Während sich die Reichen und Mächtigen am Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos ein Stelldichein geben, sorgen Enthüllungen aus China für negative Schlagzeilen. Von einem Hacker entwendete Polizeiakten belegen, wie das Regime in Peking die Uiguren und andere ethnische Minderheiten systematisch unterdrückt und in Internierungslagern foltert.
Die «Xinjiang Police Files» sind gemäss den Berichten das grösste Leak zu staatlichen Umerziehungslagern im Nordwesten Chinas, das bisher publik gemacht wurde.
Erstmals zeigen geleakte Fotos, wie brutal China die Minderheit der Uiguren in der Region Xinjiang unterdrückt. Ein internationaler Medien-Verbund hat am Dienstag mit der Veröffentlichung seiner Recherchen begonnen.
Die offenbar bei einem Hackerangriff erbeuteten Polizeiakten enthalten umfangreiche Gefangenenlisten sowie auch nie gesehene Fotos aus dem Innern des Lagersystems.
Das Leak soll aber auch das Ausmass der staatlichen Massenüberwachung und die damit verbundene Unterdrückung der Minderheiten dokumentieren (dazu gleich mehr).
Weil damit die Behauptungen des Regimes in Peking durch Beweise widerlegt werden. Den chinesischen Machthabern, allen voran Xi Jinping, droht der Gesichtsverlust. Und ausländische Politikerinnen und Politiker können nicht mehr so tun, als gäbe es keine Beweise für die Unterdrückung.
Die BBC schreibt:
Zur Erinnerung: Die chinesische Regierung hatte behauptet, die seit 2017 in ganz Xinjiang errichteten Umerziehungslager seien nichts weiter als «Schulen». Doch werde dies nun durch interne Polizeianweisungen, Watchlisten und nie zuvor gezeigte Bilder von Inhaftierten widerlegt.
Die geleakten Daten sollen auch die staatliche Massenüberwachung belegen. Es sei dokumentiert, wie neugierige chinesische Beamte tief in die uigurische Zivilgesellschaft eingedrungen seien – «unterstützt durch Big-Data-Überwachungstools» –, um Personen willkürlich zu verhaften.
Hunderte seien nachweislich wegen ihrer Smartphone-Nutzung ins Visier geraten – weil sie damit «illegale Vorlesungen» hörten oder Apps zur Verschlüsselung installierten.
Das Nachrichtenmagazin «Spiegel» schreibt, der Datensatz sei dem deutschen Anthropologen Adrian Zenz zugespielt worden. Der Forscher habe schon in der Vergangenheit geheime Informationen über die Lager veröffentlicht.
Zenz zufolge stammen die geleakten Daten von einer anonymen Quelle, einem Hacker, der in die Computersysteme chinesischer Sicherheitsbehörden eindringen und Polizeiakten stehlen konnte. Diese Quelle habe keinerlei Bedingungen gestellt und es habe keine Bezahlung gegeben.
Zum einen findet gerade das WEF in Davos statt. Zum andern hat die UNO-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet am Montag eine mehrtägige Chinareise begonnen. Es sei der erste Besuch einer hohen Vertreterin seit 17 Jahren in dem Land, hält der «Tages-Anzeiger» fest.
Die chinesischen Behörden hatten Bachelet 2019, auf dem Höhepunkt der internationalen Proteste wegen der Umerziehungslager, zu einem Besuch eingeladen. Doch fand diese Reise der UNO-Vertreterin nicht statt, weil sich die beiden Seiten nicht auf die Bedingungen einigen konnten.
watson hat beim Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten EDA nachgefragt. Mediensprecher Pierre-Alain Eltschinger schreibt:
Der EDA-Sprecher verweist zudem auf einen Tweet der Schweizer Botschafterin in Peking vom Montag.
Die Uiguren stellen mit rund zwölf Millionen Menschen etwa die Hälfte der Einwohner Xinjiangs: Doch die kommunistische Führung in Peking habe seit Jahren religiöse und kulturelle Praktiken sowie die Sprache der Uiguren im Visier, ruft der «Tages-Anzeiger» in Erinnerung.
China-Experte Zenz spricht in einer Einschätzung von einem systematischen Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Eine ausführliche Anfrage zu den geleakten Daten liess Chinas Regierung gemäss den recherchierenden Journalisten unbeantwortet. In einer offiziellen Stellungnahme sei die chinesische Botschaft in Washington D.C. nicht auf konkrete Fragen eingegangen, sondern erklärte, die Massnahmen in Xinjiang richteten sich gegen terroristische Bestrebungen, es gehe nicht um «Menschenrechte oder eine Religion».
Der Vorsitzende der Delegation des Europäischen Parlaments für die Beziehungen zur Volksrepublik China, der deutsche Grünen-Politiker-Reinhard Bütikofer, fordert angesichts der Enthüllungen neue Sanktionen gegen China. Diese «Bilder des Grauens» müssten dazu führen, dass die Europäische Union klar Stellung beziehe, zitiert ihn der «Spiegel».
Die #XinjiangPoliceFiles dokumentieren eine neue Dimension der Brutalität gegenüber den #Uiguren. Sie zeigen eindeutig, mit was für einem menschenverachtenden Regime wir es in #China zu tun haben. https://t.co/TS9a1GXq8T
— Norbert Röttgen (@n_roettgen) May 24, 2022
Ja.
Ein internationaler Medienverbund von 14 Partnern hat die «Xinjiang Police Files» überprüft. An den Recherchen beteiligt waren neben dem «Spiegel» und dem Bayerischen Rundfunk (BR) die französische «Le Monde», die BBC aus Grossbritannien, USA Today, die spanische «El País» sowie das International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ).
Das internationale Rechercheteam habe wochenlang die Echtheit der Daten verifiziert. Bilder, die Gebäude zeigen, seien mit Satellitenbildern abgeglichen worden. Einige Digitalfotos enthielten zudem GPS-Koordinaten, anhand dieser Metadaten liess sich der genaue Ort bestimmen, an dem sie (mit grösster Wahrscheinlichkeit) aufgenommen worden waren.
Auszugsweise seien Dokumente und Fotos «renommierten Forensikern zur Prüfung übergeben» worden, schreibt der «Spiegel». Zudem seien die geleakten chinesischen Reden und Dienstanweisungen inhaltlich mit früheren Leaks und Aussagen chinesischer Parteikader abgeglichen worden.
Schliesslich trafen Journalistinnen und Journalisten auch noch in Europa lebende Angehörige von Lagerinsassen, deren Namen und Fotos sich in den geleakten Daten finden.
Sie sind alle älter als 2019.
Der Grund, warum keines der gehackten Dokumente über Ende 2018 hinaus datiert ist, könnte laut BBC mit verstärkten IT-Sicherheitsmassnahmen zusammenhängen.
Anfang 2019 sei durch die Behörden in Xinjiang eine Richtlinie zur Verschärfung der Verschlüsselungsstandards erlassen worden. Dadurch könnten alle nachfolgenden Polizeiakten «ausser Reichweite des Hackers» gelangt sein.
Adrian Zenz schreibt auf der für das Leak eingerichteten Website xinjiangpolicefiles.org, dass ein Teil des Materials in verschlüsselter Form gespeichert worden sei. Der Hacker konnte aber «einen Teil der Dateien durch Mechanismen entschlüsseln, die dem Autor mitgeteilt wurden». Zenz sagt, er habe sich nicht selber an der Entschlüsselung beteiligt.
Die Europäische Union, die USA und Kanada kritisierten seit Jahren regelmässig Chinas Umgang mit den Uiguren und hätten mittlerweile auch Sanktionen gegen chinesische Offizielle verhängt, schreibt der «Spiegel». Die US-Regierung nenne Chinas Vorgehen gar einen »Genozid«, das kanadische und das niederländische Parlament ebenso. Zugleich hätten sich international Dutzende Länder – darunter Nordkorea, Syrien und Saudi-Arabien – hinter China gestellt.
Mehr muss man zu ihm und seiner Partei nicht sagen.
Das geht nicht von heute auf morgen, aber wie eher wir damit beginnen, um so besser. Auch wenn es den Uiguren und anderen Unterdrückten im Moment nichts bringt, setzt es doch ein Zeichen und bringt vielleicht ein Umdenken, auch wenn ich daran zweifle.
Hoffe, es passiert nun auch was.