Proteste in Frankreich – Neuer Premier verlangt Veränderung
Knapp 200 Menschen sind bei Protestaktionen in Frankreich festgenommen worden. Innenminister Bruno Retailleau sprach von Angriffen auf Polizisten, Sabotageaktionen an Stromkabeln und einem abgebrannten Bus.
Proteste in ganz Frankreich
Es habe etwa 50 Einsätze gegeben, um Blockaden aufzulösen. Die Pariser Polizei teilte mit, dass im Grossraum der Hauptstadt 132 Menschen festgenommen wurden.
Auf Videos waren Ausschreitungen zu sehen. Medien berichteten von mehreren Strassenblockaden sowie Blockaden an Oberschulen und bei Bus- und Strassenbahndepots. Innenminister Retailleau meinte, es handle sich nicht um eine Bürgerbewegung, sondern die Bewegung sei von Linksextremen vereinnahmt worden.
Die Proteste unter dem Motto «Lasst uns alles blockieren» («Bloquons tout») richten sich vor allem gegen die seit längerem angekündigten Sparpläne. Die Behörden sind in Alarmbereitschaft, rund 80.000 Sicherheitskräfte sind mobilisiert. Welches Ausmass die Proteste annehmen werden, ist ungewiss.
Proteste in Frankreich
Unklar ist auch, wer genau ursprünglich hinter dem Aufruf steckt. Die Protestaufforderungen erfolgen dezentral, viele verschiedene Seiten wollen ihrem Ärger Luft machen. Unter anderem Linke, Gelbwesten-Gruppierungen und Gewerkschaften wie etwa die der Eisenbahner riefen zum Protest auf.
Die Blockaden erfolgen zwei Tage nach dem Fall der bisherigen Mitte-Rechts-Regierung bei einer Vertrauensfrage und kurz nach der Ernennung des bisherigen Verteidigungsministers Sébastien Lecornu zum neuen Premier.
Amtsantritt des neuen Premierministers
Inmitten einer innenpolitischen Krise und begleitet von landesweiten Protesten hat Frankreichs neuer Premierminister Sébastien Lecornu bei seinem Amtsantritt Veränderungen in Aussicht gestellt.
«Es wird Brüche geben müssen und nicht nur in der Form, nicht nur bei der Methode, auch inhaltliche Brüche», sagte er. Man müsse die Kluft zwischen der politischen Situation und den Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger beenden.
Der 39 Jahre alte Lecornu war zuvor Verteidigungsminister. Er kommt ursprünglich von den Konservativen, gehört aber seit Jahren dem Mitte-Lager an und gilt als Vertrauter des französischen Präsidenten Emmanuel Macron.
Lecornu betonte in seiner kurzen Antrittsrede, dass man sich auch ändern müsse. Man müsse kreativer, teils technischer sein und ernsthafter in der Art, mit der Opposition zu arbeiten. Genauer ging er nicht auf die von ihm gewünschten Veränderungen ein.
Lecornu muss in gespaltenem Parlament Brücken bauen
Lecornus Versprechen von Veränderung dürfte ein Versuch sein, die erhitzten Gemüter in Frankreich etwas zu besänftigen. In seiner nur wenige Minuten dauernden Antrittsrede gab er sich ernst und zurückhaltend. «Diese Instabilität und die politische und parlamentarische Krise, die wir erleben, erfordern Bescheidenheit und Zurückhaltung», sagte er. An die Bevölkerung gerichtet sagte Lecornu: «Wir werden es schaffen.» Er fügte hinzu: «Es gibt keinen unmöglichen Weg.»
Nach seiner Blitz-Ernennung durch Präsident Macron will der neue Premier direkt an die Arbeit gehen. Noch am Nachmittag wollte er sich mit Vertretern von Parteien zusammensetzen. Weitere Treffen mit Politikern und Gewerkschaften sollten folgen. Auch weil das hoch verschuldete Frankreich einen Haushalt für das kommende Jahr braucht, drängt die Zeit.
Der neue Premier steht vor der schwierigen Aufgabe, Mehrheiten im gespaltenen französischen Parlament zu finden. Macrons Mitte-Kräfte, die Rechtsnationalen um Marine Le Pen und das linke Lager stehen sich in der Nationalversammlung als drei grosse Blöcke gegenüber. Eine Mehrheit hat keiner von ihnen. Die letzten zwei Vorgänger von Lecornu scheiterten bei einem Misstrauensvotum beziehungsweise der Vertrauensfrage an fehlendem Rückhalt in der Parlamentskammer.
Die ersten Reaktionen auf seine Ernennung aus dem linken Lager und von Le Pens Rechtspopulisten fielen negativ aus. Viele von ihnen wollen einen grundlegenden Politikwechsel und stören sich daher an Lecornus Nähe zu Macron. Auch an sie dürfte der neue Premier sich mit seinem Bekenntnis zur Veränderung gerichtet haben, um so notwendige Unterstützung etwa bei den Sozialisten zu finden. (sda/dpa)



