Im wohl grössten Prozess um Kindesmissbrauch in Frankreich mit 299 Opfern will der angeklagte Chirurg keine Gnade vom Gericht.
«Ich bitte das Gericht nicht um Nachsicht, sondern nur um das Recht, besser zu werden und den Teil der Menschlichkeit anzunehmen, der mir gefehlt hat», sagte der 74-Jährige in seinem letzten Wort vor dem Urteil. Dieses wird am Mittwoch erwartet, wie die Zeitung «Ouest-France» berichtete. Die Verteidigung hatte zuvor betont, dass der Arzt nicht der für ihn geforderten Strafe von 20 Jahren Haft entgehen wolle und zu seiner Verantwortung stehe.
Die Staatsanwaltschaft hatte am Freitag vor Gericht im westfranzösischen Vannes die höchstmögliche Strafe für den Angeklagten gefordert. Dieser habe seine Opfer wie leblose Objekte behandelt, keinerlei Empathie gezeigt und zudem seine Rolle als Arzt ausgenutzt. Er habe sich oft an noch unter Narkose stehenden Patienten oder Kindern vergangen, die sein Tun nicht als Missbrauch einsortieren konnten.
Der pensionierte Mediziner Joël Le Scouarnec hat in dem Prozess gestanden, zwischen 1989 und 2014 insgesamt 158 Patienten und 141 Patientinnen im Durchschnittsalter von elf Jahren missbraucht zu haben.
Das Gerichtsverfahren erschüttert Frankreich. Es steht auch die Frage im Raum, weshalb die Gesundheitsbehörden den bereits 2005 wegen Kinderpornografie auf Bewährung verurteilten Arzt nicht früher stoppen konnten. Der Verteidiger sprach in diesem Zusammenhang von «einem grossen Versagen unserer Gesundheitssysteme». Hinweise auf ein Fehlverhalten seien bagatellisiert worden. Man habe den Arzt lieber auf seinem Posten behalten. (nib/sda/dpa)