Taurus-Marschflugkörper waren für den deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz bisher ein rotes Tuch: Der grüne Koalitionspartner sieht das anders, dennoch hat die Regierung bisher keine Lieferung der Langstreckenwaffen an die Ukraine genehmigt.
Allerdings hatte Verteidigungsminister Boris Pistorius bereits im Juli die Lieferung von 4000 sogenannten Strike-Drohnen verkündet. Nun kommt heraus: Das vereinbarte Modell HX-2 Karma ähnelt in seiner Funktionsweise dem Taurus und wird in der Branche offenbar bereits «Mini-Taurus» genannt, berichtet die «Bild».
Nach der Ankündigung im Juli war zunächst unklar, welches Drohnenmodell Deutschland der Ukraine liefern wollte. Laut dem Bericht wurden diese von der deutschen KI-Firma Helsing entwickelt. Wie der Taurus-Marschflugkörper verfügen sie über eine Software, die sie gegen russische GPS-Störaktionen und weitere elektronische Kriegsführungsmassnahmen resistent machen soll.
Die Drohne schaue selbstständig auf die Gegend und erkenne anhand Tausender Wegmarken, wo sie sich befinde, berichtet ein Militärinsider der «Bild». Dadurch helfe sie «dem Bediener, auch bei widrigen Wetterbedingungen oder in zerbombten Gebieten weiter Kurs zu halten». Wenn der Drohnenpilot das Ziel anvisiert habe, fliege die Drohne selbstständig dorthin. Das funktioniere auch, wenn die Funkverbindung zum Soldaten bereits gestört sei.
Darüber hinaus soll die Drohne ihre Ziele aus Richtung der Sonne anfliegen, um eine möglichst geringe Reaktionszeit beim Gegner sicherzustellen. Ein weiterer Vorteil: Sie soll eine bis zu viermal höhere Reichweite haben als bisherige ukrainische Kamikazedrohnen und mit genügend Sprengstoff ausgestattet sein, um russische Panzer zu zerstören.
Die Drohne kann aber auch andere Ziele angreifen. Mit ihr könnten «die ukrainischen Streitkräfte gegen russische militärische Hochwertziele wirken, zum Beispiel russische Gefechtsstände oder logistische Einrichtungen», so Verteidigungsminister Pistorius. Die Drohne soll deutlich günstiger sein als vergleichbare Modelle aus den USA oder Russland, die bis zu 100'000 Euro kosten.
Der «Mini-Taurus» wurde bereits in der Ukraine getestet und dort offenbar unter Realbedingungen weiterentwickelt. Ab Dezember soll dann die Auslieferung beginnen und mehrere Hundert Exemplare pro Monate umfassen.
Pistorius habe die Drohnen bereits im Mai bei einem Besuch bei seinem Amtskollegen Rustem Umjerow begutachtet, berichtet er. Aktuell tausche man sich weiter aus, um die Drohne möglicherweise auch für die Bundeswehr zu nutzen – die Taurus-Marschflugkörper setzt sie bereits ein.
Auch wenn die Ukraine von den westlichen Partnern immer wieder um die Lieferung und die Einsatzerlaubnis von Langstreckenwaffen auf russischem Gebiet gefordert hatte, blieben diese Bemühungen lange erfolglos. Nun hat US-Präsident Joe Biden allerdings den Einsatz der Waffen zur Verteidigung des eroberten Gebietes im russischen Kursk erlaubt.
Im Frühjahr hatte eine t-online-Recherche offengelegt, dass die Steuerung der Marschflugkörper so komplex ist, dass Deutschland eine spezifische Anlage mitliefern müsse, um hohe und komplexe Datenmengen zu verarbeiten. Von denen hat Deutschland aber offenbar nur eine geringe Anzahl, sodass durch die Lieferung eine Sicherheitslücke in der Verteidigung entstehen würde. Das soll ein wesentlicher Grund für den Widerstand von Kanzler Scholz gewesen sein. Lesen Sie hier mehr dazu. Mit einer abgespeckten Funktion könnte die Waffe allerdings auch ohne die Anlage eingesetzt werden.
Nach der Erlaubnis aus den USA könnten auch andere Verbündete bei der Lieferung von Waffen mit grösserer Reichweite nachziehen. Der grüne Kanzlerkandidat Robert Habeck erklärte am Sonntagabend in der ARD bereits, dass er als Kanzler Taurus liefern würde. Auch FDP und Union fordern dies schon länger. Die Liberalen wollten über die Frage im Bundestag abstimmen. Die Grünen hatten aber bereits signalisiert, dass sie ohne das Einverständnis des Koalitionspartners SPD einer Lieferung nicht zustimmen würden.
Allerdings entscheidet über eine solche Lieferung ohnehin nicht der Bundestag, sondern der Sicherheitsrat der Bundesregierung. Und der wird von Kanzler Scholz geleitet. Es darf bezweifelt werden, ob Scholz seine Meinung in dieser Frage ändern wird.