Welch ein Kontrast: Am Dienstagabend diskutierten die 27 EU-Staats- und Regierungschefs noch darüber, welche Rolle Europa in der Welt spielen soll. Afghanistan, China und der Indopazifik. Überall will die EU als geopolitischer Akteur dabei sein.
Schon am nächsten Tag aber zeigt sich: Die EU weiss nicht einmal, was sie in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft soll. Die Anbindung des Westbalkans kommt nicht voran.
Die offizielle Sprachregelung lautet: Alle Balkan-Staaten sollen dereinst der EU beitreten. Sie gehören kulturell wie auch politisch zu Europa.
Mit Serbien und Montenegro laufen schon seit Jahren Verhandlungen. Albanien und Nordmazedonien haben ihre Hausaufgaben gemacht und stehen bereit, ebenfalls Gespräche zu beginnen. Nordmazedonien hat sogar extra seinen Namen geändert, um einen jahrelangen Streit mit Griechenland aus dem Weg zu räumen. Aber dass auch nur einer der sechs Staaten in den kommenden zehn Jahren tatsächlich der EU beitritt, gilt als kaum wahrscheinlich. Manche sagen sogar: Ausgeschlossen. Das liegt nicht einmal an den Beitrittswilligen selbst.
Freilich: In Serbien gab es unter Präsident Aleksander Vucic in den letzten Jahren gravierende Rückschritte was Demokratie und Rechtstaatlichkeit angeht. Bosnien-Herzegowina ist noch weit vom Status eines Kandidatenlands entfernt, Albanien kriegt Korruption und organisierte Kriminalität nicht in den Griff und Kosovo wird von mehreren EU-Ländern nicht einmal als Staat anerkannt.
Aber der wahre Grund, dass es in der Integration des Westbalkans nicht vorwärts geht, liegt in der EU selbst. Besser gesagt: an der Innenpolitik gewisser Länder, vor allem im reichen Westeuropa. Man hat Angst, sich zu übernehmen und nach den Krisen der vergangenen Jahre den eigenen Bevölkerungen eine neue EU-Etappe zuzumuten. Der Aufstieg rechtspopulistischer und EU-feindlicher Kräfte im Nachgang zur Finanz- und Migrationskrise ist ein Trauma, das noch lange nachwirkt.
Dabei war die letzte Erweiterungsrunde objektiv betrachtet eine Erfolgsgeschichte. Die Menschen in Polen, Ungarn, dem Baltikum und allen anderen seit 2004 der EU-beigetretenen Länder Ost- und Zentraleuropas haben profitiert. Ebenso positiv war die Ausdehnung gegen Osten für die «alten» EU-Staaten, die neue Märkte erschlossen und sich mit billigen Arbeitskräften eindecken konnten.
Gleichzeitig dienen die Probleme, die man heute mit den zunehmend autoritären Regierungen in Ungarn und Polen und mit den korruptionsanfälligen Eliten in Bulgarien und Rumänien hat, als Abschreckungsbeispiel. Die Stimmung in Staaten wie Frankreich, den Niederlanden, aber auch Dänemark lautet: Eine neuerliche Erweiterung können wir uns nicht leisten. Zumindest für den Moment nicht. Sie sehen sich vor die Frage gestellt: Wollen wir Stabilität in den Westbalkan exportieren? Oder laufen wir Gefahr, mit der Erweiterung Instabilität zu importieren?
Die Fokussierung auf dieses vermeintliche Dilemma ist bedauerlich. Denn nicht nur steigt auf dem Westbalkan die Verbitterung über die EU, die ihren netten Worten keine Taten folgen lässt. Längst springen auch andere Akteure wie Russland und China in die Bresche.
Wenn man so will, macht die EU mit dem Westbalkan genau das, was man in Brüssel oft und gerne der Schweiz vorwirft: Aus innenpolitischen Gründen und in Mangel an strategischer Weitsicht spielt man auf Zeit. Wie es die Schweiz mit der Kohäsionsmilliarde in Brüssel versucht, will auch die EU mit Geldbeiträgen an den Westbalkan ihre Ideenlosigkeit überdecken. Ob das funktioniert, sei dahingestellt. So unterschiedlich die Fälle auch sein mögen – für beide gilt: Auf dem Status Quo zu beharren ist eine schlechte Option. Denn Stillstand bedeutet Rückschritt. In der Schweiz wie auf dem Westbalkan.
Und Ungarn, Türkei, Rumänien lässt man gewähren?? Verstehe die Europa wer will, ich nicht, jedenfalls.