Martin Schulz will den Parteivorsitz an Fraktionschefin Andrea Nahles abgeben und Aussenminister unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) werden. Wichtigster SPD-Mann im Kabinett soll Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz als Vizekanzler und Finanzminister werden. Der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer soll ein neu zugeschnittenes Superministerium für Inneres, Heimat und Bau bekommen.
Das ist das Ergebnis eines dramatischen Finales der 13-tägigen Koalitionsverhandlungen, das am Mittwochmorgen erst nach 24 Stunden endete. «Es hat sich gelohnt», sagte Merkel anschliessend, die nun zum vierten Mal zur Kanzlerin gewählt werden könnte.
Sicher ist aber noch nichts: Die rund 463'000 SPD-Mitglieder haben das letzte Wort über den Koalitionsvertrag. Das Ergebnis der Befragung soll am 4. März bekanntgegeben werden. Die SPD-Mitglieder können bis zum 2. März um 24.00 Uhr ihre Stimme abgeben. Bis zum 20. Februar sollen die Wahlunterlagen versandt sein.
Bei einem Ja kann das neue Kabinett wenige Tage später im Parlament vereidigt werden, womit die mit Abstand längste Regierungsbildung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland nach fast einem halben Jahr vollbracht wäre.
Neben den letzten inhaltlichen Knackpunkten wurde in der Schlussrunde auch schon die Postenverteilung weitgehend geklärt. Die SPD, die bei der Bundestagswahl nur 20.5 Prozent der Stimmen erhalten hatte, schnitt dabei überraschend gut ab.
Sie soll sechs Ministerien bekommen, darunter die prestigeträchtigen Ressorts Aussen, Finanzen und Arbeit. Hinzu kommen das Familien-, das Justiz- und das Umweltministerium.
Schulz sagte in einer Pressekonferenz mit Merkel und Seehofer, der Koalitionsvertrag trage «in einem grossen Masse sozialdemokratische Handschrift». Zu seinen Rückzugsplänen äusserte er sich zunächst nicht öffentlich.
Schulz will nach Angaben aus Parteikreisen nicht nur auf den Parteivorsitz, sondern auch auf den Posten des Vizekanzlers verzichten. Er war erst vor elf Monaten mit dem Rekordergebnis von 100 Prozent an die Spitze der Sozialdemokraten gewählt und im Dezember im Amt bestätigt worden.
Seit der verlorenen Bundestagswahl gab es aber massiven Unmut in der Partei über seine Amtsführung. Sein Eintritt ins Kabinett ist innerparteilich umstritten, weil Schulz einen solchen Schritt nach der Wahl zunächst kategorisch ausgeschlossen hatte.
GroKo-Gegner werfen ihm deswegen mangelnde Glaubwürdigkeit vor. Das Aufgeben des Parteivorsitzes könnte mit Blick auf den Mitgliederentscheid auch ein Zugeständnis an die Kritiker sein.
Schulz will den Parteivorsitz an Fraktionschefin Andrea Nahles übergeben. Er kündigte am Mittwoch in einer Vorstandssitzung der Sozialdemokraten seinen Rücktritt nach Ende des Mitgliedervotums zur Bildung einer neuen deutschen Regierung mit der CDU und der CSU am 2. März an. Nahles wäre die erste Parteivorsitzende in der mehr als 150-jährigen SPD-Geschichte.
Die personelle Neuaufstellung hat vor allem einen Leidtragenden: den bisherigen Vizekanzler und Aussenminister Sigmar Gabriel. Der langjährige frühere Parteichef wird dem neuen Kabinett möglicherweise gar nicht mehr angehören und wäre dann nur noch Hinterbänkler im Bundestag ohne einen Führungsposten – und das, obwohl er in allen Ranglisten der beliebtesten deutschen Politiker ganz oben dabei ist.
Die CDU kommt bei der Postenverteilung relativ schlecht weg. Die Partei verliert mit dem Innen- und dem Finanzressort zwei der wichtigsten Ministerien. Der bisherige Innenminister Thomas de Maizière zieht sich ganz aus der Bundesregierung zurück.
Merkel räumte ein, dass der Verzicht auf diese beiden Ressorts vielen schwer falle. «Dass die Frage, wer bekommt welches Ressort, eine nicht ganz einfache war, das will ich gerne hier verraten», sagte die Kanzlerin. Es bleiben der CDU Wirtschaft, Gesundheit, Verteidigung, Bildung und Landwirtschaft.
Die CSU übernimmt neben dem Innenministerium Verkehr und Entwicklungshilfe. Parteichef Seehofer zeigte sich zufrieden. «Passt scho», kommentierte er das Ergebnis auf Bayerisch. Ob der wichtigste Posten des Kanzleramtschefs, der die Regierungsarbeit koordiniert, an CSU oder CDU geht, blieb zunächst noch offen.
Das Bündnis aus Union und SPD wäre das vierte dieser Art in der bundesdeutschen Geschichte und die dritte grosse Koalition unter Merkel. Der 177-seitige Koalitionsvertrag trägt den Titel «Ein neuer Aufbruch für Europa. Eine neue Dynamik für Deutschland. Ein neuer Zusammenhalt für unser Land».
Der Wortführer der Groko-Gegner in der SPD, Juso-Chef Kevin Kühnert, kritisierte das Zustandekommen der Einigung auf Twitter: «NoGroko bedeutet auch die Absage an den politischen Stil, der heute aufgeführt wird», schrieb er. Die Jusos starten am Freitag ihre Nein-Kampagne zum Mitgliederentscheid, die Parteiführung will erst ab nächster Woche für den Koalitionsvertrag werben. (sda/dpa)