Am Wochenende veröffentlichte die Hilfsorganisation Plan International Deutschland eine Befragung, die für viel Wirbel sorgte: Jeder dritte Mann im Alter von 18 bis 35 Jahren finde es «akzeptabel», gegenüber Frauen gelegentlich gewalttätig zu werden, so eine der Hauptaussagen. Doch nun melden sich immer mehr Menschen zu Wort, die die Studie «Spannungsfeld Männlichkeit – so ticken junge Männer zwischen 18 und 35 Jahren in Deutschland» kritisieren.
Vonseiten der Studienautorinnen und -autoren heisst es wörtlich: «Wir wollten herausfinden, was junge Männer und Frauen in Deutschland unter ‹Männlichkeit› verstehen, wie sie diese wahrnehmen und wie sie damit umgehen.» Doch ist das wirklich gelungen?
Die Umfrage fand vom 9. bis 21. März als standardisierte schriftliche Online-Befragung statt – also mittels eines Fragebogens, den die Teilnehmer online ausgefüllt haben. Befragt wurden 1'000 Männer und 1'000 Frauen zu verschiedenen Aspekten. Darunter auch zum Thema Gewaltanwendung – das nun besonders im Fokus steht.
Den Auftrag für die Umfrage von Plan bekam das Marktforschungsinstitut Moweb, das regelmässig Umfragen unter Nutzern macht, die bei Moweb registriert sind – und für die Teilnahme eine finanzielle Vergütung erhalten. Das ist wichtig zu erwähnen, denn andere Meinungsforschungsinstitute wie zum Beispiel die Forschungsgruppe Wahlen, Allensbach oder Civey, mit dem auch t-online zusammenarbeitet, bezahlen Umfrageteilnehmern nichts. Die Koordination der Umfrage und die anschliessende Analyse der Daten übernahm das Marktforschungsinstitut transpekte.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer für die Umfragestichprobe wählte Moweb nach Quotenvorgaben aus: Pro Geschlecht wurde in drei Altersgruppen eingeteilt (18 bis 24, 25 bis 29 und 30 bis 35 Jahre), ausserdem wurden die Teilnehmenden nach Bildungsgrad (ohne bis mittlerer Abschluss, hier verstanden als Hochschulreife und abgeschlossenes Studium) unterschieden.
Regional gab es vier Gebiete (Nord, Ost, Süd, West). Die Idee dahinter: Die Quotenvorgaben sollen auf amtlichen Statistiken basieren, genannt werden sie im Bericht von Plan nicht.
Die Stichprobe soll nach Angaben von Plan die Gesamtbevölkerung in der Altersklasse 18–35 so «mit hoher Wahrscheinlichkeit» abbilden – zumindest in den drei abgefragten Merkmalen. Jedoch fehlen im Bericht von Plan mehrere statistische Kennwerte, die auf die Qualität der Ergebnisse schliessen lassen. Auf Anfrage teilte Plan mit, diese Werte seien gar nicht ermittelt worden.
Zudem stehen nicht hinter jedem Ergebnis der Studie auch tatsächlich 1'000 (bei den geschlechtspezifischen Fragen) oder 2'000 Menschen (bei den geschlechterunspezifischen Fragen). Insgesamt 104 Fragebögen seien fehlerhaft ausgefüllt gewesen, gibt Plan an. Daher flossen ohnehin nur die Angaben von 949 Frauen und 947 Männern in das Ergebnis ein.
Ausserdem sei weiterhin differenziert worden: Auch die Geschlechtsauswahl «divers» sei möglich gewesen – auf Anfrage gibt Plan an, sie hätten den Fragebogen der Frauen erhalten. 13 Personen hätten entsprechende Angaben gemacht. Hinzu kommt: Bei denjenigen, die «männlich» auswählten, sei zudem weiter unterschieden worden zwischen hetero- und homosexuellen Männern. Nur Heterosexuelle hätten Fragen zu ihrem Verhältnis zu Frauen in der Partnerschaft erhalten, Homosexuelle entsprechende Fragen zu männlichen Partnern. 91 Prozent der Männer hätten angegeben, heterosexuell zu sein, so eine Plan-Sprecherin.
Wie viele Männer die Fragen zum Beispiel zu Gewalt gegen Frauen somit tatsächlich erhalten haben, gibt Plan in dem Bericht nicht an. Ebenso wenig lässt sich erkennen, ob die Gruppe der heterosexuellen Männer noch immer repräsentativ ist. Es gebe dazu keine amtlichen Informationen, dementsprechend habe man keine Vorgaben machen können, um die Repräsentativität sicherzustellen, so Plan auf Anfrage.
Unklar bleibt in dem Bericht auch, wie mit Männern umgegangen wurde, die sich weder als hetero- noch als homosexuell identifizieren. Auf Nachfrage sagte eine Plan-Sprecherin, 13 Männer ohne sexuelles Interesse seien im Vorfeld aussortiert und nicht ausgewertet worden. Wie mit Männern verfahren wurde, die sich zum Beispiel als bi- oder pansexuell identifizieren, teilte sie nicht mit.
Ausgewählte Ergebnisse, wie Plan sie formuliert, lauten beispielsweise:
Ein Problem bei der Umfrage: Aus dem veröffentlichten Studiendesign kann darauf geschlossen werden, dass als «Männer» und «Befragte» nur die heterosexuellen, männlichen Teilnehmer zu verstehen sind. Das wird so allerdings nicht angegeben.
Aufgrund der Zweifel an der Repräsentativität dieser Gruppe steht somit auch die Möglichkeit, die Ergebnisse zu verallgemeinern, infrage.
Auch ist in einigen Fällen unklar, wie genau diese Ergebnisse abgeleitet werden. Plan erklärt auf Nachfrage, die Befragten seien gebeten worden, Aussagen auf einer Skala zu bewerten. Diese habe die Auswahlmöglichkeiten «trifft auf mich überhaupt nicht zu», «trifft auf mich eher nicht zu», «trifft auf mich eher zu» und «trifft auf mich voll und ganz zu» umfasst.
Eine solche Aussage lautet demnach zum Beispiel:
«Wenn eine Frau sich aufreizend verhält, muss sie sich nicht wundern, wenn ein Mann dies als Aufforderung versteht.»
Plan gibt dazu den Wert 50 Prozent an. Für das Ergebnis seien die Prozentwerte der Antwortoptionen «trifft auf mich eher zu» und «trifft auf mich voll und ganz zu» zusammengezählt worden, so eine Sprecherin auf Anfrage.
Zudem ist zweifelhaft, ob die Teilnehmenden in diesem Fall die Aussage aus dem Fragebogen tatsächlich so verstanden haben wie von Plan interpretiert – zwischen «die Frau muss sich nicht wundern, wenn es als Aufforderung verstanden wird» und «es darf als Aufforderung verstanden werden» gibt es einen Unterschied. Plan erklärte auf Nachfrage, man gehe davon aus, dass die Männer die Aussage der letzteren Interpretation entsprechend aufgefasst haben. Beweisen könne man das jedoch nicht.
Für die nun besonders im Fokus stehenden Ergebnisse zu Gewalt gegen Frauen lauteten die Aussagen aus dem Fragebogen jedoch sehr ähnlich zu den daraus abgeleiteten Resultaten:
Eine Sprecherin der Organisation sagte auf Anfrage, die Umfrage sei mit einem seriösen Marktforscher erstellt worden. Die Ergebnisse seien repräsentativ. «Auch wir waren von den Ergebnissen überrascht – vor allem von denen zum Thema Gewalt.» Man habe sich mit verschiedenen Institutionen ausgetauscht, um sie einzuordnen.
«Wir glauben, dass wir in Deutschland unter jungen Männern ein Thema mit stereotypen Rollenbildern haben – nicht nur zu Gewalt – und würden uns wünschen, wenn unsere Umfrage zum Anlass genommen würde, darüber in den gesellschaftlichen Diskurs zu gehen», so die Plan-Sprecherin.
Unberührt von der Kritik an der Studie bleibt: Gewalt gegen Frauen ist noch immer ein grosses Problem. 2014 kam eine Untersuchung der Europäischen Grundrechteagentur zu dem Ergebnis, dass rund 35 Prozent der Frauen mindestens einmal in ihrem Leben von physischer und/oder sexueller Gewalt betroffen sind.
Nach neuesten Zahlen der polizeilichen Kriminalstatistik gab es 2021 rund 140'000 Fällen von Partnerschaftsgewalt in Deutschland. 80 Prozent der Opfer waren weiblich, knapp 79 Prozent der Täter männlich.
(t-online, sje)
Oder will man das bewusst nicht?
Die Umfrage zu zerreissen mag ok und ggf richtig sein. Schön wäre aber, wenn wir nach dem Lesen auch in der Sache schlauer wären.
Ziehen wir also grosszügig 10% von den 33% ab. Macht immer noch grosso modo 30% Männer, die gelegentliche physische Gewalt innerhalb der Beziehung akzeptabel finden und/oder auch bereits ausgeübt haben.
Inwiefern soll das jetzt am Kern der Problematik was ändern? Also ich fühle mich damit weder sicherer noch zuversichtlicher für die Zukunft.