Die stets im apfelgrünen Blazer gekleidete Dame hat eine scharfe Zunge. Marine Tondelier, die Generalsekretärin der französischen Partei Les Ecologistes (ehemals Europe Ecologie les Verts), ist ein Bühnentier. Eine Frau mit starkem Charakter, die nicht zögert, Jean-Philippe Tanguy, den RN-Abgeordneten des Departements Somme, auf der Bühne von France 2 in seine Schranken zu weisen. Das RN, kurz für Rassemblement National, ist die rechtspopulistische Partei in Frankreich.
"Non mais vous en fait, je pense qu'on vous a assez entendus. Si vous vouliez parler, fallait venir au débat."
— Les vestes vertes de Marine Tondelier (@VesteTondelier) July 7, 2024
Marine Tondelier vs Jean-Philippe Tanguy sur France 2, round 2.
KO en 10 secondes 🤯 pic.twitter.com/uslJ48ZUF0
«Sie, wir haben Sie genug gehört. Wenn Sie reden wollten, hätten Sie zur Debatte kommen müssen», sagte sie zu dem Sprecher des RN und bezog sich dabei auf die verpassten Termine seiner Partei zwischen den beiden Runden der Parlamentswahlen. Dann erteilte sie Tanguy, der sie immer wieder unterbrach und jammerte, eine letzte Lektion:
Beim «compte pénilibilté» in Frankreich handelt es sich um eine Art Konto, das der Berücksichtigung von erschwerenden Bedingungen am Arbeitsplatz dient. Arbeitnehmende können mit Beschwerlichkeiten, die an ihrem Arbeitsplatz auftreten, Punkte sammeln und diese etwa in ein Recht auf Weiterbildung oder eine Frühpensionierung umwandeln.
Doch das war nicht alles: Am nächsten Tag legte sie noch eine Schippe drauf und erinnerte Jean-Luc Mélenchon daran, sich in der Neuen Volksfront (NFP) «nicht aufzudrängen». Der Führer der LFI (La France insoumise) sei nicht der richtige Mann für einen Sitz in Matignon (dem Sitz des Premierministers). Das Rumpelstilzchen der radikalen Linken sei zu spaltend und zu explosiv für eine Nation, die kurz vor der Implosion stehe.
Während Emmanuel Macron Gabriel Attal vorerst dazu gebracht hat, auf seinem Sitz als Premierminister zu bleiben, steht Marine Tondelier als gefürchtete Angreiferin in den Startlöchern. Sie ist bereit, in diesem politischen Morast, der die Republik untergräbt, die Ärmel ihres Blazers hochzukrempeln.
Das Gesicht dieser 37-jährigen Frau zeugt von einer Spitzenreiterin im Feld der möglichen Kandidierenden. Einfach, weil sie nicht zögert, ihren Emotionen freien Lauf zu lassen, wie sie es am ersten Juli in einer Radiosendung France Inter getan hatte. Dort geisselte sie Bruno Le Maire, der sich weigerte, die Wählenden dazu aufzurufen, für die NFP statt das RN zu stimmen. Sie zögerte nicht, den Wirtschaftsminister mit bebender Stimme «einen Feigling und einen Privilegierten» zu nennen.
.@marinetondelier répond sèchement à @BrunoLeMaire, qui met dos à dos LFI et RN : "C'est un comportement de lâche et de privilégié. Ils ont choisi le déshonneur, ils auront le déshonneur et la défaite." #le710inter pic.twitter.com/eOM7dh4REl
— France Inter (@franceinter) July 1, 2024
Die Umweltschützerin hat es faustdick hinter den Ohren: Ihr Kampf gegen das RN geht schon ein Jahrzehnt zurück. Die Chefin der Umweltschützer stammt aus dem Kaff Hénin-Beaumont, der Hochburg einer gewissen Marine Le Pen. Marine Tondelier hatte bereits 2014 ihre Zähne gezeigt, als sie in den Stadtrat einzog, der damals vom Front National, später Rassemblement National, kontrolliert wurde.
Bewaffnet mit einer Arroganz, die sie sich durch das Kreuzen der Klingen mit ihren rechtsextremen Gegnern angeeignet hat, hat sie ein Buch geschrieben. In «Nouvelles du Front» («Nachrichten von der Front») beschreibt sie die Steine, die ihr 2017 in den Weg geworfen wurden. Seitenlang berichtet Marine Tondelier von den krassen Methoden und Einschüchterungen des Bürgermeisters Steeve Briois, denen sie ausgesetzt war.
Eine Erfahrung, von der sie heute profitiert.
Eines ist sicher: Sie wird sich nicht prosaisch über ihr Schicksal beklagen, vom RN in die Opposition gedrängt worden zu sein. Niemals.
Besser noch, sie hat einem gewissen Jordan Bardella das Fürchten gelehrt. Gerüchten zufolge soll er Druck auf den Sender BFMTV ausgeübten haben, weil er nicht mit Tondelier, sondern mit Jean-Luc Mélenchon debattieren wollte. Letztendlich wurde die Debatte, die Bardella, Attal und Tondelier auf derselben Bühne zusammenbringen sollte, durch drei separate Interviews ersetzt.
Die ehemalige enge Vertraute von Cécile Duflot, die während der fünfjährigen Amtszeit von François Hollande Ministerin war, lässt sich nicht so einfach von ihrem Ziel abbringen. Zuvor war die Chefin der Umweltschützer bei den Parlamentswahlen in Hénin-Beaumont vergeblich gegen Marine Le Pen angetreten. Wie auch immer, Übung macht den Meister. Mit ihrem prägnanten Ton und ihrer Schärfe ist die Abgeordnete nun ein Bühnentier und lässt sich nicht (mehr) beeindrucken.
Der medienpolitische Wahnsinn hat sie zu einem neuen Star in der politischen Welt gemacht: Sie hat sich von der Entdeckung dieser Wahl zur Favoritin für das Amt der Premierministerin gemausert.
Ein erzwungener Hype oder die Frucht harter Arbeit?
Wenn die fleissige Umweltschützerin ihren Namen auf der Kandidierendenliste sieht, um sich in Matignon niederzulassen, ist das auch ihrem Sinn für das Kollektiv zu verdanken. Sie ist die treibende Kraft hinter der Vereinigung der Linken für die Parlamentswahlen, die am Sitz der Grünen abgeschlossen und angekündigt wurde. Der 10. Juni, an dem sie in Erscheinung trat, öffnete ihr vielleicht die Augen für ihre Qualitäten als Führungskraft – gewonnen durch die vielen Tiefschläge, die sie durch die Hand des RN in ihrer Heimat Nord-Pas-de-Calais hat einstecken müssen.
Wir müssen jedoch noch warten, wie sie vor den BFMTV-Kameras betonte: «Die Frage ist nicht ‹wer›, sondern ‹wofür›». Zuvor versicherte Clémentine Autain auf demselben Kanal, dass Tondelier «eine der Kandidatinnen» sei.
Ein Rückspiel, zehn Jahre nach dem Hinspiel in Pas-de-Calais, das für Marine Tondelier, die grosse Gewinnerin gegen Jordan Bardella und das RN, in einem Büro in der Rue de Varenne 57 enden könnte. Dort befindet sich der Sitz des Premiers.