Berlin ist am Samstag fest im Griff der Corona-Skeptiker. Zehntausende Menschen ziehen mit Protestbannern durch die Strassen und fordern Freiheit. Die Polizei ist vor Ort und reagierte bisher mit unterschiedlichen Massnahmen.
Mit einem Demonstrationszug haben Tausende Menschen am Samstag in Berlin gegen die Corona-Massnahmen protestiert. Die Polizei ging «in der Spitze» von etwa 17'000 Teilnehmenden aus. Bei einer anschliessenden Kundgebung sollen laut ersten Schätzungen der Berliner Polizei rund 20'000 Personen teilgenommen haben. «Eine exorbitant höhere Zahl, die laut verschiedener Tweets durch uns genannt worden sein soll, können wir nicht bestätigen.»
Veranstalter hatten zunächst 500'000 Teilnehmer angekündigt und für die Demo 10'000 angemeldet. Am Nachmittag wurde auf der Kundgebungsbühne erst von 800'000, dann von 1,3 Millionen Menschen gesprochen.
Trotz steigender Infektionszahlen machten sich die Demonstranten für ein Ende aller Auflagen stark. Nach Polizeiangaben wurden dabei die Hygienevorgaben wie Abstand und Mund-Nasen-Schutz nicht eingehalten. Die Polizei ging dagegen mit kommunikativen Massnahmen wie Lautsprecherdurchsagen oder Einzelansprachen vor.
Menschen mit Mund-Nasen-Schutz wurde aus dem Protestzug «Masken weg» entgegengerufen. Zu grösseren Zwischenfällen kam es zunächst nicht. An mehreren Stellen wurden Protestzug und Gegendemonstranten von Polizeieinheiten abgeschirmt. Gegendemonstranten unter dem Motto «Omas gegen rechts» riefen dem Zug «Nazis raus» entgegen, der Spruch schallte als Echo zurück.
Bei den Demonstranten waren Ortsschilder und Fahnen verschiedener Bundesländer zu sehen. Ihrem Unmut über die Schutzmassnahmen gegen das Coronavirus machten die Menschen mit Trillerpfeifen und Rufen nach «Freiheit» oder «Widerstand» Luft. Auch Parolen wie «Die grösste Verschwörungstheorie ist die Corona-Pandemie» waren zu hören.
Das Motto der Demonstration lautete «Das Ende der Pandemie – Tag der Freiheit». Den Titel «Tag der Freiheit» trägt auch ein Propagandafilm der Nazi-Ikone Leni Riefenstahl über den Parteitag der NSDAP 1935. In Stuttgart hat die Initiative «Querdenken 711» bereits wiederholt demonstriert.
Unverständnis für die Demo gab es von politischer Seite. Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken schrieb auf Twitter: «Tausende #Covidioten feiern sich in #Berlin als »die zweite Welle«, ohne Abstand, ohne Maske. Sie gefährden damit nicht nur unsere Gesundheit, sie gefährden unsere Erfolge gegen die Pandemie und für die Belebung von Wirtschaft, Bildung und Gesellschaft. Unverantwortlich!» Brandenburgs CDU-Landtagsfraktionschef Jan Redmann schrieb auf Twitter: «Wieder 1000 Neuinfektionen/Tag und in Berlin wird gegen Coronaauflagen demonstriert? Diesen gefährlichen Blödsinn können wir uns nicht mehr leisten.»
Die Veranstalter haben die Demonstration gegen die Corona-Massnahmen etwa um 15:00 Uhr für beendet erklärt. Das bestätigte die Polizei am Samstagnachmittag.
Zuvor hatte die Polizei Strafanzeige gegen den Veranstalter erstattet. «Aufgrund der Nichteinhaltung der Hygieneregeln wurde eine Strafanzeige gegen den Leiter der Versammlung gefertigt», hiess es auf Twitter. Zum Zeitpunkt der Auflösung hatte der Zug sein Ziel nahe dem Brandenburger Tor bereits erreicht.
Am Anschluss an die Demonstration fand eine Kundgebung statt. Die Polizei hatte die zunächst etwa 20'000 Teilnehmer mehrfach aufgefordert, den Bereich auf der Strasse des 17. Juni zu räumen. Nach anfänglichen Bitten wies ein Polizeisprecher darauf hin, dass die Demonstranten nun Ordnungswidrigkeiten begingen. Das wurde stets von Buh- und Protestrufen begleitet.
Die Polizei hat die Veranstaltungsbühne besetzt. Mehrere Vertreter der Veranstalter wurden unter Protestrufen von Kundgebungsteilnehmern von der Bühne geholt. Als sich eine Person dagegen wehrte, gingen die Beamten mit Körpereinsatz vor.
Viele Teilnehmer wanderten dennoch ab oder verteilten sich auf den Wiesen des angrenzenden Tiergartens. Etwa 3000 versammelten sich zwischenzeitlich vor dem nahen Reichstag. Vor der Bühne der Kundgebung hielt sich zunächst noch ein harter Kern der Teilnehmer, gegen den die Polizei in kleinen Gruppen von beiden Seiten vorging. Demonstranten wurden angesprochen, aber auch abgeführt oder weggetragen. Am Abend rechnete die Polizei mit einem baldigen Ende des Einsatzes.
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier plädiert für härtere Strafen bei Verstössen gegen die Corona-Regeln. «Wer andere absichtlich gefährdet, muss damit rechnen, dass dies für ihn gravierende Folgen hat», sagte der CDU-Politiker der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. «Wir dürfen den gerade beginnenden Aufschwung nicht dadurch gefährden, dass wir einen erneuten Anstieg der Infektionen hinnehmen.»
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat das Demonstrationsrecht unterstrichen, zugleich aber harsche Kritik am Berliner Protestzug gegen staatliche Corona-Beschränkungen geäussert. «Ja, Demonstrationen müssen auch in Corona-Zeiten möglich sein. Aber nicht so», schrieb der CDU-Politiker am späten Samstagnachmittag auf Twitter. Abstand, Hygieneregeln und Alltagsmasken dienten dem Schutz aller. Die Pandemie sei nur «mit Vernunft, Ausdauer und Teamgeist» zu meistern. «Je verantwortlicher wir alle im Alltag miteinander umgehen, desto mehr Normalität ist trotz Corona möglich», betonte Spahn.
(pls/sda/dpa)
Einfache Verhaltensregeln zu beachten, ist wirklich keine Kunst. Das Coronavirus ist noch da.
Für die 17'000 wohl leider doch.