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Wie Angela Merkel einem Flüchtlings-Mädchen völlig hilflos erklärt, warum es Deutschland verlassen muss – statt dass sie mal mit ihren Wählern Klartext reden würde

Wie Angela Merkel einem Flüchtlings-Mädchen völlig hilflos erklärt, warum es Deutschland verlassen muss – statt dass sie mal mit ihren Wählern Klartext reden würde

16.07.2015, 12:3216.07.2015, 19:15
William Stern
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Es ist ein Dialog zum Fremdschämen, zum Vergessen und zum sich ins tiefste Loch verkriechen. Es ist ein Dialog, der einen endgültig mit dem Gewäsch von Politikern brechen lässt. Es ist ein Dialog, der die Diskrepanz zwischen Politik und echter Welt deutlich macht, vor allem aber ist es ein Dialog, der schonungslos offen legt, wie wenig Menschlichkeit vorhanden ist, wenn Politiker über die «Flüchtlingsproblematik» diskutieren.

Merkel: «Es tut mir Leid, aber ...»

Wobei es sich streng genommen nicht um einen Dialog handelt, sondern um ein Mädchen, das einer erwachsenen Frau ihre Sorgen klagt, und der erwachsenen Frau, die dem Mädchen versichert, dass man seine Sorgen nicht ernst nimmt, sondern dass es eigentlich die Wähler mit ihrer Angst vor Asylbewerbern sind, die es zu schützen gilt.

«Also, ich möchte studieren, das ist wirklich ein Wunsch, ein Ziel, das ich schaffen möchte.»
«Also, ich möchte studieren, das ist wirklich ein Wunsch, ein Ziel, das ich schaffen möchte.»bild: screenshot ndr

«Ich hab' ja auch Ziele, so wie jeder andere, (...) und es ist sehr unangenehm, zuzusehen, wie andere das Leben geniessen können, und man es selber halt nicht, äh, mitgeniessen kann», erzählt Reem, ein vielleicht 13-jähriges Mädchen, das vor vier Jahren mit seiner Familie aus einem palästinensischen Flüchtlingslager nach Deutschland kam und jetzt vor der Abschiebung steht, bei einem Gespräch von Schülern mit der deutschen Bundeskanzlerin.

Angela Merkel versteht das gut, ungemein gut, ganz ganz viel Verständnis bringt die deutsche Bundeskanzlerin auf für die Schwierigkeiten, Ängste und Hoffnungen und auch für die Träume, die in diesem Moment im Kopf von Reem gerade zerstäuben:

«Hm, da sind wir in einem Zwiespalt.»
«Hm, da sind wir in einem Zwiespalt.»bild. screenshot ndr

«Hm, ich verstehe das, und ähm, dennoch, muss ich jetzt, und das ist manchmal hart, Politik, wenn du jetzt vor mir stehst und du bist ja ein unheimlich sympathischer Mensch, aber du weisst auch, in den palästinensischen Flüchtlingslagern im Libanon gibt es noch Tausende und Tausende und wenn wir jetzt sagen, ihr könnt alle kommen, und ihr könnt alle aus Afrika kommen, alle kommen, das können wir auch nicht schaffen», stammelt die CDU-Frau – währenddessen blickt eine Schar von jungen Schülern und Schülerinnen, Freunde von Reem, die Kanzlerin erwartungsvoll an.

Aber eben, alle können nicht kommen, Merkel muss diesen 11- bis 15-Jährigen erklären, dass Deutschlands Aufnahmefähigkeit begrenzt ist, dass in dem Land mit dem Bruttoinlandsprodukt von knapp 3000 Milliarden Euro und einer Bevölkerungsdichte von 227 Menschen pro Quadratkilometer kein Platz ist für Reem, und dass Reem und ihre Familie deshalb leider leider in eines der 12 palästinensischen Flüchtlingslager im Libanon zurückmüssen, wo 450'000 Menschen seit Jahren unter zum Teil prekären Bedingungen leben, in das Land, das auf Platz 65 des Human Development Index liegt und das vier Jahre nach Ausbruch des Syrien-Krieges über eine Million Flüchtlinge aus dem Nachbarland beherbergt. 

Asylgesetz
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Merkel hilflos überfordert

Aber Merkel findet tröstende Worte für Reem, die seit vier Jahren mit ihrer Familie in Rostock lebt: «Die einzige Antwort die wir sagen, ist, bloss nicht so lange, dass es bloss nicht so lange dauert, bis die Sachen entschieden sind.» 

Dann verliert sich die Bundeskanzlerin in ein paar technischen Details von Asylfragen, bis das Mädchen schliesslich in Tränen ausbricht. Mit einem jovialen Lächeln tätschelt sie der Jugendlichen den Rücken und ermuntert sie: «Du hast das doch prima gemacht». Als hätte Reem soeben ihren Auftritt als kleine Elfe in einem Schultheater vermasselt, bei dem alle Verwandten und der Schwarm im Publikum sitzen. Freundlich weist der Moderator die Kanzlerin darauf hin, dass Reem vielleicht deswegen von Emotionen überwältigt wird, weil ihre Situation so belastend ist. «Das weiss ich doch», blafft Merkel in Richtung Moderator, «und deswegen möchte ich sie jetzt einmal streicheln.»

Sommaruga haut in die gleiche Kerbe

Die Lösung nach Merkel ist, dass es gar nicht erst zu dieser Situation kommt. Beschleunigte Asylverfahren sollen dafür sorgen, dass es sich die Menschen nicht zu gemütlich machen in Deutschland, so dass die Fallhöhe, wenn man anschliessend einen negativen Bescheid in der Hand hält, nicht allzu gross ist.

Wer sich nicht an den Luxus von fliessendem Wasser, vollen Geschäftsregalen, einer Ausbildung, funktionierendem Gesundheitssystem, einem funktionierenden Rechtsstaat und der Sicherheit von Leib und Leben gewöhnt, der ist dann auch nicht so traurig, wenn er zurück ins Ghetto muss. Merkel sagt das natürlich nicht so, auch Simonetta Sommaruga, die eine Beschleunigung der Asylverfahren in der Schweiz vorantreibt, sagt das nicht so, aber in der Konsequenz läuft es darauf hinaus. 

Natürlich gibt es einfachere Aufgaben für eine Politikerin, als einem kleinen Mädchen zu erklären, dass sein Leben vielleicht von heute auf Morgen eine 180-Grad-Wende macht mit allen negativen Begleiterscheinungen, ohne dass wirklicher Handlungsbedarf bestehen würde.

Vielleicht sollten die Politiker gerade deshalb den Dialog nicht mit 12-jährigen Flüchtlingskindern, sondern mit der eigenen Bevölkerung, mit den eigenen Stimmbürgern suchen, und ihnen erklären: «Ja, ich verstehe dich, ich verstehe deine Ängste und Sorgen, aber es ist leider so, dass ein 12-jähriges Mädchen wieder zurückgeschickt werden muss, falls dir dein kleines bisschen an Luxus, auf dass du womöglich verzichten muss, tatsächlich wichtiger ist, als ein Menschenleben.»

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60 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Cityslicker
16.07.2015 14:53registriert Dezember 2014
Ich finde es sehr bequem und ziemlich zynisch, vom Watson-Redakteurssessel aus so einen bemühten Verriss herbeizuschreiben. Immerhin stellt Merkel sich solchen Diskussionen vor laufender Kamera. Und sie beschreibt spontan das Entscheidungsdilemma der Politik im Kontext dieses individuellen Falls. Es wäre absolut unseriös von ihr, hier einzeln etwas konkretes zuzusagen - die Zeiten königlicher Absolution sind glücklicherweise vorbei. Etwas mehr Sachlichkeit hätte dem Artikel daher wirklich gutgetan: So erklärt Merkel keineswegs, das Mädchen müsse (leider, leider) zurück - dies ist wohl noch völlig offen, da die Verfahren eben noch immer viel zu lange dauern, aus beider Perspektive.
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Sandokan
16.07.2015 14:36registriert Mai 2015
Die Menschheit muss dem Krieg ein Ende setzen, oder der Krieg setzt der Menschheit ein Ende.
John F. Kennedy
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Bowell
16.07.2015 14:36registriert Mai 2014
Das Beispiel des Mädchens zeigt doch bestens, dass wir uns glücklich schätzen müssen, hier im priviligierten Westen/Europa zu leben.
Wir haben eine Verantwortung gegenüber Flüchtlingen, die Europa als Ziel haben, aber dieser Verantwortung ist auch nicht Rechnung getragen wenn einfach alle aufgenommen werden.
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