International
Deutschland

Neonazi liess sich mit Machete verstümmeln – das steckt dahinter

Alexander W.: Weil sein Kumpel angeblich nicht richtig getroffen hat, soll er «nur» drei Finger verloren haben.
Alexander W.: Weil sein Kumpel angeblich nicht richtig getroffen hat, soll er «nur» drei Finger verloren haben.bild: screenshot Telegram

Operation «Hand ab»: Neonazi liess sich mit Absicht verstümmeln

Im ostdeutschen Chemnitz ist ein Mann angeklagt, der einem Neonazi drei Finger abgetrennt hat. Die Verstümmelung soll abgesprochen gewesen sein – und das Motiv ist kaum zu fassen.
08.05.2024, 16:04
Lars Wienand / t-online
Mehr «International»
Ein Artikel von
t-online

Es ist ein Fall mit einer verrückten Wendung, die ein grosses Rätsel aufgab: Ein Neonazi wählte im August 2023 den Notruf, weil ihm angeblich von der Antifa Finger abgeschlagen worden waren. Dann wurde gegen ihn selbst ermittelt – wegen des Vortäuschens einer Straftat. Der Vorwurf hat sich mittlerweile erhärtet. Ein Kumpel (37) des Mannes landet nun vor Gericht, weil er einem gemeinsamen Plan folgend die Finger mit einer Machete abgetrennt haben soll. Dem vermeintlichen Opfer ging es offenbar um Geld.

Die Staatsanwaltschaft Chemnitz bestätigte watson-Medienpartner t-online, dass gegen diesen Mann Anklage erhoben wurde wegen absichtlicher schwerer Körperverletzung und gefährlicher Körperverletzung. Eigentlich war den Ermittlungen zufolge sogar besprochen worden, dass er dem damals 29-jährigen Alexander W. die komplette Hand abschlagen solle. Er traf aber offenbar nicht richtig. «Nur versehentlich» sei nicht die ganze linke Hand abgetrennt worden – stattdessen: Zeige-, Mittel- und Ringfinger am untersten Glied.

Das Motiv: Alexander W. wollte Unterstützung vom Staat erhalten

Das führt auch zum zunächst unglaublich erscheinenden Motiv: Alexander W. «beabsichtigte, aufgrund der dann vorliegenden Behinderung, staatliche Leistungen zu beziehen», sagte Oberstaatsanwältin Ingrid Burghardt. W. wollte sich demnach verstümmeln lassen, um Unterstützung vom Staat zu erhalten.

Nach der Tat aber redete W. schliesslich mit den Ermittlern. Seine Angaben erhärteten den Tatverdacht gegen den 37-Jährigen, der sich selbst laut Staatsanwaltschaft bisher nicht zu den Vorwürfen geäussert hat. Weitere Zeugenaussagen und sonstige polizeiliche Ermittlungen hätten den mutmasslichen Hergang bestätigt. Unter anderem hatte die Polizei offenbar belastende Kommunikation auf den Smartphones sichergestellt.

Neonazi beschuldigte Antifa-Aktivisten

Gegen W. wird noch ermittelt wegen des Vortäuschens einer Straftat. Da sind die Ermittlungen nicht abgeschlossen. Er hatte am 15. August 2023 stark blutend den Notruf gewählt. Seine Angaben: Die Finger seien ihm bei einem Überfall im Stadtpark von Antifa-Aktivisten abgetrennt worden. Alexander W. gehört zur Neonaziszene.

In Vernehmungen gab er zunächst an, dass er wahrscheinlich von Linksextremen erkannt worden sei. Lanciert wurde, er habe ein T-Shirt mit dem Aufdruck «Kampf der Nibelungen» getragen. «Kampf der Nibelungen» war das grösste europäische rechtsextremistische Kampfsportformat und ist inzwischen verboten. Auch in Medienberichten war anschliessend von «Vermummten» die Rede, die für die Tat verantwortlich seien. Tatsächlich machte sich den Ermittlungen zufolge allerdings sein Bekannter mit den abgetrennten Fingern davon. Die Gliedmassen wurden später in einem Glascontainer gefunden.

Nun warten bei einer Verurteilung mindestens drei Jahre Haft auf den 37-Jährigen. Er sei schon vielfach mit Körperverletzungs- und Diebstahlsdelikten aufgefallen, sagt die Staatsanwaltschaft. Sie hat keine Erkenntnisse, ob er auch zur Neonaziszene zählt. Den Ermittlungen zufolge soll der Vorschlag aber von ihm gekommen sein, die Geschichte von einem Überfall der linksextremen Szene zu erfinden.

Linksextreme «Hammerbande» kurz zuvor verurteilt

Wenige Wochen zuvor hatte das Oberlandesgericht Dresden gegen die Linksextremistin Lina E. aus Leipzig und drei Männer mehrjährige Haftstrafen wegen Überfällen auf Neonazis verhängt. Sie wurden als «Hammerbande» bekannt – weil Hämmer bei Angriffen auf Neonazis mehrfach als Waffe zum Einsatz kamen und Menschen damit schwer verletzt wurden. Ein mutmassliches Mitglied, das als Späherin tätig gewesen sein soll, wurde am Dienstag in Nürnberg festgenommen.

«Freie Sachsen»: Die rechtsextreme Gruppe hatte sehr schnell ein Foto des vermeintlichen Opfers und verbreitete die Story vom Antifa-Überfall.
«Freie Sachsen»: Die rechtsextreme Gruppe hatte sehr schnell ein Foto des vermeintlichen Opfers und verbreitete die Story vom Antifa-Überfall.bild: screenshot telegram

Die rechtsextremen «Freien Sachsen» verbreiteten keine 24 Stunden nach der Tat ein Foto von Alexander W. im Krankenbett mit verbundenem Arm: «Macheten-Überfall von Chemnitz: Jetzt hat das Opfer ein Gesicht!» Man wünsche gute Besserung und fordere «die Aufklärung dieser schrecklichen Tat». Das Posting ist mittlerweile gelöscht.

In der Führung der «Freien Sachsen» ist der Neonazi Michael Brück, der Alexander W. gut kennen dürfte: Brück kommt aus Dortmund, Alexander W. und zwei weitere Mitglieder der rechtsextremen Szene sind aus dem Ruhrgebiet nach Sachsen gezogen.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Sieg Fail! Warum Nazis (sonst noch) Volldeppen sind
1 / 13
Sieg Fail! Warum Nazis (sonst noch) Volldeppen sind
Neonazis fehlt es nicht nur an Herz, Verstand und Sozialkompetenz, sondern offensichtlich auch an Sinn für Rechtschreibung. >> Hier geht's zur ganzen Story.
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Mit Liebe und Humor gegen Nazi-Schmierereien
Video: srf
Das könnte dich auch noch interessieren:
43 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
InGodWeTrustInc.Track#6
08.05.2024 16:05registriert April 2024
Einmal mehr, alles was die Faschos Anderen vorwerfen (hier konkret "false flag operations") dient eigentlich nur dazu davon abzulenken, dass sie sich dieser Mittel bedienen.
22916
Melden
Zum Kommentar
avatar
Kruk
08.05.2024 17:03registriert Januar 2024
Puuh, wenn man lieber eine Hand verliert als zu arbeiten muss man wirklich sehr, sehr arbeitsscheu sein, die falschen Schuldzuweisungen sind zwar schlimm, richtig beängstigend ist aber das Gewaltpotential, wer bereit ist einem "Kameraden" so was anzutun wird es erst recht sein wenn es um Menschen geht die er hasst.
2023
Melden
Zum Kommentar
avatar
Bert Stein
08.05.2024 16:10registriert November 2020
Ein richtiges Räubermärchen - wie von den abstürzenden Brieftauben besungen.
1193
Melden
Zum Kommentar
43
Slowakischer Premier Robert Fico nach Attentat ausser Lebensgefahr

Der slowakische Ministerpräsident Robert Fico ist ausser Lebensgefahr. Das sagten Vizepremier Robert Kalinak und der stellvertretende Leiter der Klinik in Banska Bystrica, Milan Urbani, am Sonntag der Nachrichtenagentur TASR. Fico war am Mittwoch von einem 71-jährigen Mann angeschossen und lebensgefährlich verletzt worden. Der Angreifer wurde unmittelbar nach der Tat festgenommen.

Urbani konkretisierte am Sonntag vor Journalisten: «Auf Grundlage der Beratung des Ärztekonsiliums heute Morgen können wir feststellen, dass sich der Patient momentan ausserhalb des Zustandes der Lebensbedrohung befindet. Sein Zustand ist aber weiterhin sehr ernst und er wird eine lange Zeit und Ruhe zur Genesung brauchen.»

Zur Story