Die Invasion beginnt am frühen Morgen: Über die grossen Einfallsstrassen nimmt eine lange Kolonne von rund 900 Traktoren Kurs auf Brüssel. Wer noch nicht wach ist, ist es spätestens jetzt: Das Hupkonzert der Traktoren reisst die Einwohner im EU-Quartier wüst aus dem Schlaf. Die Bauern, angereist aus ganz Belgien, sind wütend. Und sie sind fest entschlossen, die vor Ort tagenden Agrarminister der EU-Mitgliedstaaten ihre Wut spüren zu lassen.
Zufahrtsstrassen zur EU-Hauptzentrale am Rond Point Schuman werden blockiert und das Quartier systematisch abgeriegelt. Schnell wird es chaotisch: Barrikaden aus mitgebrachten Traktorenreifen gehen in Flammen auf. Ein beissender Gestank weht durch die Strassen. Ein Bauer leert sein Güllenfass und bespritzt die anwesenden Polizisten. Mehrmals versuchen Traktorfahrer, die Polizeiblockaden mit ihren Gefährten zu durchbrechen. Die herumstehenden Beobachter und Journalisten schütteln den Kopf über die Rabiatheit. Nur mit grosser Not schafft es die Polizei, die Randalierer mit Wasserwerfern und Tränengas in Schach zu halten. Es geht zu und her wie an einer 1.-Mai-Demo.
Here is where #farmers storm the EU area at Maalbeek near EU HQ. "It looks like civil war" say EU officials as tractors overwhelm police. #FarmerProtest2024 #FarmersProtest2024 pic.twitter.com/GbGPjhNuBg
— James Kanter (@jameskanter) February 26, 2024
Aber die belgischen Bauern sind nicht allein: Zeitgleich gehen Landwirte am Montag in Madrid auf die Strasse. In Polen wird schon seit Tagen protestiert. In Deutschland schlugen wütende Bauern kürzlich Wirtschaftsminister Robert Habeck in die Flucht, und in Paris wollte am Wochenende eine Horde Bauern Emmanuel Macron an die Gurgel.
Aber was ist es, was die Bauern Europas derart auf die Barrikaden treibt? Immerhin erhalten sie im Rahmen der gemeinsamen EU-Agrarpolitik mit rund 60 Milliarden Euro über einen Drittel des gemeinsamen EU-Budgets und gehören zu den am besten subventionierten Berufsgruppen auf dem Kontinent.
Farmers? Let’s go with criminals. Surreal what’s happening in #Brussels. pic.twitter.com/djM4AiyeDW
— Alexandre Krauss (@AlexandreKrausz) February 26, 2024
Tatsächlich gibt es einen ganzen Strauss an Gründen, die je nach nationalem Kontext eine Rolle spielen. Wenn man mit den protestierenden Bauern in Belgien spricht, nennen sie die EU-Freihandelspolitik und das geplante Mercosur-Abkommen als Grund für ihre Wut. Dazu kommen Vorgaben zur Reduktion der Nitratwerte in den Böden. In Deutschland entzündete sich die Wut jüngst an der Abschaffung der Steuervergünstigung beim Agrardiesel. Noch viel tiefer geht aber der Frust über die Preise, wo man sich von den Grossverteilern über den Tisch gezogen fühlt.
Dieses Gefühl ist auch in Frankreich weit verbreitet. Neu ist dort zusätzlich der Ärger über Importe von ukrainischem Geflügel oder Zuckerrüben, welche das heimische Preisgefüge durcheinanderbringen.
Die ukrainischen Importe sind es auch, welche die polnischen Bauern zu rabiaten Aktionen verleiten. Erst vor wenigen Tagen stoppten sie einen Güterzug an der polnisch-ukrainischen Grenze und schütteten Tonnen von ukrainischem Getreide auf die Gleise, was zu einer Protestnote aus Kiew führte. Und über allem schwebt der von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen forcierte «Green Deal», der auch die Landwirtschaft zu Umwelt-Reformen zwingt.
Klar ist aber auch: Sich mit den Landwirten anzulegen, kann sich kaum eine Regierung wirklich leisten. Während draussen die Barrikaden brannten und die Traktoren hupten, wurde überraschend eine Delegation aus den Reihen der Protestierenden in den Brüsseler Verhandlungssaal eingeladen. Am Ende des Treffens war man sich einig, dass die Bürokratie reduziert und Entlastungsmassnahmen ergriffen werden sollen.
Die Bauern werden genau hinschauen, ob den Ankündigungen auch etwas Konkretes folgt. Ansonsten, so viel haben sie schon angekündigt, werden sie wieder kommen.
Eine der wenigen Einnahmequellen…