Es ist nichts Neues, dass man Wörter nicht eins zu eins in alle Sprachen übersetzen kann. Heikel wird's aber, wenn es um Gesetze geht und Übersetzungen unterschiedlich verstanden werden. Das ist derzeit der Fall beim «Totschlag».
Dazu die kurzen Basics: Im Schweizer Strafrecht ist Töten nicht gleich Töten. Je nachdem, welche Motive oder Situation geherrscht hat, spricht man von Mord, Totschlag oder vorsätzlicher Tötung. Die Unterscheidung ist nicht immer ganz einfach: Der Totschlag ist ein Zwischending. Es sagt aus, dass jemand bewusst töten wollte, aber keine skrupellosen Motive hatte. Etwa dann, wenn es im Affekt oder «unter grosser seelischer Belastung» passiert.
Die deutschsprachige Boulevardpresse beschönigt solche Fälle regelmässig als «Drama» und berichtet in allen Details, was für ein Streit eben zu diesem Affekt führte. In französisch- und italienischsprachigen Medien wird dies auf die Spitze getrieben: Dort wird gar von «leidenschaftlicher Tötung» gesprochen. Nur ist das in der Romandie und im Tessin keine Erfindung des Boulevards, sondern des Gesetzes.
Schaut man ins Strafgesetzbuch, wird tatsächlich «Totschlag» mit meurtre passionnel bzw. omicidio passionale übersetzt. Das stört nicht nur feministische Organisationen, sondern auch SP-Ständerätin Marina Carobbio Guscetti. «Es wird dann gesagt, dass es ‹kranke Liebe› war. Oder dass die Frau ihn betrogen hatte und er aus diesem Grund – getrieben durch blinde Leidenschaft – seine Partnerin tötete», sagt die Tessinerin.
Ihre Kritik an der Übersetzung: «Das rechtfertigt die Tat und legt die Last auf das Opfer.» Carobbio Guscetti wollte mit einem Vorstoss das Wort «Leidenschaft» aus der italienischen und der französischen Version durch einen «neutraleren» Ausdruck ersetzen. Vorschläge, die im Lichte der Femizid-Debatte aufgekommen sind, machte sie nicht. Der Bundesrat hätte freie Hand gehabt, einen passenderen Ausdruck zu finden.
Im Ständerat fand ihr Vorstoss nicht die erforderliche Unterstützung. Die kleine Kammer lehnte ihre Motion mit 20:24 Stimmen ab, zur Enttäuschung von Carobbio Guscetti. Sie stellt sich auch nach der Abstimmung auf den Standpunkt, dass «Wörter zählen». «Sie sind wichtig, um Femizide und geschlechtsspezifische Gewalt zu bekämpfen. Deshalb müssen auch sprachliche Veränderungen geschehen, damit solche Taten nicht mehr in der Öffentlichkeit oder Medien mit irgendeinem Verweis auf Leidenschaft gerechtfertigt werden», sagt sie.
Für ein «Nein» machte sich auch Bundesrätin Karin Keller-Sutter stark – dies, obwohl sie selbst während der Debatte anerkannt hatte, dass die französische und die italienische Übersetzung eine «Restanz» aus dem Jahr 1908 seien. Damals sprach sogar der deutsche Text im Gesetzesentwurf vom «Täter in leidenschaftlicher Aufwallung».
Die Justizministerin würdigte die Argumente der Ständerätin Carobbio Guscetti – nannte dann aber sprachliche Probleme, die bei der Suche nach einer Alternativübersetzung aufkommen würden. So gebe es den neutraleren Ausdruck des «Affekts» im Französischen und Italienischen gar nicht – dort greife man bei état passionnel bzw. stato passionale ebenfalls auf das Wort «Leidenschaft» zurück. Die aktuelle Gesetzesübersetzung erscheine ihr somit immer noch als korrekt.
Keller-Sutter hat damit recht, obwohl es in der französischen und der italienischen Sprache durchaus die Wörter affect bzw. affeto gibt. Sie werden aber nicht in demselben Kontext verwendet, wie es die deutsche Sprache tut. «Es ist eher ein Begriff der Psychologie, der im medialen Alltag kaum im Zusammenhang mit Tötungen vorkommt», sagt der Westschweizer watson-Reporter Guillaume Chillier.
Die SP-Ständerätin plädiert jedoch auf eine solche Veränderung: So habe man das Wort «leidenschaftlich» in der deutschsprachigen Fassung gestrichen, bevor das Strafgesetzbuch im Jahr 1942 in Kraft trat. «Die Tat wurde neutral beschrieben, während sie sich im Italienischen und Französischen immer noch auf die Leidenschaft bezieht. Es ist an der Zeit, diese Definition zu ändern», sagt Carobbio Guscetti.
Aber nur wenn es sich bei den Beteiligten um „Einheimische“ handelt. Wenn so eine Tragödie bei Migranten passiert, spricht die Presse in der Regel von „Ehrenmord“