Der französische Präsident Emmanuel Macron hat vor drei Wochen das Parlament aufgelöst – als Reaktion auf die Europawahlen, bei denen die Rechtsnationalen grosse Erfolge erzielten. Damit müssen die Französinnen und Franzosen nun auch das nationale Parlament erneut wählen.
Am Sonntag fand die erste Wahlrunde statt. Hier findest du die wichtigsten Infos zu den neuesten Entwicklungen.
Das rechtsnationale Rassemblement National könnte künftig stärkste Kraft in der französischen Nationalversammlung werden. Hochrechnungen zufolge landete es mit seinen Verbündeten in der ersten Runde der vorgezogenen Parlamentswahl in Frankreich mit 33 bis 34,2 Prozent vorne.
Das Mittelager von Präsident Emmanuel Macron landete demnach mit 20,7 bis 22 Prozent auf Platz drei hinter dem Linksbündnis Nouveau Front Populaire mit 28,1 bis 29,1 Prozent. Wie viele Sitze die Blöcke in der Nationalversammlung bekommen, wird aber erst in Stichwahlen am 7. Juli entschieden.
Für Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ist das Ergebnis eine herbe Niederlage. Er hatte darauf gesetzt, mit der vorgezogenen Neuwahl die relative Mehrheit seiner Mitte-Kräfte im Unterhaus auszubauen. Das scheint nun äusserst unwahrscheinlich.
Erste Prognosen gehen davon aus, dass Marine Le Pens Rechtspopulisten und ihre Verbündeten im Unterhaus mit 230 bis 280 Sitzen stärkste Kraft werden könnten. An der absoluten Mehrheit mit 289 Sitzen könnten sie aber vorbeischrammen.
Auch die Linken könnten zulegen und auf 125 bis 200 Sitze kommen. Macrons Liberalen droht, auf nur noch 60 bis 100 Sitze abzusacken. Genaue Aussagen zur Sitzverteilung sind bisher aber schwierig. Vor der zweiten Wahlrunde können die Parteien noch lokale Bündnisse schmieden, die den Wahlausgang beeinflussen.
Sollte wie in den Prognosen nun vermutet keines der Lager eine absolute Mehrheit erlangen, stünde Frankreich vor zähen Verhandlungen um eine Koalition. Ein Zusammenkommen der grundverschiedenen politischen Akteure ist derzeit nicht absehbar. Erschwerend kommt hinzu, dass die französische politische Kultur eher auf Konfrontation als auf Kooperation ausgelegt ist.
Gemeinsam könnten die Oppositionskräfte womöglich die derzeitige Regierung des Macron-Lagers stürzen. Ohne eine Einigung auf eine Zusammenarbeit dürfte aber auch keine andere Regierung eine Mehrheit im Parlament finden. Möglich ist, dass die aktuelle Regierung in einem solchen Fall als eine Art Übergangsregierung im Amt bleibt oder eine Expertenregierung eingesetzt wird.
Frankreich würde in einem solchen Szenario politischer Stillstand drohen. Neue Vorhaben könnte eine Regierung ohne Mehrheit nicht auf den Weg bringen. Eine erneute Auflösung des Parlaments durch Macron und Neuwahlen sind erst im Juli 2025 wieder möglich.
Für Deutschland und Europa hiesse das, dass Paris als wichtiger Akteur in Europa und Teil des deutsch-französischen Tandems plötzlich nicht mehr tatkräftig zur Verfügung stehen würde. Statt neuen Initiativen stünde in Frankreich Verwaltung an der Tagesordnung. Das Amt von Staatschef Macron bleibt von der Wahl zwar unangetastet, doch ohne handlungsfähige Regierung könnte auch er seine Projekte nicht durchsetzen.
Sollte das RN noch besser abschneiden, als in Prognosen erwartet wird, und die absolute Mehrheit holen, wäre Macron faktisch gezwungen, einen Premier aus den Reihen der Rechtsnationalen zu ernennen. Denn das Unterhaus kann die Regierung stürzen. In einem solchen Szenario würde Macron deutlich an Macht einbüssen, der Premierminister würde wichtiger. Deutschland und Europa müssten sich darauf einstellen, dass das gespaltene Land keinen klaren Kurs mehr verfolgt und unzuverlässiger wird.
Obwohl das RN höchstwahrscheinlich so gut wie noch nie abschneiden wird, steht keineswegs das ganze Land hinter der Politik von Le Pen und Co. Das zeigen grosse Versammlungen von Menschen, die gegen die extreme Rechte demonstrieren.
In Paris und etlichen anderen Städten gingen am Sonntagabend viele Menschen auf die Strasse. In der Hauptstadt versammelten die Demonstranten sich nach einem Aufruf des neuen Linksbündnisses auf dem Place de la République. Auch führende Linkspolitiker schlossen sich dem Protest dort an.
Auch in Nantes, Dijon, Lille und Marseille kam es zu Kundgebungen und Protestmärschen. In Frankreichs drittgrösster Stadt Lyon kam es nach Medienberichten zu Zusammenstössen zwischen Demonstranten und der Polizei. Barrikaden wurden errichtet und Beamte mit Flaschen und Feuerwerkskörpern beworfen. Auch einige Schaufenster gingen zu Bruch.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat indes für die zweite Runde der französischen Parlamentswahl zu einem Zusammenschluss gegen das rechtsnationale Rassemblement National aufgerufen. Es sei die Zeit für einen grossen, klar demokratischen und republikanischen Zusammenschluss angesichts der Partei um Marine Le Pen gekommen, hiess es unmittelbar nach Veröffentlichung der ersten Hochrechnungen der ersten Wahlrunde am Sonntagabend aus dem Élyséepalast.
Le Pen rief dazu auf, der Partei bei den kommenden Stichwahlen zu einer absoluten Mehrheit zu verhelfen. «Nichts ist gewonnen, die zweite Runde ist entscheidend.» In der Politik sei nichts gewöhnlicher als ein Machtwechsel, sagte Le Pen. Sie warnte vor falscher Angstmache gegen ihre Partei.
Der umstrittene Vorsitzende von Frankreichs konservativer Partei Les Républicains, Éric Ciotti, hat alle Konservativen aufgerufen, sich seinem viel kritisierten Schulterschluss mit dem Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen anzuschliessen. «Heute Abend ist der Sieg in Sicht», sagte Ciotti nach dem starken Abschneiden des RN und der Républicains-Kandidaten, die sich mit Ciotti für eine Unterstützung des RN entschieden hatten.
«Die historische Union, die wir mit Jordan Bardella aufgebaut haben, hat langen Jahren der Unbeweglichkeit der Rechten ein Ende gesetzt», sagte Ciotti. «Dieses Ergebnis ist ein grosser Erfolg. Die Franzosen haben mit ihren Stimmen ihren Wunsch nach Veränderung und Wechsel zum Ausdruck gebracht.»
Unabgestimmt mit seiner Partei hatte Ciotti eine Kooperation mit Bardella und dem RN vereinbart, woraufhin führende Kräfte der Partei mehrere Anläufe starteten, ihn aus der Partei zu werfen. Ein Gericht stoppte diesen Vorstoss zunächst.
Der Chef von Frankreichs rechtsnationalem Rassemblement National (RN), Jordan Bardella, will mit einer absoluten Mehrheit im Parlament als Ministerpräsident die Regierung übernehmen. «Wenn die Wähler uns am kommenden Sonntag zu einer absoluten Mehrheit verhelfen, um das Land wieder aufzubauen, will ich der Premierminister aller Franzosen sein», sagte Bardella am Sonntagabend nach dem starken Abschneiden seiner Partei in der ersten Runde der vorgezogenen Parlamentswahl.
«Indem sie die Kandidaten des RN und seiner Verbündeten an die Spitze gebracht haben, haben die Franzosen eine beispiellose Hoffnung im Land geweckt. Ich rufe sie zu einer letzten Anstrengung auf», sagte der 28-Jährige.
«Ich rufe alle Franzosen auf, sich mir anzuschliessen, um die nationale Einheit gegen diejenigen zu gewinnen, die unsere Werte mit Füssen treten wollen», sagte Bardella. «Ich will der Premierminister aller Franzosen sein, der die Gegensätze respektiert und stets um die Einheit der Nation bemüht ist.»
Die zweite Runde der Parlamentswahl werde eine der entscheidenden in der jüngeren Geschichte Frankreichs sein. Es gebe zwei Möglichkeiten, das Linksbündnis, die «Allianz des Schlimmsten, die in den Ruin führen wird», sagte Bardella. Auf der anderen Seite gebe das Rassemblement National, das die Sicherheit wiederherstellen und die Arbeit verteidigen werde.
Der führende französische Sozialdemokrat Raphaël Glucksmann hat für den zweiten Durchgang der Parlamentswahl in Frankreich zu einem entschiedenen Kampf gegen die Rechtsnationalen aufgerufen. «Wir haben sieben Tage, um eine Katastrophe für Frankreich zu verhindern», sagte Glucksmann am Sonntagabend. «Das ist keine Parlamentswahl mehr, das ist ein Referendum. Wollen wir (...), dass die Rechtsextreme erstmals in unserer Geschichte über die Wahlurnen an die Macht gelangt?»
Glucksmann, der Spitzenkandidat der französischen Sozialisten bei der Europawahl war, sagte, es gehe nicht mehr um politischen Zugehörigkeiten. Überall dort, wo Kandidatinnen und Kandidaten des gemeinsamen Linksbündnisses auf Platz drei gelandet seien, werde man die Kandidatur zurückziehen und dazu aufrufen, für die Person in dem Wahlkreis zu stimmen, die den Kandidaten von Marine Le Pens Rassemblement National schlagen könne. Glucksmann versicherte, es gebe von linker Seite kein Zögern. «Das einzige Ziel der Woche ist es zu blockieren, um eine absolute Mehrheit des Rassemblement National zu verhindern.»
Das RN profitierte von dem Schwung der Europawahl, bei der die Partei deutlich stärkste Kraft in Frankreich wurde. Bereits seit Jahren ist Le Pen zudem bemüht, das RN zu «entteufeln» und von seiner rechtsextremen Geschichte und Parteigründer Jean-Marie Le Pen und dessen Holocaustverharmlosung zu entkoppeln.
Mit ihrem Weichspülkurs hat sie die Partei bis weit in die bürgerliche Mitte hinein wählbar gemacht. Mit Jordan Bardella steht zudem nun ein frischer Politiker an der Spitze, der besonnener auftritt als Strippenzieherin Le Pen und nicht mit deren Familienclan verbandelt ist. Die Partei dürfte zudem von der Verunsicherung angesichts der multiplen globalen Krisen sowie von Frust und Enttäuschung über Macron profitiert haben.
Staatschef Macron und seinen Anhängern dürfte die überraschende Einigkeit des linken Lagers bei der Wahl zum Verhängnis geworden sein. Mehrfach hatte er zur Zusammenarbeit gegen die Extreme aufgerufen. Jedoch schlossen sich weder die konservativen Républicains noch Sozialisten oder Grüne für die Wahl mit ihm zusammen. Die Auflösung der Nationalversammlung wurde von vielen in Frankreich als unverantwortlich gewertet. Auch dies lasteten Französinnen und Franzosen Macron an.
Das linke Lager punktete mit dem neu geformten Bündnis, hinter das sich trotz interner Unstimmigkeiten etliche Menschen aus dem linken Spektrum stellten. Dass die Führungsfrage, also wer bei einem Wahlsieg Premier werden soll, offen gelassen wurde, dürfte zudem auch jene Wähler ins Boot geholt haben, die einem Bündnis mit dem populistischen Altlinken Jean-Luc Mélenchon kritisch gegenüberstehen.
Die Wahlbeteiligung lag den Instituten zufolge bei 65,8 bis 67 Prozent. Macron erklärte dem Élysée-Palast zufolge, dass die hohe Wahlbeteiligung den Willen zeige, die politische Situation zu klären. Mit Blick auf das RN-Ergebnis sagte er, es sei an der Zeit, für den zweiten Wahlgang einen breiten, eindeutig demokratischen und republikanischen Zusammenschluss zu bilden.
(hkl/con/sda/dpa)