelden John Lewis halte: «Er kam nicht zu meiner Amtseinsetzung.»

Lake George

Der Thunersee ohne Schneeberge, mit weniger Häusern und weniger Verkehr. Strikt genommen müssten wir hier erneut 14 Tage Quarantäne absitzen. Kansas hat mittlerweile so viele Corona-Ansteckungen, dass es in die Kategorie «rot» fällt, für welche der Gliedstaat New York Quarantänepflicht erlässt. Wir haben aber unser Häuschen am See nur für eine Woche gemietet und lassen fünf gerade sein.

Die Nachbarn sind aus Chicago. Sie sind in einem Stück hierher gefahren, 13 Stunden im grossen Van. «Wir werden viel Familie zu Besuch haben», kündigen sie an. Das stimmt. Cousin M, contractor im Baugewerbe aus New Jersey, führt das grosse Wort. Es geht um das Impfen, die Debatte über eine Corona-Impfpflicht, wenn dereinst ein Impfstoff erhältlich ist. B will den schönen Obama-Witz über den amerikanischen Überwachungswahn anbringen, aber das Stichwort ist falsch gewählt. Don’t get me going about Obama, Trump must be reelected, kräht M. Because of the money. M sagt, die Wirtschaft sei mit Präsident Trump aufgeblüht. Jetzt sei es anders, wegen Corona. Da sei nichts zu machen, aber es werde vorbeigehen. It is what it is.

Der Witz geht unter, aber das Coronagespräch läuft weiter. M ist gegen Impfpflicht. Er glaubt, dass der Staat bei der Impfung jedem Amerikaner einen Chip einsetzen will, ähnlich wie die Schweizer es bei den Hunden machen. With the vaccine they will put that little chip into all Americans so that they can know what we all do. M glaubt, dass Obama und Bill Gates hinter der Pandemie stecken. Gates habe ein Patent auf dem Coronavirus. He invented it. Und Obama habe das Labor in Wuhan finanziert, von dem das Virus ausging. Sechs Milliarden Dollar hätten die USA den Chinesen bezahlt. Believe me. Nachbar J aus Chicago ist skeptisch.

Woher weisst Du das?
Ich lese. Public knowledge. Im Internet.
Wie verifizierst Du das?
Google it. I am a theory man. It is what it is.

Ein kurzer Abstecher zu Google zeigt, dass M recht hat, aber nur ein wenig. Die USA haben das Labor in Wuhan tatsächlich bezuschusst, um Viren zu erforschen. Aber nicht mit 6 Millliarden, sondern mit 3,7 Millionen Dollar, zahlbar über mehrere Jahre. Die Finanzierung lief über eine private Stiftung. Der Vertrag wurde 2015, in Obamas zweitletztem Amtsjahr, abgeschlossen. Das meiste Geld wurde von der Trump-Regierung ausbezahlt.

Lake George Upstate New York
Der Lake George in Upstate New York.Bild: shutterstock

M erzählt, er habe Covid gehabt. Schlimm. I was down for two weeks. Allein im Keller ausgeharrt, um die Familie zu schützen.

Warst du im Spital?
Die hätten mich an ein Beatmungsgerät angeschlossen, das hätte mich umgebracht.
Was hast du unternommen?
Ich kenne einen Arzt, der mir ganz starke Antibiotika verschrieb. Das nützt nicht gegen das Virus, aber gegen alles andere.

M und J gingen fischen und kamen mit bass heim. Ein Fünfpfünder und ein etwas kleinerer. Sie lassen uns kosten. Am letzten Abend laden sie uns zu einer Rundfahrt auf ihrem Boot ein. Herzensgute Leute.

K war hier. Er spielt Bratsche bei den New Yorker Philharmonikern und ist arbeitslos. Das Orchester werde nicht nur diese, sondern auch die Saison 2021 an den Nagel hängen, sagt er. «Wir müssen 1000 Sitze besetzen, um Geld zu verdienen. Die Corona-Vorschriften erlauben nur 350.» Die Philharmoniker erhalten 75 Prozent ihrer Saläre und K rechnet mit weiteren Kürzungen. Das ist immer noch besser als bei der Metropolitan Opera. Die haben ihr Orchester Knall auf Fall entlassen, mit Kündigungsfrist von 14 Tagen. Das sei gemäss Gesamtarbeitsvertrag erlaubt, sagt K, aber neben der Met hätten nur die Orchester in Indianapolis und Nashville so drastisch reagiert. Die anderen versuchen durchzuseuchen. Die Lohnkürzungen sind jedoch empfindlich. «Ein Musiker, dessen Partnerin ebenfalls Künstlerin ist, muss unten durch, trotz den guten Salären.»

New York City

Zurück in der Stadt. Ein paar Restaurants an der 9th Avenue haben Tische und Bänke auf die Strasse gestellt. Im Innern darf weiterhin kein Essen serviert werden.

Besuch im Apple Store an der 5th Avenue. Ich habe einen Termin und will hinein. Am Eingang weisen zwei Uniformierte zu einem jungen Mann am anderen Ende des Platzes. Der junge Mann verweist an eine junge Frau an einer Absperrung. Sie kontrolliert die Anmeldung und geht zu einer anderen jungen Frau. Kommt zurück und verweist auf einen anderen jungen Mann. Der misst das Fieber und verweist auf das Ende der Absperrung. Dort steht niemand. Ich gehe unten durch. Ein weiterer junger Mann trennt sich kurz vom Mobiltelefon, um mich zu ermahnen, dass ich das nicht «könne». Dann weist er mich zu den Türstehern, und ich darf den Laden betreten. Er ist praktisch leer.

Corona Tour of the US
Bild: Johann Aeschlimann

Tags darauf nochmals iPhone, ein kleiner Reparaturladen an der 5th Avenue. Es ist keine Anmeldung nötig, aber man trägt Maske. Der Eigentümer ist ein Mann aus dem Nahen Osten. Er lebt in Long Island und fährt mit dem Zug in die Stadt zur Arbeit.

Sind Sie auch während der schlimmen Corona-Zeiten im März und April mit dem Zug zur Arbeit gekommen?
Bis Mai ja. Ich hatte einen Laden weiter uptown. Im Mai wurde er in den riots zerstört.
Was denken Sie über die Proteste und die Ausschreitungen?
A waste of time. Nur ein Vorwand für die Diebe. Das hat der Sache nur geschadet.
Wurde etwas gestohlen?
Waren im Wert von 30’000 Dollar.
Hatten Sie eine Versicherung? Hat sie etwas bezahlt?
5000 Dollar.

Schweiz

Nochmals Quarantäne, die vierte. Im Swiss-Flug ist ein Corona-Formular auszufüllen. Fieber wird hier nicht gemessen, aber nach der Einreise muss man sich beim Kanton Bern melden. Der Kanton Bern schickt Mails. Eine Excel-Tabelle, auf der täglich zwei Körpertemperaturen einzutragen wären. Die präzise Frist («bis und mit am 16.08.2020 um 23:59 Uhr»). Der Kanton Bern will sich melden, «in den nächsten Tagen telefonisch».

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Coronavirus in den USA
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Coronavirus in den USA
Die Coronakrise hat die USA voll erwischt und die Schwachstellen des vermeintlich mächtigsten Landes der Welt schonungslos aufgedeckt.
quelle: epa / eugene garcia
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18 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Wörtschesterscheir
30.08.2020 15:41registriert Oktober 2018
Sehr geehrter Leser, Sie sind am Ende von Amerika angelangt.
30012
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Nelson Muntz
30.08.2020 15:40registriert Juli 2017
«It is what it is» – eine Reise durch die USA in Zeiten von Corona
2314
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Hierundjetzt
30.08.2020 16:14registriert Mai 2015
Ein schöner, lebensnaher Text. Merci! Die USA sind halt schon extrem gross, kann man sich als Europäer nur bedingt vorstellen.
22714
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