Auch danach laufen die Bilder auf allen Kanälen. Zu sehen ist ein Mob wütender Menschen, der auf die Fähre des Urlaubsrückkehrers Robert Habeck will. Die Polizei kann die Menschen nur mühsam davon abhalten, noch zum ablegenden Schiff mit dem deutschen Wirtschaftsminister und Vizekanzler zu stürmen. Pfefferspray liegt in der Luft.
“Rauf, alle rauf auf die Fähre!” Man sieht in diesem Ausschnitt sehr gut, wie ein Anstifter und ein paar Leute gereicht haben, die bis dahin durchaus friedliche Blockade in ganz schlechtes Licht zu rücken. pic.twitter.com/oFiVgPgfUB
— Lars Wienand (@LarsWienand) January 5, 2024
Angesichts der für Montag angekündigten Bauern-Demos werfen die Bilder eine entscheidende Frage auf: Haben die Bauern die Kontrolle über ihren Protest gegen die Streichung von Agrarsubventionen verloren? Recherchen von watson-Medienpartner t-online zeigen, wie weit Versuche von Trittbrettfahrern gehen. Spuren führen ins Umfeld angeklagter Terror-Verdächtiger aus der Corona-Zeit, in eine Szene, die seit Jahren zielstrebig daran arbeitet, Bauernproteste zu vereinnahmen.
Am Donnerstag um14.29 Uhr erhielten die Mitglieder von zwei Gruppen im Messengerdienst Telegram mit Namen «Verbraucher&Bauern geeint» und «Freie Schleswig-Holsteiner» zeitgleich die Information: Robert Habeck wünsche sich zu einem «Bürgerdialog» «unendlich viel Interesse». Es wurde dazu aufgerufen, den grünen Wirtschaftsminister an diesem Abend auf dem Heimweg vom Urlaub am Fährhafen von Schlüttsiel abzupassen.
Telegram ist das Netzwerk, in dem Unzufriedene radikalisiert werden. Eine Gruppe von Reichsbürgern hat dort ein Netzwerk aufgebaut, das bereits bei der Ahrtalflut eine Grundschule bezog, von einem Systemsturz träumte und nun offenbar über den Messengerdienst versucht, Einfluss auf die Bauernproteste zu nehmen.
Doch Telegram ist nicht das Netzwerk der Landwirte.
«Telegram kommt bei den meisten Bauern noch lange nach dem Fax», sagt Bernhard Barkmann, 51-jähriger Landwirt mit Ackerbau und Tierhaltung im Emsland. Der örtliche CDU-Ortsvereinsvorsitzende tritt mit seinem Blog blogagrar.de für die Belange der Bauern ein, kritisiert aber auch manches Auftreten. Er erklärt. «Bauern nutzen WhatsApp. 2019 gab es betagte Kollegen, die plötzlich ein Smartphone haben wollten, obwohl sie es immer abgelehnt hatten. Aber ohne WhatsApp gehörte man nicht mehr dazu.»
Über WhatsApp-Gruppen und auf Facebook organisierten sich 2019 erstmals im grossen Stil Proteste, die im November ihren Höhepunkt bei einer Demonstration mit mehr als 8'500 Traktoren in Berlin fanden. Daraus entstanden Zusammenschlüsse «Land schafft Verbindung», die regional ganz unterschiedlich auftreten, aber mit ihrer Mobilisierungskraft seitdem neben dem behäbigen Bauernverband als neue Akteure auftreten.
German farmers trying to storm the ferry on which the vice chancellor, Robert Habeck, was returning from his holidays.
— Christian Odendahl (@COdendahl) January 4, 2024
Hard to overstate how Germany’s political discourse is going off the rails. pic.twitter.com/7faHFXNPsY
Ein solcher neuer Akteur ist Alf Schmidt, der in Thüringen für seine Schafsherden 17 Hütehunde braucht. Ohne einen Verband im Rücken organisierte er 2021 einen mehrwöchigen Dauerprotest in Berlin. «Mein Handy ist ein mächtiges Instrument», sagt er – Telegram sei nicht darauf. Er ist mit Bauern aus ganz Deutschland vernetzt und stand auch mit Hinterleuten der Demo am Fährhafen von Schlüttsiel in Kontakt, wie er sagt. «Vernünftige Leute» sind das aus seiner Sicht.
Einer, der dort verantwortlich war, sagte zum Protest, das seien doch «normale Menschen aus der Mittelschicht auf dem Land» gewesen, und ob jemand wirklich «glaube, dass die Gewalt gegen andere ausüben» wollten. Der Mann heisst Jann-Henning Dircks. Er hat aber auch in einem Interview dem Journalisten Martin Lejeune gesagt, in Nordfriesland gebe es den Spruch «Lever dood as Slaav», «Lieber tot als Sklave». 2022 stand er vor Gericht, weil er zwei Jahre zuvor in einer geschlossenen WhatsApp-Gruppe Landwirte ermuntert hatte, zu einer Blockade von Tierschützern mit «Vorschlaghammer, Akkuflex und Bolzenschneider» zu kommen. Von dem Vorwurf, zu einer Straftat angestiftet zu haben, wurde er jedoch freigesprochen.
Dircks sagt über die Protestierenden in Schlüttsiel: «99 Prozent waren friedlich». Ob es bei dem Gerangel allesamt «Menschen bei uns aus der Mitte der Gesellschaft waren», das könne er nicht beurteilen. Ein Kollege von ihm, Stefan Hansen, auf YouTube «Sibbershusum», wurde deutlicher: «In diese Schiene wollen wir nicht gesteckt werden. Das waren ungefähr zehn von 1000, die haben von den Bauern Bescheid gekriegt.» Als es passiert war.
“Die haben auch später von den Bauern Bescheid gekriegt, dass das ne richtig dämliche Scheiß-Aktion ist.”
— Lars Wienand (@LarsWienand) January 5, 2024
Landwirt und YouTuber Sibbershusum über den Versuch, noch auf die Fähre in #Schlüttsiel zu stürmen. Sein Video komplett: https://t.co/Lb1nJuU4EN pic.twitter.com/kzGmrsDd5C
Tatsächlich waren bei dem Bauernprotest längst nicht nur Bauern. t-online hat eine Person ausfindig gemacht, die um 13.04 Uhr in einer WhatsApp-Gruppe mit 382 Mitgliedern die Nachricht postete, man solle Habeck empfangen. Auf Nachfrage will der Mann sich jedoch nicht äussern. Er unterhalte sich nicht mit Presseleuten, sagt er, es werde ja alles nur falsch dargestellt. Dann sagt er noch: Anderthalb Stunden hätten sie «lieb und nett» dagestanden, aber Habeck habe nicht den Mut gehabt, mit ihnen zu reden. Er selbst sei Angestellter: «Da waren Handwerker, Lkw-Fahrer, da war alles.»
Die Aufrufe zu Protesten haben längst die Kreise der Bauern verlassen. Auf Telegram mobilisieren auch ganz offen Rechtsextreme wie die ehemalige NPD oder auch die «Freien Sachsen» in allen Berufsgruppen. Auf Telegram gibt es seit Juli 2022 aber auch Angebote, die zunächst unverdächtig wirken: Ein bundesweites Netz von Kanälen «Verbraucher und Bauern geeint» gibt vor, Unterstützung des Volkes mit den Bauern zeigen zu wollen.
Dahinter steckt massgeblich eine Gruppierung, die sich «Arminius Erben» nennt nach dem Cheruskerfürsten Arminius, der in manchen Kreisen als der «erste Deutsche» verehrt wird. «Arminius Erben» versuchten schon 2021, sich den Bauernprotesten von Alf Schmidt in Berlin anzuschliessen. Alle möglichen Gruppen seien gekommen und hätten versucht, ihre Themen zu platzieren, erinnert sich Schmidt. Die Bauern seien auch für eine ‹Merkel muss weg›-Demo angesprochen worden. «Ich habe gesagt, wer da mitmacht, gehört nicht mehr zu uns.» Schmidt will Menschen mit anderen Anliegen gesagt haben, wenn sie etwas wollten, sollten sie eben in der Nachbarstrasse was anmelden und sehen, wer kommt.
«Arminius Erben» riefen zu Spenden auf für die Bauern, Mitglieder organisierten Verpflegung für die Bauern, sie suchten Anschluss. Schmidt wies das öffentlich zurück, er wolle mit «Arminius Erben» nichts zu tun haben. Daraufhin habe es sogar Lynchaufrufe gegen ihn gegeben, sagt er. Was genau «Arminius Erben» wollen, sei ihm nie klar geworden.
An der Spitze von «Arminius Erben» steht ein Nebenerwerbslandwirt aus der Nähe von Kiel, der regelmässig Videos von sich veröffentlicht und für Vorträge in geschlossenen Kreisen quer durch die Republik reist. Reichsbürgerideologie steckt offenbar dahinter, die Idee, dass Deutschland von den USA besetzt sein soll, die Deutschen sich befreien müssten und dann ein «1000-jähriges Friedensreich» warte. Es gibt Anklänge an NS-Ideologie, es geht sehr völkisch und sehr russlandfreundlich zu. Zeitweise gab es Überschneidungen mit einer nicht mehr auftretenden Gruppe mit Namen «DEUNOD», deutscher Ableger einer russischen nationalen Befreiungsbewegung.
Diverse Mitglieder von «Arminius Erben» sind jetzt die Administratoren der Gruppen, in denen Bauern und Verbraucher vermeintlich vereint werden sollen. Die kleinste für Bremen hat 200 Mitglieder, die grösste für Bayern fast 5'000. Es sind viele Menschen neu dazu gekommen, die vielleicht nur solidarisch sein wollen mit den Bauern, offenkundig selbst enttäuscht sind von der Politik der Ampel-Regierung – und nicht zu ahnen scheinen, wo sie gelandet sind.
Das Team der Verantwortlichen leitete Gruppen mit QAnon-Verschwörungsgläubigen. Sie steuerten Zusammenschlüsse, die zu einem «Tag X» angelegt waren oder zum «DDay 2.0» mit bundesweiten Blockaden aufriefen und sie administrierten die «Vereinten Patrioten» oder den «Veteranenpool»: Es sind Gruppen, in denen zum Teil nachweislich rekrutiert wurde für mutmassliche Terrorzellen.
Eine aktuelle Administratorin etwa ist eine Isa. Sie war eine enge Vertraute von Sven Birkmann, der «ein Drehbuch für den Umsturz» hatte. Seit Mai 2023 wird in Koblenz gegen Birkmann und vier weitere Angeklagte verhandelt, die den Plan einer Entführung von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und eines deutschlandweiten Blackouts geschmiedet haben sollen. Im Prozess fällt oft der Name von Isa, es gab auch eine Hausdurchsuchung bei ihr. Beschuldigte ist sie im Prozess nicht, in ihren Kreisen hat ihr das Vorwürfe eingebracht, insgeheim für den Staat zu arbeiten.
Isa nahm mit Birkmann an Treffen der Verschwörer teil, betreute auf Telegram die nach Bundesländern aufgestellten Kanäle des «Veteranenpools», dazu «Corona Rebellen Berlin» und «Querdenken Hannover». Und sie steuerte eine Telegram-Gruppe von Helfern aus der Reichsbürger- und Querdenkerszene, die sich bei der Flut im Ahrtal in einer Grundschule eingerichtet hatte und einerseits bei den Aufräumarbeiten half, andererseits diese aber auch dazu nutzte, sich zu vernetzen und Beweise für krude Theorien zu suchen.
Bei vielen der Beteiligten gab es später Hausdurchsuchungen: Sven Birkmann war dort an der Ahr gewesen und mehrere mutmassliche Ex-Militärs aus der noch viel grösseren Gruppe um Heinrich Prinz Reuss XIII. Ebenfalls dabei die Ex-AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkelmann, die gerade wegen Putschplänen angeklagt wurde. Der Rauswurf der unerwünschten Fluthelfer löste damals auch Unverständnis in der Öffentlichkeit aus.
In der Schule an der Ahr hielten sich mindestens zwei weitere Personen auf, die jetzt Kanäle zur Unterstützung der Bauern steuern. Unter den Administratoren finden sich auch frühere Administratoren von «Vereinte Patrioten/Tag X» und bei den meisten gibt es klare Bezüge zu «Arminius Erben» und zu früheren Plänen, die Regierung zu stürzen.
Wenn jetzt irgendwo Bauern einen Protest planen, landet er umgehend bei «Bauern und Verbrauchern geeint» und in den angeschlossenen Termin-Gruppen. Die Reichsbürger werben beständig, sich anzuschliessen.
Der Verfassungsschutz weiss nach t-online-Informationen von den Gruppen und den Hintergründen ihrer Betreiber. Viele der Bauern und ihrer Unterstützer wohl eher nicht.
Verwendete Quellen: