Der Name George Soros ist ein rotes Tuch für rechte Nationalisten und Populisten. Sie verteufeln den amerikanischen Milliardär in einer antisemitisch angehauchten Kampagne als Drahtzieher einer Verschwörung zur Zerstörung des christlichen Abendlandes. Für den ungarischen Regierungschef Viktor Orban ist der aus Budapest stammende Soros das Feindbild schlechthin.
Soros ist heute 89 Jahre alt und ziemlich gebrechlich. Einschüchtern aber lässt er sich nicht. Das zeigte seine alljährliche Rede am World Economic Forum (WEF) am Donnerstag in Davos, an dem er seit Jahrzehnten Stammgast ist. Der Philanthrop, der bereits viele Millionen für die Förderung der «offenen Gesellschaft» nicht zuletzt in Osteuropa gesteckt hat, zeichnete ein düsteres Bild.
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— Bloomberg TV (@BloombergTV) January 23, 2020
Man stehe «an einer Wegscheide der Geschichte». Das Überleben der offenen Gesellschaften stehe auf dem Spiel, und der Klimawandel bedrohe «das Überleben unserer Zivilisation». Der Nationalismus, «der grosse Feind der offenen Gesellschaft», befinde sich weiter auf dem Vormarsch, die wichtigsten Mächte seien in den Händen von Möchtegern- und realen Diktatoren.
Damit setzte Soros eine erste Spitze gegen Donald Trump. Dieser sei «ein Hochstapler und vollendeter Narzisst, der möchte, das die Welt sich um ihn dreht». Sein Narzissmus habe sich «in eine bösartige Krankheit» verwandelt. Der US-Präsident sei gewillt, das nationale Interesse seinem persönlichen Interesses unterzuordnen: «Er wird für seine Wiederwahl so gut wie alles tun.»
Als «Antipoden» schilderte George Soros den chinesischen Staatschef Xi Jinping, der «ein sorgfältig entwickeltes System der kollektiven Führung» beseitigt und sich zum Diktator gemacht habe. Nun sei er darauf bedacht, Trumps Schwächen auszunützen «und dank Künstlicher Intelligenz die totale Kontrolle über sein Volk zu erlangen».
Im Erfolgsfall könne ein neuer Typ Mensch entstehen, «der gewillt ist, seine persönliche Autonomie aufzugeben, um keinen Ärger zu bekommen», so Soros düstere Prognose. Für ihn ist es keine Übertreibung, dass 2020 und die folgenden Jahre «nicht nur das Schicksal von Xi und Trump bestimmen werden, sondern das Schicksal der Welt». In der Fragerunde nach seiner Rede wurde der Finanzinvestor noch klarer: «Die Welt wäre ein ohne Xi und Trump ein besserer Ort.»
Negative Entwicklungen ortet er auch anderswo. Der «grösste und furchterregendste Rückschlag» im letzten Jahr habe sich in Indien ereignet, wo der demokratisch gewählte Regierungschef Narendra Modi einen hindu-nationalistischen Staat erschaffe und Millionen Muslimen mit dem Entzug ihrer Staatsbürgerschaft drohe. Auch vom Brexit hält George Soros nichts.
Als Lichtblick bezeichnete er die «Welle der Aufstände», angetrieben vorab von jungen Leuten. Als Beispiele hob er die Proteste in Hongkong und die «Sardinen»-Bewegung gegen Matteo Salvini, «den Möchtegern-Diktator von Italien», hervor. Auch das Engagement grosser Städte bei wichtigen Themen wie Klimawandel und Migration bezeichnete Soros als «konstruktive Kraft».
Um solche Kräfte weiter zu stärken, will er nicht untätig bleiben. Vielmehr kündigte George Soros in seiner Rede «das wichtigste Projekt meines Lebens» an: Er will eine Milliarde Dollar in ein Netzwerk aus Hochschulen investieren, das Open Society University Network (OSUN). Dieses will nicht zuletzt vernachlässigte Gruppen wie Flüchtlinge, Häftlinge und Roma erreichen.
Kernstück bilden die Central European University (CEU), die Viktor Orban von Budapest nach Wien verjagt hat, und das Bard College in New York. Mit einem umfassenden Programm wolle man hervorragende, aber politisch gefährdete Akademiker zusammenführen, sagte Soros. Er rief «weitsichtige Partner» auf, ihn bei der Entwicklung und Realisierung des OSUN zu unterstützen. (pbl)