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Corona in Grossbritannien: Das doppelte Dilemma des Boris Johnson

Britain's Prime Minister Boris Johnson speaks at a press conference in London's Downing Street, Wednesday Dec. 8, 2021, after ministers met to consider imposing new restrictions in response  ...
Steht gleich doppelt unter Druck: der britische Premier Boris Johnson.Bild: keystone

Das doppelte Dilemma des Boris Johnson

In Grossbritannien verbreitet sich die Omikron-Variante des Coronavirus. Nach dem «Freedom Day» im Juli gibt es jetzt wieder Beschränkungen. Der Premier gerät gleich doppelt unter Druck – auch durch die eigene Partei.
12.12.2021, 14:56
Nils Kögler / t-online
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Sie dachten, sie hätten es geschafft: Im Juli feierten die Briten den «Freedom Day», alle Corona-Massnahmen wurden aufgehoben. Dank der Impfungen schien die Pandemie besiegt. Die Freude war gross.

Fünf Monate später führt die Regierung von Premier Boris Johnson wieder Beschränkungen ein und trifft dabei auf erheblichen Widerstand – sogar aus der eigenen Partei. Zudem droht ein Skandal um eine Weihnachtsparty das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung massiv zu erschüttern. Was ist passiert?

Welchen Schaden dieses Bild für Johnsons Karriere bedeutet, ist abzuwarten: Der britische Premier an der Weihnachtsfeier am 15. Dezember 2020 in den Räumlichkeiten der 10 Downing Street.
Welchen Schaden dieses Bild für Johnsons Karriere bedeutet, ist abzuwarten: Der britische Premier an der Weihnachtsfeier am 15. Dezember 2020 in den Räumlichkeiten der 10 Downing Street.Bild: mirror.co.uk / screenshot

Zur Wahrheit gehört zunächst: Die Pandemie war auch im Vereinigten Königreich nie besiegt. Die Zahl der Infektionen ist seit Juli ungebrochen hoch. Die Sieben-Tage-Inzidenz fiel seitdem nie auf einen Wert unter 200 und liegt aktuell sogar nur knapp unter 500. Schuld daran ist offenbar auch, dass sich die Omikron-Variante rasant im Land verbreitet.

«Plan B» im Kampf gegen Omikron

«Es ist zunehmend klar geworden, dass Omikron sich sehr viel schneller ausbreitet als die Delta-Variante », erklärte Johnson am Mittwoch auf einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz. Dort verkündete der Regierungschef die Aktivierung des sogenannten «Plan B». Der Plan sieht die Aufforderung zum Arbeiten von zu Hause aus vor.

Zudem soll eine Maskenpflicht für Theater und andere Innenräume sowie die Pflicht zum Vorlegen eines Immunitätsnachweises oder eines negativen Testergebnisses, eines sogenannten «Covid-Pass», beim Einlass zu Grossveranstaltungen und Nachtclubs eingeführt werden. Die Regelungen sollen im Laufe der nächsten sieben Tage schrittweise in Kraft treten.

Britain's Prime Minister Boris Johnson speaks at a press conference in London's Downing Street, Wednesday Dec. 8, 2021, after ministers met to consider imposing new restrictions in response  ...
Steht unter Druck: der britische Premier Boris Johnson.Bild: keystone

Gegen die Einführung des «Plan B» hatte sich Johnson lange gesträubt und zunächst nur weichere Massnahmen wie die Maskenpflicht in Läden und öffentlichen Verkehrsmitteln sowie schärfere Einreisebeschränkungen eingeführt. Noch am Dienstag, einen Tag vor Johnsons Pressekonferenz, hatte Justizminister Dominic Raab schärfere Corona-Massnahmen abgelehnt. Als Grund nannte er das erfolgreiche Impfprogramm. Johnson kündigte vergangene Woche an, dass jeder Erwachsene bis Ende Januar eine Booster-Impfung erhalten solle. Dafür sollten «provisorische Impfzentren wie Weihnachtsbäume aus dem Boden schiessen», versprach der Premier.

Doch wirklich Fahrt aufnehmen will die neue grosse Impfkampagne nicht. So bezeichnete die Altenpflege-Organisation Age UK das Programm kürzlich als «Chaos». Die Direktorin der Organisation, Caroline Abrahams, kritisierte gegenüber dem «Guardian», dass ein Fünftel der Pflegeheimbewohner noch keine Auffrischungsimpfung erhalten habe. Die Zahl der verabreichten Impfdosen war über das vergangene Wochenende im Landesteil England sogar geringer als eine Woche zuvor. 

Omikron bald «die dominante Variante»

Nun folgt also der Kurswechsel. Angesichts der Zahlen erscheinen die Massnahmen nur logisch: 568 Omikron-Fälle im Land sind nach Johnsons Angaben bereits per Genom-Sequenzierung bestätigt worden. Die wahre Zahl liege aber wohl viel höher. Der Epidemiologe Tim Spector vom King's College in London bestätigt Johnsons Befürchtungen. Er geht von einer rasanten Ausbreitung der Omikron-Variante aus. Realistisch sei anzunehmen, dass es schon jetzt 1'000 bis 2'000 Fälle im Land gebe, sagte er dem Fernsehsender BBC. «Wir rechnen damit, dass sich das ungefähr alle zwei Tage verdoppelt im Moment», so Spector. Das werde innerhalb von nur zehn Tagen zu ziemlich hohen Zahlen führen. 

Der Genetiker Jeffrey Barrett sagte BBC Radio: «Ich denke, wir können jetzt sagen, dass die Variante sich im Vereinigten Königreich schneller ausbreitet als die Delta-Variante und das war bis vor sehr kurzer Zeit nicht klar». Er fügte hinzu: «Ich bin ziemlich sicher, dass sie wahrscheinlich innerhalb von Wochen dominant werden wird.» 

Gegenwind aus der eigenen Partei

Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache, doch die Einführung der Massnahmen setzt Johnson gleich doppelt unter Druck. Ausgerechnet aus seiner eigenen konservativen Partei gibt es Gegenwind. Ein Teil der Tories ist mit erneuten Einschränkungen ganz und gar nicht einverstanden. Der Parlamentsabgeordnete Marcus Fysh bezeichnete die Pläne zur Einführung des «Covid-Pass» als eine «totale Schande». Bei BBC Radio kündigte er an, im Parlament gegen die neuen Massnahmen zu stimmen, da sie eine «massive Attacke» auf die persönliche Freiheit bedeuten. Als Gesundheitsminister Sajid Javid die Aktivierung des «Plan B» im Parlament verkündete, hatte er gar mit Zwischenrufen aus der eigenen Fraktion zu kämpfen. 

Einige Abgeordnete sehen hinter Johnsons Kurswechsel keine angemessene Reaktion auf Omikron, sondern ein abgekartetes Spiel. Sie glauben nämlich, dass das Ergreifen der Massnahmen nur von einem Skandal ablenken soll, der Johnson momentan in die Bredouille bringt.

«Partygate» droht Glaubwürdigkeit zu zerstören

Beim sogenannten «Partygate» geht es um den Vorwurf, dass im Regierungssitz des Premierministers, der Downing Street No.10, im Dezember vorigen Jahres Weihnachtsfeiern stattgefunden haben sollen, während die zweite Corona-Welle über das Land rollte und strenge Kontaktbeschränkungen in Kraft waren.

Begonnen hatte der Skandal, als ein Video der damaligen Pressesprecherin Johnsons öffentlich wurde, in dem sie mit Kollegen darüber scherzte, wie eine solche Party zu rechtfertigen wäre. Johnson entschuldigte sich zwar im Parlament für das Video, stritt jedoch ab, dass es zu einem Regelbruch gekommen sei. Dennoch leitete er eine interne Untersuchung ein.

Der Skandal beschädigt die Glaubwürdigkeit der Regierung im Kampf gegen die Pandemie. Experten zeigen sich besorgt, dass die Bevölkerung sich inmitten der steigenden Omikron-Gefahr nicht mehr an die Massnahmen der Regierung halten könnte. Stephen Reicher, Professor für Psychologie an der Universität St. Andrews, sagte dem «Guardian», es brauche eine Regierung, die die Bevölkerung führe. «Eine Regierung, die wir als unehrlich und als Lügner ansehen, ist nicht die Regierung, die wir gerade brauchen», so Reicher.

Rücktritt gefordert

Einige Politiker der oppositionellen «Labour»-Partei fordern gar den Rücktritt Johnsons, sollte sich herausstellen, dass der Regierungschef bezüglich der Weihnachtsfeiern gelogen hat. 

Eine Partei, die ihm bei der Bekämpfung der Omikron-Variante nicht geschlossen folgen will, und ein Skandal, der das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung endgültig zerstören könnte – Johnson steht vor einem doppelten Dilemma. Ob er diesen politischen Sturm einfach aussitzen kann, wie er es in der Vergangenheit schon häufiger gemacht hat, muss sich zeigen.

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11 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Amadeus
12.12.2021 15:23registriert September 2015
Boris Johnson hält versprechen nicht ein und befolgt seine eigenen Regeln nicht. Wäre hätte das gedacht.
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Phrosch
12.12.2021 16:37registriert Dezember 2015
Sein grösstes Dilemma ist er selbs. 🤷‍♂️
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