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Thilo Mischke und «ttt» – die erschreckende Rückgratlosigkeit der ARD

Thilo Mischke
Innerhalb weniger Tage hat die ARD in der Personalie Mischke eine Rolle rückwärts gemacht.Bild: imago images/ hmb media/

Thilo Mischke und «ttt» – die erschreckende Rückgratlosigkeit der ARD

05.01.2025, 18:4317.01.2025, 12:44
Jennifer Ullrich / watson.de
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Das neue Jahr hat bereits seinen ersten TV-Eklat und das, obwohl die Person, um die es geht, gar nicht auf Sendung war. Thilo Mischke sollte bei «ttt – titel, thesen, temperamente» als Moderator auf Max Moor folgen, doch nach heftiger Kritik ist das nun vom Tisch. Innerhalb weniger Tage hat die ARD eine Rolle rückwärts gemacht.

Während zu Thilo Mischke mittlerweile alles gesagt ist, wirkt der Sender wie ein Fähnchen im Wind. Die aktuelle Stellungnahme lässt tief blicken und wirft vor allem die Frage auf: Wer in der «ttt»-Redaktion hat sich eigentlich überhaupt mit Thilo Mischke auseinandergesetzt?

ARD: Eine Chronik des Scheiterns

Aber von vorn. In seinem 2010 erschienenen Buch «In 80 Frauen um die Welt» geht es um die sexistische Wette, mit möglichst vielen Frauen auf der ganzen Welt zu schlafen. Auch durch rassistische Sprache fällt das Werk auf.

Später fiel Mischke weiter unangenehm auf – zum Beispiel, als er 2019 mit Caroline Rosales über deren Buch «Sexuell verfügbar» sprach. Mischke stellte im Podcast die abenteuerliche These auf, dass Frauen beim Sex nur deshalb feucht würden, weil alle anderen ohne diesen «Gendefekt» zu Tode vergewaltigt wurden. Wortwörtlich sprach er von «wegvergewaltigen».

Wenig überraschend wurde all das als Kritik vorgebracht, nachdem die ARD Thilo Mischke plötzlich als Moderator für «ttt» ankündigte. Dieser Mann sollte also durch ein Kulturmagazin führen. Die Redaktion startete einen Versuch der Deeskalation, indem bei Social Media versichert wurde: «Wir hören euch.» Man kündigte «intensive Gespräche» an, um die Vorwürfe zu prüfen.

Das (vorläufige) Ergebnis wurde schon wenige Tage später verkündet. «Wir freuen uns jetzt auf Thilo Mischke und seine Sicht auf Kultur», hiess es plötzlich. Der 43-Jährige habe «sich für seine Ausdrucksweise entschuldigt» und seine journalistischen Fähigkeiten vielfach unter Beweis gestellt. Na dann!

Den jüngsten Twist hat dann kaum jemand kommen sehen. Am 4. Januar meldete sich die ARD erneut zu Wort. Thilo Mischke wird nicht als Moderator bei «ttt» eingesetzt, lautet das Update diesmal. Kein Witz. Die Social-Media-Abteilung des ÖRR ist definitiv nicht zu beneiden.

Die ARD ist ein Fähnchen im Wind

Dabei lohnt sich ein genauer Blick auf die Begründung, die dem Publikum präsentiert wird. Demnach überschatte «die in den vergangenen Tagen entstandene heftige Diskussion um die Personalie Thilo Mischke die für uns zentralen und relevanten Themen, die wir mit der Sendung und Marke 'ttt' transportieren und gemeinsam mit der Community diskutieren möchten».

Die ARD und Mischke seien sich einig darin, «dass es nun vor allem darum geht, einen weiteren Rufschaden von 'ttt' und Thilo Mischke abzuwenden». Ja, richtig gelesen: Es geht hier um das Image eines Senders und eines Moderators. Das mit den Vorwürfen – war da was?

Geradezu kurios wird nun den kritischen Stimmen der vergangenen Tage – unter anderem unterzeichneten mehr als 100 Kulturschaffende einen offenen Brief – die Schuld an der verhinderten «ttt»-Nachfolge gegeben. Denn hätten die Menschen einfach geschwiegen, hätte die ARD ihre Ruhe und müsste nicht auch noch am Wochenende Pressemitteilungen veröffentlichen. Nervig, diese lebhafte Debattenkultur in einer Demokratie!

Spätestens an dieser Stelle geht es nicht mehr nur um Thilo Mischke, sondern den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der sich gern betont progressiv und aufgeklärt gibt, nur um durch tragende Entscheidungen zu verdeutlichen, dass es am Ende vor allem um den eigenen Ruf geht. Anderenfalls wäre vermutlich von vornherein besser zur Personalie Thilo Mischke recherchiert worden. Dieses Theater war vermeidbar.

Die ARD macht alles noch schlimmer

Auch, wenn die Fälle nur bedingt vergleichbar sind, bietet sich ein Blick zu RTL und Yasin Mohamed an. Der Reality-Star wurde schnell und endgültig aus dem »IBES"-Cast für die kommende Staffel gestrichen, nachdem eine Ex-Freundin Vorwürfe erhoben hatte. Der Vertrag war sogar schon unterzeichnet. So geht Krisenkommunikation. Da können die Öffentlich-Rechtlichen noch was lernen.

Jetzt will die ARD, zusammen mit Thilo Mischke, die «Thematik journalistisch aufarbeiten» – ob es da auch um eigene Fehler geht?

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31 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Shikra
05.01.2025 19:09registriert Januar 2025
Bitte etwas genauer recherchieren. Die Entscheidung für Mischke ging von den Kulturchefinnen und -chefs der Landessender und der ARD Programmdirektorin aus. Trotz klarem Widerstand der ttt-Redaktion.
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Gurgelhals
05.01.2025 19:04registriert Mai 2015
Mir wurde in dieser Sache einiges klar, als ich erfahren habe, wer bei der ARD Programmdirektorin ist. Das wäre nämlich – kein Witz – die Tochter von Wolfgang Schäuble, die wie schon der Vater natürlich auch strammes CDU-Mitglied ist (nebenbei bemerkt: so viel zum Thema politische Unabhängigkeit des öffentlichen Rundfunks. Und wie diese jetzt Täter-Opfer-Umkehr betreibt passt ja auch ins Schema).

Ich frage mich halt einfach, warum solche Leute, die ganz offensichtlich selber nicht viel vom öffentlichen Rundfunk halten, immer wieder auf solchen Posten landen…
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Pebbles F.
05.01.2025 19:06registriert Mai 2021
Es ist fahrlässig von der ard, jemanden als Morr-Nachfolger zu präsentieren, ohne vorgängig seine Aussagen Auftritte und Bücher zu sichten.
Jetzt, nach der berechtigten Absage an ihn ist Tür und Tor geöffnet für SVP-ähnliche Leute, die dauernd jammern, dass man schon gar nichts mehr sagen dürfe ohne gleich beschimpft oder gecancelt zu werden.
Durchgängig unsensibel von der ard.
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