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Linke Intoleranz: Was die Mercator-Studie wirklich zeigt

Links und intolerant: Studie schlägt hohe Wellen – darum geht es

31.07.2023, 14:1503.08.2023, 14:16
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Sind Linke gar nicht so tolerant, wie sie denken? Dies legt zumindest ein Artikel der SonntagsZeitung mit dem Titel «Links, urban, gebildet – und intolerant» nahe. Die Autorin geht dabei auf eine Studie des Mercator Forum Migration und Demokratie am Zentrum für Verfassungs- und Demokratieforschung der Technischen Universität in Dresden ein. Auf Twitter regt sich nun heftiger Widerstand gegen diese Interpretation der Studie. Darum geht es:

Das steht in der «SonntagsZeitung»

Artikel in der SonntagsZeitung: Links, urban, gebildet – und intolerant.
Der Original-Artikel in der «SonntagsZeitung».Bild: screenshot: SonntagsZeitung

«Je gebildeter, reicher, städtischer und linker jemand ist, desto weniger werden Menschen akzeptiert, die ein anderes Weltbild haben», schreibt die «SonntagsZeitung» in ihrer Interpretation der Studie. Besonders intolerant seien also nicht die Konservativen auf dem Land, sondern eben die urbanen Linken.

Dies rühre besonders daher, dass Linke glauben, sie würden sich stets für das Gute einsetzen. Wer also eine andere Meinung vertritt, steht daher automatisch auf der Seite der Bösen, sagt der Schweizer Politologe Michael Hermann zur «SonntagsZeitung». Wer also «zur Kategorie der Bösen oder Unterdrücker zählt», müsse nicht mit Empathie rechnen, so Hermann.

Es sei also die Linke, die die Spaltung der Gesellschaft mit ihrer Intoleranz vorantreibe. Dabei sei es grundsätzlich kein Problem, wenn Menschen unterschiedlicher Meinung sind. Problematisch sei, wenn sich negative Gefühle gegenüber Menschen mit anderer Meinung einstellten. Dann spricht man von affektiver Polarisierung und ebendiese sei auf linker Seite ausgeprägter wie bei Konservativen oder Rechten.

Das sagen die Kritiker

Nicht dieser Meinung ist zum Beispiel Juso-Präsident Nicola Siegrist. Er nennt die Interpretation der «SonntagsZeitung» auf Twitter «unwissenschaftlich».

Dabei sieht Siegrist zwei Probleme: Einerseits wurden keine Schweizerinnen und Schweizer befragt. Die zehn in der Studie untersuchten Länder zeigten starke Unterschiede untereinander auf. Es stellt sich also die Frage, ob die Schweiz wie Frankreich, wie Deutschland oder wie Italien sei. Eine Aussage zur Schweiz sei also aufgrund dieser Resultate schwierig zu treffen.

Weiter bemängelt Siegrist, dass die Resultate im Artikel nur selektiv gezeigt würden. So seien alte Menschen nach dieser Studie deutlich intoleranter als junge, dies werde aber überhaupt nicht erwähnt. Ausserdem sei man auf linker Seite intolerant gegenüber Intoleranz: «Linke akzeptieren nicht, dass Leute den Klimawandel leugnen, Frauen weiterhin erniedrigen und queeren Menschen ihre Rechte absprechen», schreibt der Juso-Chef.

Das sagen die Studienautoren

Demonstration von Schuelerinnen und Schuelern in der Zuercher Innenstadt am Freitag, 21. Dezember 2018. In mehreren Schweizer Staedten gehen Schueler am Freitag auf die Strasse. Der Grund: In Sachen K ...
Beim Thema Klimawandel gehen die Emotionen hoch.Bild: KEYSTONE

Die Studie wird also unterschiedlich interpretiert. Doch was sagen eigentlich die Studienautoren dazu? «Insgesamt lehnten die Wähler linker und grüner Parteien in den untersuchten Ländern Menschen mit anderen Ansichten stärker ab als Menschen, die sich eher im rechten politischen Spektrum verorten», hält auch der Direktor des Zentrums für Verfassungs- und Demokratieforschung, Hans Vorländer, im Interview mit der «Süddeutschen» fest.

Die Resultate der Mercator-Studie auf einen Blick: Wer ist stärker polarisiert?
Ein Überblick über die Resultate der Mercator-Studie. Je weiter rechts der Balken, desto affektiv polarisierter die Haltung. Hier findest du alle Resultate im Detail.Bild: forum-midem.de

Er relativiert aber: In Deutschland zum Beispiel seien Anhänger der AfD deutlich polarisierter als alle anderen. Zudem liessen sich besonders in gewissen Reizthemen wie Klimawandel oder Zuwanderung hohe Polarisierungswerte nachweisen. So vertrage die Linke beim Klimawandel andere Meinungen schlechter, bei der Migration oder der Corona-Pandemie sei es hingegen genau umgekehrt.

Die Resultate der Studie zeigen also ein sehr viel differenzierteres Bild. So sind Menschen, die sich selbst der Parteifamilie «grün und ökologisch» zuordnen, im Schnitt besonders stark affektiv polarisiert. Jene, die sich selbst als «rechts oder rechtsextrem» einordnen, sind zwar ebenfalls stärker polarisiert als der Durchschnitt, aber eben nicht so stark wie Menschen des linken Spektrums.

Auf der anderen Seite sind besonders Menschen im Alter von über 55 Jahren überdurchschnittlich polarisiert, jene zwischen 18 und 34 Jahren hingegen deutlich unterdurchschnittlich. Auch beim Bildungsgrad sind Hochgebildete nur leicht polarisierter als schwach Gebildete. (leo)

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525 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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trichie
31.07.2023 14:20registriert Mai 2017
Kurzfassung: Identitätspolitik ist gefährlich, egal ob man sich Ausländer (rechts) oder alte weisse Männer (links) als Feindbild ausgesucht hat
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el cóndor terminado
31.07.2023 14:19registriert Juni 2021
Kann ich bestätigen🤣
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Seebär
31.07.2023 16:48registriert April 2015
Einer meiner besten Freunde ist politisch ziemlich rechts ich hingegen links, wie können uns wunderbar streiten über gewisse Themen aber respektieren uns unglaublich und gehen sogar zusammen in den Urlaub.
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