Fluchtpunkt ist das Jahr 2050: Bis dahin will die Schweiz klimaneutral werden, also netto keine CO2-Emissionen mehr ausstossen. So hat es das Stimmvolk vor zwei Wochen beschlossen.
In der EU gilt das Netto-Null-Ziel schon länger. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen machte die Klimaneutralität zum Kernstück ihrer Agenda und verglich sie mit der «Mondlandung» von 1969. Spätestens jetzt müsste sie sich allerdings eingestehen: Houston, wir haben ein Problem!
Immer grösser werden die politischen Widerstände gegen den sogenannten «Green Deal». Notabene im Herzen der EU-Gesetzesmaschine selbst, dem EU-Parlament: Am vergangenen Mittwoch kam es zu einem regelrechten Aufstand gegen einen der Hauptpfeiler des Klimapakets, dem Gesetz «zur Wiederherstellung der Natur». Dieses sieht vor, für die Stärkung der Biodiversität beträchtliche Agrarflächen der Natur zurückzugeben. Trockengelegte Moore sollen vernässt, Wälder wiederaufgeforstet, landwirtschaftliche Nutzflächen zu Blumenwiesen umgewandelt werden.
Doch konservative Parteien gingen auf die Barrikaden. Im Namen der Landwirtschaft wehrten sie sich gegen die strengen Auflagen. Diese würden die europäischen Bauern an den Rand ihrer Existenz bringen und einen Einbruch der Nahrungsmittelproduktion provozieren. Die Diskussion gleicht in weiten Teilen jener in der Schweiz, wo das Parlament kürzlich den Gegenvorschlag zur Biodiversitätsinitiative versenkt hatte.
Das Malaise mit den hochgesteckten Klimazielen geht allerdings weit über die Brüsseler Politikblase hinaus. Es wird auch in den Nationalstaaten immer schwieriger, Mehrheiten für die immer neuen Klimagesetze zu finden. Exemplarisch dafür steht der Streit in Deutschland um das Ende des Verbrennungsmotors oder das Heizungsgesetz. Stichwort: «Zwangssanierungen». In Zeiten von Krieg und Inflation haben die Politikerinnen und Politiker anscheinend wenig Lust auf teure Klimaschutzmassnahmen, die das angespannte Budget ihrer Wähler und Wählerinnen noch zusätzlich belasten.
Für von der Leyen ist die Situation ungemütlich: Ihre Partei, die CDU, befindet sich in Deutschland in der Opposition und bläst zum Angriff auf die Ampel-Regierung. Im Fadenkreuz steht besonders der Grünen-Wirtschaftsminister Robert Habeck. CDU-Chef Friedrich Merz kürte ihn unlängst zum «Hauptgegner» und kündigt an, künftig «klare Kante» zeigen zu wollen. In Brüssel allerdings regiert von der Leyen Hand in Hand mit den Grünen im Europaparlament.
Aber auch aus anderen EU-Hauptstädten weht der EU-Kommission mehr und mehr ein steifer Wind entgegen. In osteuropäischen Ländern wie Polen, wo man noch stark auf die Kohleverbrennung setzt, wird ambitionierter Klimaschutz oft als westeuropäisches Luxusprojekt gesehen. Regelmässig stimmen Polen und andere osteuropäische Länder gegen neue EU-Umweltgesetze. Und selbst in Frankreich scheint die Stimmung zu drehen.
Präsident Emmanuel Macron forderte im Mai eine «Pause» bei den EU-Umweltregulierungen. «Wir setzen um, was wir beschlossen haben, aber wir müssen aufhören, noch mehr zu tun», sagt Macron. Ansonsten laufe Europa Gefahr, die Industrie zu überfordern und im Vergleich mit China und den USA zurückzufallen. Ähnliche Töne gibt es in Belgien, Italien, Österreich oder den Niederlanden, wo die neue Bauern- und Bürgerbewegung bei den letzten Regionalwahlen aus dem Stand einen Erdrutschsieg errang.
Wie man in der Brüsseler EU-Zentrale auf die sich verändernde Lage reagieren will, ist unklar. Bislang hat von der Leyen bloss ihren Klimakommissar Frans Timmermans vorgeschoben. Dieser sagte kürzlich, es komme nicht infrage, beim Klimaschutz eine Regulierungspause einzulegen: «Wir haben nicht die Zeit, im Kampf gegen den Klimawandel gelähmt zu sein», so der Niederländer. Lange wird sich die Kommissionschefin selbst aber nicht mehr von der heiklen Debatte fernhalten können. Schon jetzt warnen Experten und Nichtregierungsorganisation davor, dass der EU beim Klimaschutz auf halbem Weg die Luft ausgehen könnte. Und damit das Fernziel Klimaneutralität bis 2050 in weite Ferne rückt. (aargauerzeitung.ch)
Das sind die 2 Optionen, andere gibt es in der Realität nicht.