Gestern hat Joe Biden seine erste Pressekonferenz abgehalten. Ausser bei den konservativen Medien hat er dafür gute Noten erhalten. So erklärte etwa Douglas Brinkley, ein auf Präsidenten spezialisierter amerikanischer Historiker, in der «Washington Post»:
Weniger gut ergeht es derzeit seinem Vorgänger. Donald Trump versauert in seinem Exil in Mar-a-Lago. Regelmässige Golfrunden und gelegentliche Telefoninterviews bei Fox News sind kein Ersatz für das tägliche Twitter-Gewitter, mit dem Trump die Menschen jahrelang auf Trab gehalten hat.
Twitter und Facebook haben Trump bekanntlich verbannt. Doch nun scheint der Ex-Präsident eine Lösung gefunden zu haben. Jason Miller, einer seiner engsten Berater, hat kürzlich in einem Interview mit Fox News mit typischer Trump’scher Bescheidenheit erklärt:
Bereits wird gerätselt, wie Trumps Twitter-Ersatz heissen könnte – Trmpr, Trumpbook sind Favoriten –, doch eine soziale Plattform ins Leben zu rufen, ist leicht anspruchsvoller als einen Hot-Dog-Stand auf die Beine zu stellen. Will er sein Ziel erreichen, muss Trump noch verschiedene und hohe Hürden überwinden.
Zunächst braucht es dazu viel Kapital. Nach wie vor sind Trumps Finanzen ein Rätsel, und sein Leistungsausweis als Unternehmer ist durchzogen, um es höflich auszudrücken. Ob Trump-Mineralwasser, Trump University, Trump Casinos, Trump Airlines, Trump Wodka und Trump Steaks – alle sind grandios gescheitert.
Eine soziale Plattform lässt sich ohne hoch bezahlte Spezialisten weder aufbauen noch unterhalten. «Man braucht dazu eine ganze Armee von Geeks (Computer-Spezialisten), und denen muss man richtiges Geld bezahlen», stellt Kara Swisher, Tech-Kolumnistin in der «New York Times» fest. «Und falls du das nicht tust, hacken sie dich zu armen Tagen.»
Trotzdem dürfte Geld Trumps kleinstes Problem sein. Es ist denkbar, dass Gönner wie etwa der Milliardär Robert Mercer und seine Tochter Rebecca die Rechnung begleichen werden. Sie haben bereits das Online-Portal Breitbart oder die inzwischen stillgelegte Twitter-Kopie Parler finanziert.
Es gibt daher bereits Gerüchte, wonach Trump versucht sein könnte, Parler zu neuem Leben zu erwecken. Schneller gesagt als getan. Parler ist nämlich ein Paradebeispiel dafür, dass Geld und Technik allein nicht genügen. Selbst wenn die Plattform wieder aktiv würde, ist ein zentrales Problem nicht gelöst: die Tatsache, dass man unter sich ist.
Parler hat zwar den Anspruch erhoben, eine Plattform zu sein, in der jede Meinung unzensiert veröffentlicht wird. Dieser Anspruch wurde jedoch nie eingelöst. Parler degenerierte stattdessen rasch zu einer Echokammer für Rechtsradikale, White Supremacists, Anti-Semiten und Neo-Nazis.
Ein rechtsradikales Silo würde Trump wenig nutzen. Man wäre rasch unter Seinesgleichen. Trump will jedoch die Aufmerksamkeit der von ihm so verachteten Mainstream-Medien. «Sind nur Konservative dabei, wird es selbst für alle, die anfänglich enthusiastisch mitgemacht haben, allmählich langweilig», stellt Paul Waldman in der «Washington Post» fest.
Trump hat sich mittlerweile mit Twitter und Facebook überworfen. Beide können bestens damit leben. Seit Twitter den Ex-Präsidenten von seiner Plattform verbannt hat, ist der Aktienkurs deutlich gestiegen. Mark Zuckerberg entpuppt sich derweil immer mehr als Biden-Fan.
Damit sind wir bei Trumps grössten Problem angelangt: Die pragmatische Politik Bidens kommt sehr gut an. Das 1,9-Billionen-Dollar-Corona-Hilfsprogramm wird von drei Viertel der Bevölkerung begrüsst, ebenso das 3-Billionen-Dollar-Infrastrukturprogramm, das Biden bereits in Aussicht gestellt hat.
Selbst konservative Kommentatoren wie David Brooks in der «New York Times» beginnen, umzudenken. Sie anerkennen, dass die Vereinigten Staaten grundsätzlich Reformen dringend nötig haben – und dass dies viel kosten wird. Der ehemalige Neokonservative stellt nun fest:
Diese Entwicklung lässt sich nicht mit sinnlosen Kulturkriegen und Twitter-Gewittern stoppen. Sollte Trump seine Drohung eines Ersatz-Twitters tatsächlich wahr machen, ist die Gefahr gross, dass er ein weiteres Mal grandios scheitert. Er wäre dann der sprichwörtliche Hund, der den Mond anbellt.